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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

E. Brown: Abstract Sound Objects
S. Liebner (Klavier)

(2012)
WERGO

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Earle Brown — "Abstract Sound Objects"

Überblick über das Klaviermusikschaffen eines der Hauptvertreter der "New York School"

von Rainer Aschemeier  •  14. März 2012
Katalog-Nr.: WER 67452 / EAN: 4010228674521

Nachdem wir in wenigen Tagen das Vergnügen haben werden, die Komplettierung von Earle Browns sagenhafter „Contemporary Sound Series“ auf dem WERGO-Label zu verkünden (so viel sei schon einmal verraten), gibt es dazu gleich noch einen höchst willkommenen „Aperitif“ von dem abenteuerlustigen Neue Musik-Label aus Mainz.

Die Rede ist von der CD „Abstract Sound Objects“, die Klavierwerke des New Yorker Komponisten, Pianisten und Tonmeisters Earle Brown im Rahmen einer repräsentativen und neu aufgenommenen Einspielung zusammenfasst. Ausführende Pianistin der Aktion (und das ist gleich noch eine gute Nachricht) ist Sabine Liebner, die sich bereits hinlänglich als Spezialistin für US-amerikanische Neue Musik etabliert hat. Spätestens aber seit ihrer grandiosen Neueinspielung der „etudes australes“ von John Cage (bei www.the-listener.de eine unserer CDs des Jahres 2011 übrigens; hier zudem eine ausführliche Besprechung) darf man Liebner wohl getrost als erste Wahl für Einspielungen der US-amerikanischen Musikmoderne bezeichnen. Mit der Einspielung von Werken Earle Browns schlägt sie nun ein neues Kapitel in ihrem Repertoireportfolio auf.

Hier also stellt Sabine Liebner nun eine neue CD vor, die Werke Earle Browns enthält, die dieser in der Zeit zwischen Mitte der 1950er-Jahre bis etwa 1995 geschrieben hat. Sie bietet einen guten Überblick über die Entwicklung dieses Komponisten, der zusammen mit John Cage, Morton Feldman, Christian Wolff und David Tudor heute zur sogenannten und sehr einflussreichen New York School gerechnet wird.
Leider wurde Earle Browns Musik bislang aber noch keine solche Renaissance auf Tonträger zuteil, wie man sie bei Morton Feldman oder John Cage in den letzten Jahren erlebt hat. Das liegt sicherlich zum Einen daran, dass Earle Brown einen aus meiner Sicht recht eigentümlichen Personalstil pflegte, der weit weniger massenkompatibel ist als zum Beispiel die Musik Feldmans. Zum anderen war Brown aber auch kein Rebell und Bürgerschreck, wie zum Beispiel John Cage und deshalb wohl auch für eine bestimmte Klientel einfach weniger interessant.

Brown war auch bis zuletzt im Prinzip ein eher konventioneller Komponist, verzichtete noch 1995 etwa auf präpariertes Klavier. Obwohl er in Sachen Notation neue Wege beschritt und auch Aleatorik (also den Einfluss des Zufalls auf Komposition und Interpretation) nicht ablehnte, versuchte er doch im Prinzip, seine kompositorischen Klangvorstellungen auf relativ „klassischem“ Weg zu vermitteln: Ein Pianist, ein Klavier, ein Publikum – kein Schnickschnack.

Sabine Liebner beweist auf der neuen WERGO-CD, das auch sie einen Personalstil pflegt. Ihr Anschlag ist einfach unverkennbar Liebner. Es gibt meines Erachtens nicht viele Persönlichkeiten im Bereich der Neue Musik-Interpretation, die so auf den ersten Ton wiedererkennbar sind wie sie. Ich finde das ganz großartig!
Zeigt es doch, dass die sogenannte Neue Musik (die ja – wie zum Beispiel im Fall Earle Browns – nun auch so langsam in die Jahre kommt) durchaus empfänglich für subjektive Interpretationsansätze ist und weit weniger „distanziert“, „emotionslos“ oder „kühl“, als viele vermuten.
Während die technische Umsetzung und der gesamte Vortrag Liebners ganz makellos umgesetzt sind, gefällt mir persönlich der typisch Liebner’sche Stil bei den zum Teil recht kratzbürstigen Earle Brown-Kompositionen nicht ganz 100%ig. Aber das ist mein eigenes, subjektives Empfinden.

Klanglich ist die CD (ähnlich wie schon die letztjährige Einspielung der „etudes australes“ von Cage) von den Tonmeistern des Deutschlandfunks in sehr guter Qualität mitgeschnitten worden. Aber auch hier hätte ich mir noch ein Quäntchen mehr Basstiefe und eine noch ein bisschen transparentere akustische Auflösung gewünscht.

Fazit: Alles in allem eine sehr lohnende CD, jedoch kein solches „Muss“, wie es die letztjährige Cage-Neueinspielung Sabine Liebners war. Trotzdem bleibt diese Pianistin in ihrem Sektor derzeit annähernd konkurrenzlos. Sie ist eine echte musikalische Persönlichkeit und gehört mit ihren visionären Interpretationen endlich auch auf die großen Podien der Musikwelt!

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Label zur Verfügung gestellt.))

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