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The Listener

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F. Mendelssohn Bartholdy - Violinkonzerte, Violinsonate Op. 4
Sinfonia Finlandia Jyväskylä - P. Gallois; T. Yang (Violine), R. Descharmes (Klavier)

(2013)
Naxos

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Felix Mendelssohn Bartholdy - Violinkonzerte in e-Moll und d-Moll, Violinsonate Op. 4

Mendelssohn aus Finnland mit hochkarätiger Besetzung

von Rainer Aschemeier  •  10. Februar 2013
Katalog-Nr.: 8.572662 / EAN: 747313266272

Mendelssohns Violinkonzert Op. 64 gehört unbestreitbar zum Standardrepertoire der Stargeiger in aller Welt. Und das aus gutem Grund: Beim Publikum ist es so beliebt wie kaum ein anderes. Und deshalb wird ein Stargeiger auch erst dann zum echten Publikumsliebling, wenn er sich dem Mendelssohn-Konzert annimmt.

Nachdem bei Naxos lange Zeit lediglich eine Einspielung aus den 1980er-Jahren mit der japanischen Virtuosin Takako Nishizaki verfügbar war, veröffentlicht das Label nun eine neue, erneut hochkarätig besetzte Aufnahme aus dem Jahr 2010.
Die Solistin ist der neue Geigenstar des Labels: die geradezu überirdisch virtuose chinesische Violinistin Tianwa Yang. Sie hat tornadoartig die USA im Sturm erobert und war auch auf Konzerttourneen in Deutschland (unter anderem in der Berliner Philharmonie und im Leipziger Gewandhaus) äußerst erfolgreich. Zurzeit entwickelt sie sich zu so etwas wie einem Liebling der Musikkritik, denn mit ihrem sehr individuellen, eigenständigen Ton fügt sie ihrer stupenden Virtuosität noch eine bemerkenswert eigenständige Note hinzu.
Yang ist daher tatsächlich keine „Virtuosin von der Stange“, sondern eine starke Interpretenpersönlichkeit, der man heute bereits Weltrang attestieren muss.

Den Weltrang des zweiten großen Namens bei dieser Einspielung muss man hingegen gar nicht groß betonen, denn es versteht sich von selbst, dass Patrick Gallois zu den bedeutendsten Künstlern unserer Zeit zu rechnen ist. Als Flötenvirtuose begann er 1984 seine immens erfolgreiche Solokarriere, die in Aufnahmen bei Deutsche Grammophon und Naxos dokumentiert ist. Erst kürzlich konnte ich eine seiner neuen Einspielungen vollmundig loben (Rezension s. hier).
Seine häufig ziemlich überzeugenden Fähigkeiten als Dirigent sind hingegen leider weit weniger bekannt als sein Weltruf als Flötist. Dabei hätten sie mehr Beachtung verdient.

Das zeigt nicht zuletzt diese Mendelssohn-Aufnahme, bei der Patrick Gallois das Orchester dirigiert, dem er seit nunmehr zehn Jahren als Chefdirigent vorsteht: die Sinfonia Finlandia Jyväskylä. In dieser Zeit hat Gallois das finnische Orchester zu einem Ensemble mit beeindruckender Klangkultur entwickelt.
Mich persönlich erinnert der typische „Sound“ von Gallois‘ Finnen stets etwas an die 1970er-Jahre-Einspielungen der Academy of St. Martin-in-the-Fields unter Neville Marriner: Samtig-weiche Streicher, sehr kleinräumige Dynamik und steter „Drive“ nach vorn (zu dieser Einschätzung siehe auch diese Rezension). Das ergibt hier in Zusammenhang mit Mendelssohns eh unwiderstehlichem Violinkonzert eine tolle Kombination, die zu den sehr überzeugenden Mendelssohn-Einspielungen jüngeren Datums gezählt werden muss.
Tianwa Yang überzeugt durch ebenso großartige Technik, wie durch bodenlos erscheinende dynamische Feinabstimmung. Wie durch ein unsichtbares Band scheint sie mit dem Orchester verbunden und geht die sehr kleinteilig ausziselierte dynamische Aufdröselung der Partitur durch Patrick Gallois willfährig mit.
Das Gesamtergebnis kommt äußerst motiviert und schwungvoll rüber. Das zeigt sich auch darin, dass die einzelnen Sätze tempomäßig ziemlich flott genommen werden: Gallois/Yang liegen beim Schlusssatz gut eine Minute vor Marriner/Mullova (1990) und nur ganz knapp hinter der rasend schnellen, vielen als Referenz geltenden 1958er-Aufnahme von Ormandy/Stern.

Mit dem weit weniger bekannten, zu Mendelssohns Lebzeiten unveröffentlicht gebliebenen Violinkonzert in d-Moll, das der junge Komponist als Dreizehnjähriger schrieb und der ebenso jugendlichen Violinsonate, die nur ein Jahr später entstand, sind hier zudem zwei reizvolle „Zugaben“ enthalten. Sie ergeben für meinen Geschmack ein weit sinnvolleres Programm, als die häufig auf CD zu hörende Kopplung Mendelssohn/Bruch. Bei der Sonate Op. 4 wird Tianwa Yang von dem jungen Pianisten Romain Descharmes unterstützt. Er pflegt ein durchaus kantiges, historisch informiertes Klavierspiel, das hier durch eine klanglich leider sehr trockene Aufnahmeumgebung hin und wieder etwas aufdringlich wirkt.

Die Orchesteraufnahme der Sinfonia Finlandia ist hingegen wie immer durch Sean Lewis aufgezeichnet worden – und wie immer ist sie etwas zu saftig, zu deftig ausgefallen, sodass die Durchhörbarkeit insgesamt darunter leidet. Es ist dies der Preis für den samtig-sahnigen Luxusklang der Streicher, der aber so unwiderstehlich ist, dass man die Defizite bei der Transparenz ganz gut verschmerzen kann. Unverzeihlich hingegen ist in meinen Augen der dünne Geigenklang der Solistin bei den Violinkonzerten, der – das zeigt die deutlich kraftvoller klingende Sonate – so nicht hätte sein müssen.

Fazit: Einspielung top, Klang ebenfalls recht gut, jedoch mit einigen Abzügen in durchaus nicht unkritischen Aspekten.

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