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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Beethoven, Schumann, Thalberg, Liszt
Valentina Lisitsa (Klavier)

(2013)
Naxos

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Valentina Lisitsa - Beethoven, Schumann, Thalberg, Liszt

Ein Jahresauftakt, wie er besser nicht sein könnte!

von Rainer Aschemeier  •  1. Januar 2013
Katalog-Nr.: 8.572491 / EAN: 747313249176

Musikalisch beginnt das neue Jahr sehr gut – so viel lässt sich jetzt schon sagen! Grund für diese überzeugte Feststellung ist eine neue CD der 39-jährigen Pianistin Valentina Lisitsa, die zum Januarauftakt 2013 neu erschienen ist.

Lisitsa war spätestens im vergangenen Jahr einem großen Publikum bekannt geworden, als sie zusammen mit ihrer Duettpartnerin – der internationalen Star-Violinistin Hilary Hahn – ihr Debüt für das renommierte Label Deutsche Grammophon eingespielt hatte (Rezension dazu siehe hier). Es folgte eine umjubelte Live-CD für DECCA, die der Künstlerin weitere Anerkennung einbrachte.

Nun legt Lisitsa also auch ein pianistisches Solodebüt bei Naxos vor – und was für ein Debüt das ist!

Die CD beginnt gleich sehr ambitioniert mit Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 23 „Appassionata“. Von der ersten Sekunde an hat man den Eindruck, nicht nur irgendeiner x-beliebigen Neueinspielung beizuwohnen, sondern einer veritablen, wertvollen und erstaunlich überzeugenden Interpretation. Hier stimmt einfach alles: Die Tempi sind schwungvoll und hoch dramatisch, die Kraft, die Dynamik sind wuchtig und auch bis in leisteste Pianissimo-Nuancen ungemein facttenreich. Die Phrasierung ist äußerst durchdacht, wirkt niemals affektiert, sondern ist stets auf das große Ganze bedacht.
Am Ende steht die Frage im Raum, ob diese Einspielung der „Appassionata“ nicht sogar zu den ganz großen Errungenschaften gezählt werden muss, was dieses Repertoire angeht. Valentina Lisitsa erweist sich als äußerst überzeugende und zutiefst beeindruckende Beethoven-Interpretin, die die „Appassionata“ so tüchtig durchgepustet und abgestaubt hat, wie ich das zuletzt höchstens von Friedrich Gulda gehört habe!

Doch diese Ausnahmeperformance soll nicht die letzte auf dieser CD gewesen sein. Kaum hat man sich von dem (positiven) Schock angesichts der großartigen „Appassionata“-Interpretation erholt, folgt eine der besten, wenn nicht gar die beste Interpretation von Schumanns „Kinderszenen“, die ich in meinem musikalischen Leben je gehört habe.
Der Klavierzyklus, der von viel zu vielen Pianisten viel zu wenig ernstgenommen wird und daher sogar von zahlreichen Hörern ganz ungerechtfertigterweise als „Kindermusik“ wahrgenommen wird, ist in Wahrheit ein nicht nur äußerst wirkungsvoll komponiertes, sondern im engeren Sinne auch wirklich schwierig zu interpretierendes Werk. Zwar stehen die spieltechnischen Schwierigkeiten hier nicht in dem Umfang wie sonst bei Schumanns Klaviermusik im Vordergrund, doch wird durch die werkimmanente Programmatik hier dem Vortragenden viel empathisches Geschick abverlangt.
Wie viele lieblos und mit wenig Sinn für Psychologie „hingespielte“ Interpretation der „Kinderszenen“ gibt es doch am Markt. Und wie herausragend anders ist dagegen diese von Valentina Lisitsa. Selten habe ich diesen Zyklus schlüssiger, selten in solch überwältigender psychologischer Tiefe gehört. Diese Einspielung ist wahrhaftig etwas ganz Besonderes. Ich persönlich würde sie als die definitive Referenz bezeichnen und halte diese Aufnahme für noch überzeugender als diejenigen von Brendel, Demus, Horowitz oder Le Sage.

Mit der sehr selten zu hörenden „Grande fantaisie sur des motifs de Il barbiere di Siviglia“ (Op. 63) des heute fast vergessenen österreichischen Romantikers und einstigen Wunderkinds Sigismund Thalberg folgt ein knapp zehnminütiges Bonmot, das Thalberg-Fans begeistern wird, denn ich nehme an, dass dieses schwierige Stück in der technischen Brillanz, mit der Valentina Lisitsa es hier vorstellt, wohl noch nie eingespielt worden ist. Mich persönlich vermag das Stück nicht zu begeistern, wohl aber erneut die Interpretin, die sich hier keine Blöße gibt.

Mit Franz Liszts „Totentanz“ werden die spieltechnischen Anforderungen, die Valentina Lisitsa auf dieser mit fast 70 Minuten randvoll gepackten CD an sich selbst stellt, auf die Spitze getrieben. Atemberaubend ist das einzige Wort, das mir zu diesem Klavierwirbelwind einfällt, den Lisitsa hier entfacht. Mit offenem Mund sitzt man vor der HiFi-Anlage – und kriegt die Kinnlade nicht mehr zu. Es ist unglaublich, welch spieltechnische Meisterschaft sich hier offenbart.
Und nicht nur das: Auch in Sachen Emotionalität, Phrasierung und lyrischer Zugriff gelingt Lisitsa hier wieder eine annähernd perfekte Symbiose. Gerade bei Liszt geht mit vielen pianistischen Flitzefingern die Virtuosität durch (was an sich verständlich ist). Doch wie wichtig bei Liszt auch Phrasierung und Dynamik sind, sozusagen die „leisen Töne“, das wird von vielen seiner Interpreten häufig übersehen.
Valentina Lisitsa legt die Vielschichtigkeit von Liszts beklemmendem Stück offen, deutet wie mit dem Zeigefinger musikalisch auf hoch interessante Fugato-Stellen, die in anderen Einspielungen untergehen und zeigt damit auf faszinierende Weise, wie sehr Franz Liszt seinen „Totentanz“ auch als Auseinandersetzung mit der musikalischen Vergangenheit angelegt hat.

Fazit: Diese CD ist rundum empfehlenswert und gleich zum Jahresstart schon ein glühendheißer Kandidat für den Titel „the-listener.de-CD des Jahres 2013“ – und die Tatsache, dass ich mich traue, das schon Anfang Januar 2013 zu postulieren, zeugt von meiner geradezu überschwänglichen und zutiefst überzeugten Begeisterung angesischts dieser großartigen Katalog-Novität.

Abschließend noch ein Wort zum Klang – und da reicht ein Wort: Erstklassig!

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