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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

F. Poulenc - Kammermusik (Gesamteinsp.)
London Conchord Ensemble

(2012)
Champs Hill Records / note 1

• • •

Francis Poulenc - Kammermusik (Gesamteinspielung)

Beachtliche Gesamteinspielung des vielgestaltigen Kammermusikwerks von Francis Poulenc

von Rainer Aschemeier  •  29. Mai 2012
Katalog-Nr.: CHRCD028 / EAN: 5060212590299

Eine schöne, wenngleich schwer fassbare Doppel-CD ist auf dem von uns in letzter Zeit bereits vielfach gelobten britischen Label Champs Hill Records erschienen. Es handelt sich dabei um die Gesamteinspielung aller Kammermusikwerke des wohl prominentesten Mitglieds der legendären Komponistengruppe „Les Six“ – nämlich Francis Poulenc. Bereits mehrfach habe ich mich darüber ausgelassen, wie sträflich unterbewertet Poulencs Œuvre heutzutage ist (wer etwas darüber nachlesen möchte, kann das unter anderem hier und hier tun).

Davon will ich also nicht wieder anfangen. Nehmen wir einfach als gesetzt, dass Poulenc auf www.the-listener.de unzweifelhaft zu den Großmeistern des 20. Jahrhunderts gezählt wird.

Unter diesem Aspekt kann man eine solche Neuerscheinung, wie die hier vorgestellte nur in höchstem Maße begrüßen. Nun haben Interessenten, die sich schnell und vergleichsweise günstig in das Hauptwerk Francis Poulencs einhören wollen, die Gelegenheit, neben der seit Jahren erhältlichen, sehr guten DECCA-Box mit sinfonischen und Vokalwerken des Komponisten auf 5 CDs (Orchestre de Paris, Charles Dutoit), der Gesamteinspielung sämtlicher Lieder des Franzosen (4CDs in einer Box, ebenfalls bei DECCA) nun auch sämtliche Kammermusikwerke Poulencs zu durchforsten.

Ähnlich aber, wie es schon bei der Dutoit-Box bei DECCA war, ist auch die hier neu vorgelegte Gesamteinspielung der Kammermusikwerke Poulencs durch das Londoner Conchord Ensemble eine gar nicht mal unproblematische Sache. Es gibt einfach keinen „roten Faden“. Poulenc war ein so unglaublich wandlungsfähiger und vielseitiger Komponist, dass eine Gesamteinspielung aller Kammermusikwerke ehrlich gesagt kaum Sinn ergibt.
Die Musik ist so disparat, stilistisch und auch qualitativ divers, dass man die Stücke kaum als „Gesamtkunstwerk“ oder „Lebensleistung“ erfassen kann oder erfassen mag.

