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The Listener

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H. Berlioz - Harold in Italien / Römischer Karneval / Reverie et Caprice / Benvenuto Cellini-Ouvertüre
Orchestre National de Lyon – L. Slatkin / L. Berthaud (Viola)

(2014)
Naxos

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Hector Berlioz - Harold in Italien / Römischer Karneval / Reverie et Caprice / Benvenuto Cellini-Ouvertüre

Slatkin mit einer "Harold"-Referenz für das 21. Jahrhundert

von Rainer Aschemeier  •  4. August 2014
Katalog-Nr.: 8.573297 / EAN: 747313329779

Schon mit seiner Einspielung der „Symphonie Fantastique“ hatte Leonard Slatkin einen Auftakt nach Maß abgeliefert, als er 2012 als Chefdirigent des Orchestre National de Lyon seinen neuen Posten antrat (wir berichteten hier). Und schon immer war Leonard Slatkin vor allem auch für seine Einspielungen französischen Standardrepertoires gerühmt worden. Unvergessen etwa seine unglaublich energiegeladenen und spritzigen „Carmen-“ und „L’arlesienne“-Suiten von George Bizet, die der damals noch junge Slatkin als Chef des Saint Louis Symphony Orchestra für das Hifi-Label Telarc einspielte.

Nun hat Slatkin sein zweites Berlioz-Album binnen zwei Jahren vorgelegt, und es hinterlässt einen noch stärkeren Eindruck als seine ebenfalls starke „Symphonie Fantastique“ von 2012.
Slatkins Hang zum Lyrischen zum Hervorkitzeln des „Sanften“ in Berlioz‘ Stücken findet in der Sinfonie „Harold in Italien“ eine besonders dankbare Projektionsfläche. Mit Lise Berthaud steht Slatkin dabei eine Bratschensolistin zur Seite, die einen besonders schönen, kultivierten und eleganten Ton pflegt.

Ich würde für dieses Album sogar so weit gehen zu behaupten, dass Slatkins Interpretation an mancher sicher geglaubten Referenz kratzt. So glaube ich, dass es seit den einstigen Berlioz-Großtaten von Sir Colin Davis kaum eine überzeugendere Einspielung dieses Stücks gegeben hat. Slatkin toppt die Mitbewerber der letzten Jahrzehnte (inklusive großer Namen wie Lorin Maazel, Vladimir Ashkenazy, Sylvain Cambreling, usw.) scheinbar ganz ohne Mühe, findet einen viel konsistenteren und klangschöneren Ansatz als die meisten anderen Dirigenten im Vergleichsfeld. Er scheut sich nicht vor dezentem und in diesem Fall durchaus sinnvollem Rubato, er legt sehr viel Wert auf die poetische Qualität der Musik und lässt damit als einer von wenigen die Erinnerung daran aufkommen, dass diesem Stück als Inspiration die gleichnamige epische Dichtung Lord Byrons zugrundelag.

Damit schafft Slatkin weit mehr als das Gros seiner Kollegen, die sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten an dieses – in meinen Augen schönste – Sinfoniestück aus der Feder von Héctor Berlioz herangewagt haben. Als kleines Manko könnte man anführen, dass dem Orchester aus Lyon der sprunghafte Wechsel von der lyrischen Qualität ins kraft- und druckvolle Berlioz-Blechgewitter manchmal etwas dynamischer gelingen hätte können. Aber andererseits: Wo hat man das letzte Mal so eminent schöne Holzbläserlinien bei dieser Sinfonie gehört (vor allem die Oboe ist herausragend besetzt!).

Insgesamt gelingt es Slatkin eine Art „Referenz des 21. Jahrhunderts“ für Berlioz‘ „Harold“ vorzulegen, was schon eine wirklich beeindruckende Leistung ist. Objektiv kann man sicher die unsterbliche RCA-Einspielung von Charles Munch noch einen Tick besser finden, auch Sir Colin Davis hatte einfach das gewisse „Etwas“ für die Musik Berlioz‘. Aber dieses Album hat nicht viel weniger zu bieten, und es besitzt ebenfalls eine eigene, mutige Klangvision. Bei Slatkin ist Berlioz‘ „Harold“ ein in erster Linie lyrisches, poetisches Stück. Ich finde das sehr nachvollziehbar und im Übrigen einfach auch umwerfend klangschön!

Als Beigaben gibt es den berühmten „Römischen Karneval“ in einer wirklich schönen, melodieverliebt-tänzerischen Interpretation, die mir ebenfalls außergewöhnlich gut gefällt. Zudem bekommen wir das selten gehörte Doppel „Reverie et Caprice“ Op. 8 zu hören (wobei sich noch einmal Lise Berthaud mit ihrem schönen Bratschenklang hervortun kann) und auch noch die beliebte Ouvertüre zu „Benvenuto Cellini“, die ich mir persönlich etwas präziser gewünscht hätte.

Alles in allem: Ein prallvolles Album mit schönster Berlioz-Musik in Interpretationen die überwiegend außergewöhnlich gut sind und in Sachen „Römischer Karneval“ und „Harold in Italien“ an manchem falschen Referenz-Denkmal kratzen. Dies ist somit ein Album, bei dem man nicht nur für den berühmt günstigen Naxos-Preis nicht Besseres finden wird sondern auch bei nicht so preisbewussten Labels Mühe haben könnte, diese enorme Qualität zu toppen.
Da auch der Aufnahmeklang sehr ansprechend ist, gilt es hier, fast ausschließlich Lob zu verteilen. Oder anders ausgedrückt: Uneingeschränkte Kaufempfehlung! Und das schreibt einer, der sich ansonsten eher als Slatkin-Kritiker betrachtet (wie etwa hier nachzulesen ist).

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