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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Eindrücke vom Brüsseler Offscreen-Festival III (2. Teil)

NDW, Pink & Violent, 10.000 Ways to Die

von Frank Castenholz  •  21. März 2010

Der Musiker Felix Kubin führte durch den deutschen Abend des Festivals. Thema war NDW, so dass wir nach dem Spielfilm auch eine obskure Fernsehdokumentation über die damalige Szene zu sehen und ein DJ-Set von Kubin zu hören bekamen.

Tscherwonez (Deutschland, 1982) von Gabor Altorjay wurde einst für das Kleine Fernsehspiel gedreht und war in dieser Reihe so erfolgreich, dass der Film später noch mehrmals wiederholt wurde. Schwer vorstellbar, dass ein ähnliches Werk heute noch Chancen auf Finanzierung und Publikumserfolg im öffentlichrechtlichen Rundfunk hätte. Erzählt wird die Geschichte des russischen Matrosen Dimitri (Tom Dokupil, Keyboarder von The Wirtschaftswunder), der sich bei einem Landgang in Hamburg von seinen Kameraden absetzt und auf die Suche nach seinem verschollenen Bruder macht. Auf seiner Odyssee durch die Hafenstadt sind ihm der KGB, die deutsche Geheimpolizei, Journalisten und Waffenhändler auf den Fersen. Finanziell schlägt er sich mit ein paar russischen Goldmünzen durch, die dem Film seinen Namen geben. Gedreht wurde hauptsächlich mit Musikern, Laiendarstellern und Hamburger Kiezgrößen an Original-Schauplätzen. Die Erzählweise ist lakonisch, der Humor skurril, der Film hält gekonnt die Balance zwischen Melancholie und Komik. Die Schwarzweißaufnahmen erhalten von Szene zu Szene unterschiedliche Farbstiche, mal grau, mal rötlich, oder blau. Den tollen Soundtrack steuert die Band The Wirtschaftswunder bei. Kurz: es wurde alles richtig gemacht!
Der Film ist laut Regisseur Altorjay, der nach der Vorführung Fragen zum Film beantwortete, noch nicht auf DVD erschienen. Er wird aber ab und zu bei Festivals wie diesem gezeigt.

Der Teil des Festivals, der sich der japanischen Exploitation widmete („Pink & Violent“) startete mit drei Filmen der Sasori Scorpion-Reihe, in denen Meiko Kaji als weibliche Insassin diverser Gefangenenlager nahezu christliche Torturen zu überstehen hat und damit die Bürde allen Leids und aller Willkür dieser Welt unerschrocken auf sich nimmt – allerdings vergibt sie zur Freude des Publikums nicht ihren Schuldigern.

Weiter ging es mit Sex and Fury, einer der Großtaten von Norifumi Suzuki, in der es zum göttlichen Aufeinandertreffen von Reiko Ike und Christina Lindberg kommt, east meets west, a marriage in heaven…

Eingestiegen bin ich selbst dann wieder bei Stray Cat Rock: Sex Hunter von Yasuharu Hasebe (1970).
Die von Meiko Kaji angeführte Girl Gang „Alleycats“ legt sich mit den rassistischen Mafiosis „Eagles“ an, als diese einen japanisch-schwarzen „half breed“, der auf der Suche nach seiner Schwester ist, triezen und aus der Stadt vertreiben wollen. Neben den putzigen Go-Go-Szenen im Nachtclub prägt sich insbesondere der abschließende Shoot Out ein, der eine unerwartet tragische Auflösung bringt. Als früher Vertreter der „Pinky Violence“-Sparte durchaus sehenswert, das Erzähltempo ist aber etwas holprig und die Mädels können den Schurken leider nie so recht Paroli bieten. Anders beim nächsten Film…

Girl Boss Guerilla (von Norifumi Suzuki, 1972)
“When the Red Helmet Gang decides to move from Shinjuku to Kyoto, a battle with the local yakuza ensues. Girls on bikes fighting other girls on bikes, sex, violence, slapstick and a nun. This film has it all! Starring two of the biggest cult icons of the pinky era: Miki Sugimoto and Reiko Ike.”
Wie in japanischen Exploitation-Filmen üblich fließen auch hier wieder Elemente verschiedener Genres ineinander, der Zuschauer wird mit Drama, Krimi, Sex und diversen komödiantischen Albernheiten verwöhnt, das alles in ausgesuchter Optik und mit schmissigem Soundtrack untermalt. Auf Norifumi Suzuki ist auch diesmal Verlass: mit dieser Gang von Mopedmiezen ist nicht zu spaßen!

Weitaus irritierender war indes Star of David: Beautiful Girl Hunter (1979), ebenfalls von Suzuki. Ein junger Mann, der einst durch eine Vergewaltigung gezeugt wurde, entwickelt eine pathologische Neigung zu Folter und Sadismus. Er bewegt sich zwischen dem großbürgerlichen Vorzeigeleben, in dem er eine zärtlichscheue Zuneigung zu seiner Jugendliebe hegt, und dem Ausleben seiner sexuellen Phantasien (die wohl den verdorbenen Genen seines Vaters geschuldet sind), zu deren Verwirklichung er junge Frauen entführt, sie in seinen Keller sperrt, missbraucht und zu Sklavinnen abrichtet.
Fast alles an diesem Film ist merkwürdig, verstörend und unerhört. Diverse story twists bis hin zum Ende, in dem die Unter- und Oberwelt des Girl Hunters aufeinander prallen, sind so unerwartet oder „unkorrekt“, dass man sich verwundert die Augen reibt. Wofür oder wogegen das Drehbuch streitet, bleibt offen, die Widersprüche zwischen einzelnen Szenen, die mal romantisch verklärend, mal hochdramatisch, mal sexistisch oder gar von sadistischer Brutalität gezeichnet sind und den Protagonisten letztlich als tragischen Helden stilisieren, sind schwer zu schlucken. Das japanische Kino ist ja nicht arm an Seltsamkeit, aber „Star of David“ verdient in dieser Kategorie einen Ehrenplatz.

Von der umfangreichen Italo-Western-Retrospektive habe ich leider nur The Great Silence (a.k.a. Il Grande Silenzio, 1968) von Sergio Corbucci von der offenbar einzigen noch existierenden 35 mm-Kopie und Django Kill… If You Live, Shoot! (a.k.a. Se sei vivo, spara!, 1967) von Giuilio Questi sehen können, beide rangieren im Kanon des Spaghetti-Western an prominenter Stelle. Vorgestellt wurden die Filme durch den britischen Regisseur Alex Cox (Sid & Nancy, Repo Man…), der jüngst ein sehr empfehlenswertes, erfreulich meinungsfreudiges und entsprechend streitbares Buch namens 10.000 ways to die – a director’s take on the spaghetti western (Kamera Books, 2009) veröffentlicht hat – das einzige einschlägige Buch, das nicht Clint Eastwood auf dem Cover hat, wie er stolz verkündete.

Cox schien mir im Gespräch ein sehr sympathischer, kenntnisreicher, begeisterungsfähiger und unprätentiöser Filmemacher zu sein, der sich für jeden Buchkauf überschwänglich bedankte und sich nach den Vorstellungen interessiert nach den gewonnenen Eindrücken erkundigte. Als Widmung schrieb er mir, eine Dialogzeile des von Henry Fonda gespielten Antihelden Frank aus Sergio Leones „Once Upon A Time In The West“, „Frank… Only at the point of dying (a long time from now)“ ins Buch.

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