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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Charles Ives - Symphonien Nr. 1 & Nr. 4
Dallas SO - Andrew Litton

(2006)
Hyperion

• •

Charles Ives - Symphonien Nr. 1 & 4

(SACD)

von Rainer Aschemeier  •  8. Februar 2007

Die hier besprochene Veröffentlichung ist bereits im Spätherbst 2006 erschienen. Das interessante Repertoire, das hier zum ersten Mal überhaupt auf dem Medium SACD vorliegt, rechtfertigt aber auch eine späte Besprechung.

Die vier nummerierten Sinfonien von Charles Ives gehören wohl zum Interessantesten, was man im Bereich der sog. „klassischen Musik“ überhaupt hören kann. Jede der vier Kompositionen ist ein echtes Stilunikat und unterscheidet sich im Regelfall krass von ihrem jeweiligen Vorgänger und Nachfolger.

Charles Ives – der zu seinen Lebzeiten mehr als Versicherungskaufmann denn als Komponist von sich reden machte – ist aus heutiger Sicht eines der verkannten Genies der Musikgeschichte. Er experimentierte bereits mit Zwölftonexperimenten als Brahms noch lebte (!) und Schönberg noch nicht mal an Zwölftonreihen dachte. Polymetrik, Collage, graphische Notation, Bitonalität, Clusterbildung, etc. – all das findet sich bei Ives sehr früh, teilweise musikgeschichtlich sogar erstmals.

Erst in den späten 1940er Jahren – Ives war bereits schwer herzkrank – erkannte man die Genialität seiner anarchisch anmutenden Klangwelt, welche „brave“ Spätromantik (Sinfonie Nr. 1, Streichquartett Nr. 1), American Folk-beeinflusste Kompositionen („Three Places in New England“, „The Camp Meeting“), chaotisch anmutende Klangcollagen (Sinfonie Nr. 4, Sinfonie „Holidays“, „Central Park in the Dark“) sowie sogar extrem moderne Ansätze von unaufführbarer, „theoretischer“ Musik („Universe Symphony“) umfasste.

Ives’ Musik vermittelt die kompromisslose und erschütternde Offenheit der durch Musik bloßgelegten Existenz eines Menschen, der vielleicht wusste, dass der Großteil seiner Musik zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt werden würde. Ironie des Schicksals: CDs der Ives-Symphonien sind heute vermehrt zu finden und gewinnen immer mehr Fans. Es ist, gerade in den letzten Jahren, fast ein Ives-Boom absehbar geworden.

Konsequenterweise liegen jetzt alle vier Symphonien erstmals auch im SACD-Format vor. Das überrascht nicht. Überraschend ist vielmehr, dass gerade ein von bislang national gefärbten Veröffentlichungen geprägtes Plattenlabel aus Großbritannien (Hyperion) auf diese Idee gekommen ist. Hyperion bietet auf zwei SACDs Livemitschnitte des Dallas Symphony Orchestra, das bislang nicht unbedingt durch erhöhte Medienpräsenz auffiel. Bekannter ist da schon der Name des Dirigenten der vorliegenden Einspielung: Andrew Litton ist weithin als Kenner und Könner der amerikanischen Musikmoderne bekannt und geschätzt, die er jahrelang als Chefdirigent des viel gelobten Bournemouth Symphony Orchestra auf die britische Insel exportierte.

Umso erstaunlicher ist, wie wenig überzeugend die vorliegende Einspielung ausfällt. Fast alle „Konkurrenten“ am Markt haben Besseres vorzuweisen. Allen voran James Sinclair auf Naxos, gefolgt von Michael Tilson Thomas auf RCA und Leonard Bernstein (ebenfalls RCA). Zu allem Überfluss hat Hyperion, trotz der exorbitanten Samplerate des SACD-Formats, keinen besonders guten Sound auf Tonträger bannen können. Der Klang kann zwar nicht als schlecht bezeichnet werden, kommt aber zu keiner Zeit an die fantastischen SACDs aus dem Hause Telarc heran und muss selbst vor dem tadellos aufgenommenen Naxos-Zyklus („normale“ CD) der Ives-Symphonien die Segel strecken.

Die vorliegende Veröffentlichung (meine Kritik bezieht sich hier nur auf die SACD der Symphonien 1 und 4, die zweite mit den Symphonien 2 und 3 liegt mir nicht vor) ist – so hart es klingen mag – nur guter Durchschnitt. Mit Durchschnittsware braucht sich aber heutzutage glücklicherweise kein Ives-Freund mehr abzugeben. Die Ives-Referenzklasse beansprucht weiterhin James Sinclair auf dem Naxos-Label für sich. Hoffentlich bekommen wir bald von dieser Seite die noch ausstehende vierte Symphonie zu hören!

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