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The Listener

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Carl Nielsen – Sinfonien Nr. 4 & 1
New York Philharmonic – A. Gilbert

(2014)
DACAPO

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Carl Nielsen – Sinfonien Nr. 4 & 1

von Rainer Aschemeier  •  27. Oktober 2014

Alan Gilbert ist der erste „eingeborene“ New Yorker, der es auf den Chefsessel des New York Philharmonic Orchestra geschafft hat. Seine bisherigen Einspielungen (live kann man ja in New York nicht mal so eben dabei sein…) strotzten nur so vor Power und Hochglanzpolitur.
Der Gilbert-Stil setzt auf Überwältigung: Das Orchester klingt bei ihm gelegentlich wie eine Dampframme, wobei vor allem das wuchtige Blech der New Yorker Philharmoniker den Hauptausschlag gibt.

Wünscht man sich von so einem eine Nielsen-Gesamtaufnahme? Zwar gibt es genug Menschen, die bei Nielsens Sinfonien vor allem geballte Power suchen, die Sinfonien wie die Vierte („Das Unauslöschliche“) oder die Zweite („Die vier Temperamente“) sicherlich en masse haben. Doch ist Nielsen eben auch einer, der unglaublich diffizile Feinheiten mit seiner Musik transportiert. Da sei allen anderen Werken seiner Feder voran die grandiose fünfte Sinfonie genannt, aber auch die faszinierende Sechste. Und: Die scheinbaren „Powerstücke“, wie etwa die Vierte, sind, wenn man sie einmal genauer betrachtet oder gut dirigiert hört, ebenfalls höchst fragile Kunstwerke, die einen Dirigenten verdienen, der das erkennt und nicht alles mit einem Full-Power-Hochglanzsound verdirbt.

Nun sind (nachdem vor einigen Monaten bereits die Sinfonien Nr. 2 und 3 von Gilbert und den New Yorkern vorgelegt worden waren) auch die Vierte und die herrliche Erste in dieser Besetzung erschienen. Die Devise lautet: Festhalten, hier kommt Gilbert!

So einen kraftstrotzenden, selbstbewussten Beginn der vierten Sinfonie – und gleichfalls der ersten – habe ich noch nie gehört. Das ist bereits die typische Gilbert-Masche: Man presse sein Publikum zu Beginn gleich erstmal in die Sitze. Überwältigung!
Doch die gute Nachricht: Alan Gilbert verfügt mit dem New York Philharmonic über ein Orchester, das eine extrem breite Dynamikpalette auf der Pfanne hat. Und so sind auch die ruhigen Stellen der Partituren sehr empfunden und klangschön dargeboten.

Allerdings muss man sagen, dass Alan Gilbert Nielsens herrliche Sinfonien selten über den Status von Musik erhebt, wie sie auch Hollywood-Filmmusik hätte sein können. Und im rhythmischen Bereich erweist sich das New York Philharmonic erstaunlicherweise gar nicht sattelfest. Im Metrum wackelt es allerorten.
Und da haben andere Dirigenten vor Alan Gilbert – wie etwa Myung-Whun Chung, Sakari Oramo, Sir Colin Davis oder Michael Schønwandt – gezeigt, dass diese Musik doch weitaus mehr zu bieten hat. Nielsens Sinfonien gehören von der Ersten an zu den wichtigsten und gehaltvollsten sinfonischen Werken der europäischen Musik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Sie sind Meere mit unendlichem Tiefgang. Einer wie Alan Gilbert paddelt mit seiner Interpretation eher an der Oberfläche des eigentlich Möglichen. Dass er dabei mit seinem New Yorker Sound einiges an Eindruck schinden kann (und damit selbst versierte Kritiker blendet sowie ein Label, das immerhin vor einigen Jahren noch die faszinierende Schønwandt-Aufnahme selbst lancierte), das sollte uns eher zum Nachdenken als zum unreflektierten Jubel Anlass geben.

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