Go to content Go to navigation Go to search

The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

G. F. Malipiero - Impressioni da vero & Pause del silenzio
Orchestra Sinfonica di Roma - F. La Vecchia

(2011)
Naxos

• • • • •

Gian Francesco Malipiero — Impressioni dal vero & Pause del Silenzio

Faszinierend gespielte und klanglich perfekt ausbalancierte Referenzaufnahme von Malipieros wichtigen Frühwerken

von Rainer Aschemeier  •  4. September 2011
Best.-Nr.: 8.572409 / EAN: 747313240975

In der Reihe von Veröffentlichungen mit Werken italienischer Komponisten des 20. Jahrhunderts bei Naxos erscheint nun nach der großen Casella-Offensive auch eine Malipiero-CD. Sie beinhaltetet gleich vier Weltersteinspielungen, und dies auch noch von wirklich wichtigen Werken aus dem eigenwilligen Œuvre Gian Francesco Malipieros, dessen Musik nur allzu berechtigt in den letzten zehn Jahren eine echte Renaissance auf Tonträger zuteil wurde.

Mit den „Impressioni dal vero“ I bis III sowie den „Pause del silenzio“ I und II erweitert das Naxos-Label seinen bereits vor dieser Veröffentlichung umfangreichen Katalog an verfügbaren Einspielungen dieses großen Komponisten, der wohl ewig zu den zu wenig gewürdigten des 20. Jahrhunderts gehören wird. Als Mitglied der „Generation der 1880-er“, zu der außer ihm unter anderem auch Casella, Pizzetti und Respighi gehörten, begann er seine Laufbahn mit spätromantisch gefärbten, tonal aber schon zu diesem frühen Zeitpunkt erkennbar erweiterteten Werken.
Es folgten Phasen, die von der Musik Strawinskys beeinflusst waren. Wahrscheinlich hatte die skandalöse Uraufführung des Ballets „Le Sacre Du Printemps“ auf Malipiero, der bei diesem tumultösen Event vor Ort in Paris anwesend gewesen war, so viel Eindruck hinterlassen, wie bei vielen anderen Komponisten, die fortan ihr Werk in eine Zeit „vor und nach dem Sacre“ einordneten.
Bis heute am umstrittensten ist Gian Francesco Malipieros Spätwerk, in dem er einen sehr eigenwilligen, mit keiner Art von akademischen Regeln konform gehenden Stil ausbildete, der von einigen als „musikalischer Anarchismus“ abgetan wird, während er von anderen als beeindruckende individuelle Alternative zur sonstigen europäischen Moderne gefeiert wird.

Fakt ist jedenfalls, dass Malipieros Musik immer sehr hohe Ansprüche an die Ausführenden stellt, da sie mit zum Teil merkwürdig, gelegentlich sogar willkürlich anmutenden, rhythmischen „Kinkerlitzchen“ aller Art aufwartet, was schon so manchen Dirigenten und manches Orchester in die Verzweiflung getrieben hat (...was diese dann aber leider meistens trotzdem nicht daran gehindert hat, ihre halbgaren Ergebnisse auf CD zu veröffentlichen). In der Tat würde ich behaupten wollen: Unter den wenigen verfügbaren CDs mit Orchestermusik von Malipiero sind mehr als 70% wirklich nicht gut interpretiert, und damit meine ich auch diejenigen, die bei Labels veröffentlicht wurden, die sonst für Qualität stehen.

Umso mehr muss man dem Orchestra Sinfonica di Roma unter der Leitung von Francesco La Vecchia Respekt zollen, denn mit der vorliegenden CD haben sie ein veritables Meisterstück abgeliefert. Dieses Album ist in allen kritischen Punkten (Rhythmik, Phrasierung, Ausbalancierung der Instrumentengruppen im Orchester) dermaßen überzeugend eingespielt, dass ich es ohne mit der Wimper zu zucken als Referenzeinspielung für diese Werke bezeichnen würde. Hinzu kommt ein wirklich großartiger Aufnahmeklang. Gerade Letzteres verwundert, denn die Tonmeisterkünste von Piero Schiavoni hatten uns bei der kürzlich besprochenen Casella-Produktion des römischen Orchesters noch nicht sonderlich überzeugen können (vgl. hier: http://www.incoda.de/listener/reviews/197/alfredo-casella-sinfonie-nr-3-elegia-eroica). Hier jedoch stimmt einfach a l l e s.
Das Orchester spielt grandios und sicher in allen Sektionen. Bei dieser Musik wird auch deutlich, dass es in den Reihen des Orchestra Sinfonica di Roma hervorragende Solomusiker gibt. Francesco La Vecchia dirigiert diese wunderbare, farbenreiche Musik mit viel Gespür für Malipieros Klangwelt, die auch in diesen frühen Stücken schon individuell und im positiven Sinne eigenartig ist. Die Bläser klingen hell und frisch, die Streicher spielen „wie aus einem Guss“ (was sehr beeindruckend ist, denn das hat man selbst von renommierten Orchestern bei Malipiero-Einspielungen schon ganz anders, nämlich viel „zerfranster“ gehört). Die Holzbläser wissen ganz besonders zu begeistern und meistern selbst die schwierigen pizzicato-Ensemblestellen im zweiten Satz der „Impressioni dal vero II“ scheinbar ohne mit der Wimper zu zucken.

Der Klang ist herrlich ausbalanciert, schön warm (vor allem bei den Bläsern), perfekt ortbar und angenehm räumlich. Die Auflösung könnte zwar noch besser sein, doch sie liegt ebenfalls im oberen Qualitätsbereich. Alles in allem ist das Klangbild einfach faszinierend homogen und sehr sehr angenehm für den Hörer. Eine so schön ausbalancierte CD habe ich in diesem Jahr selten gehört, und das zum Klischee geschrumpfte Wort von der CD, bei der man sich sich in den Konzertsaal versetzt zu fühlen glaubt, erlebt durch dieses fantastische Tondokument endlich einmal wieder Bestätigung.

Für mich ist dies eine der bis jetzt wenigen ernsthaften Kandidatinnen zur Klassik-CD des Jahres. Warten wir mal ab, was die kommenden Monate noch bringen werden. Doch ich bin mir fast sicher, dass diese großartige Aufnahme am Jahresende auf der Klassik-Bestenliste von www.the-listener.de sehr sehr weit oben wieder auftauchen wird.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise von der Firma Naxos zur Verfügung gestellt.))

Stöbern

Verwandte / ähnliche Artikel:

Archiv

Alle Reviews können im Archiv nachgeschlagen werden. Dort ist auch eine gezielte Suche möglich.