Stattdessen rückt das jeweilige Einzelwerk in den Vordergrund, und davon gibt es hier einige herausragende Exemplare, so etwa die ganz wunderbare Flötensonate, die mit ihren flirrenden Flötengirlanden wirkt, wie eine Sommerbrise über einem in voller Blüte stehenden Lavendelfeld. Mehr als das: Sie orientiert sich zudem einmal mehr ganz unverhohlen an Poulencs großem Vorbild Wolfgang Amadeus Mozart, den der Meister aus Frankreich bekanntlich in vielen seiner Werke direkt oder indirekt zitiert hat.
Die eigentlich gewichtigere Violinsonate hingegen vermag mich nicht zu überzeugen, wirkt stellenweise merkwürdig bemüht, was aber auch an einer nicht so ausgereiften Darbietung der Violinistin Maya Koch liegen mag.
Bei der interessanten Oboensonate kommt Emily Pailthorpe zum Einsatz, deren solistische Kunstfertigkeit erst Ende vergangenen Jahres auf einer ganz vorzüglichen Champs Hill-CD mit Werken von Vaughan Williams, Howells und Patterson zu hören war (Rezension dazu siehe hier). Auch auf dieser neuen Doppel-CD macht Pailthorpe wieder eine gute Figur. Ihr eher etwas kühler Stil passt hervorragend zu der von Poulenc durchaus expressiv angelegten Sonate, die – so gar nicht Poulenc-typisch – ein erstaunlich düsteres, zuweilen sogar zornig wirkendes Stück ist, das wahrscheinlich viele Poulenc-Interessenten erstaunen wird.
Ein außergewöhnlich schönes, mit vielerlei Jazz- und Popmusikeinflüssen durchsetztes Werk ist die Klarinettensonate, die wir ebenfalls im letzten Jahr schon einmal im Rahmen einer ganz fantastischen CD-Neuerscheinung des Naxos-Labels gehört hatten (Rezension dazu siehe hier). Auf der besagten Einspielung gaben der Klarinettist Ermanno Veglianti und der Pianist Enrico Maria Polimanti ihr Bestes und schafften es, eine nicht nur spieltechnisch ausgereifte Darbietung zu generieren, sondern darüber hinaus auch noch viel Herzblut mit ihrer Einspielung zu vermitteln. Das war eine Großtat der Poulenc-Diskographie, die im Rahmen der hier vorgestellten Neuerscheinung leider nicht getoppt werden konnte. Zwar zeigen hier Maximiliano Martin (Klarinette) und Julian Milford (Klavier) ebenfalls eine technisch einwandfreie Leistung, doch ist die emotionale Ebene dieser nuancenreichen Musik weniger überzeugend eingefangen worden, als letztes Jahr auf der CD von Veglianti und Polimanti auf Naxos.
Die eindeutig beste Einspielung auf der ersten CD dieses reich ausgestatteten Doppelpacks bildet die Poulenc’sche Cellosonate, die von Thomas Carroll (Cello) und Julian Milford (Klavier) nicht nur mitreißend und geradezu herzerfrischend dargeboten wird, sondern auch spieltechnisch ein echtes Highlight dieser CD-Veröffentlichung ist.

Auf der zweiten CD wird es dann sehr divers und kleinteilig. Nicht weniger als neun verschiedene Werke, teilweise mit Bagatellcharakter und kaum mehr als ein paar Minuten lang, teilweise aber auch von großem Repertoirewert, begegnen uns hier. Interessant sind eigentlich alle, im engeren Sinne „wichtig“ aber nicht unbedingt.
Das eröffnende Sextett für Klavier, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und Horn ist ohne Zweifel ein Hauptwerk im Poulenc’schen Kammermusikschaffen und bildet in einer faszinierend eingeprobten Einspielung der schon vorgestellten Solist/innen des London Conchord Ensemble fraglos das Highlight dieser Doppel-CD, zumal das Sextett auch zu den besonders einfallsreichen und schönen Kompositionen Francis Poulens gehört. Wäre die ganze CD so, gäbe es hier wahrscheinlich eine fünf-Punkte-Wertung.
Sehr kurios ist übrigens auch eine eingestreute Sarabande für Sologitarre, bei der sich Poulenc als kompromissloser Neoklassizist outet. Gitarrist Tom Ellis spielt das Stückchen – das die Aufmerksamkeit des Hörers wohl verdient hat – in einer überzeugenden Mischung aus abgeklärter Entrückung und impressionistischer Maniriertheit – was den Kern der Sache trifft. Bei dieser Darbietung gefällt mir die Tontechnik besonders gut.

Ich belasse es bei der Vorstellung der oben genannten Stücke, obwohl es, wie gesagt, noch mehr – überwiegend gut- bis erstklassige Darbietungen auf dieser CD gibt.

Die sonst bei Champs Hill-Records faszinierende Klangqualität wird auf dieser Aufnahme leider nicht erreicht. Zwar handelt es sich hier um eine im internationalen Labelvergleich noch sehr gut klingende Aufnahme, doch andere Champs Hill-CDs klingen oft weit, weit besser – vor allem in Belangen der akustischen Auflösung und der Natürlichkeit der aufgenommenen Instrumente. Ob es daran liegt, dass bei der hier vorliegenden Aufnahme ausnahmsweise einmal nicht der Champs Hill-Haustonmeister Alexander van Ingen an den Reglern saß? Es ist schon erstaunlich, wie groß der Unterschied zwischen unterschiedlichen Tonmeistern sein kann, obwohl die Recording Location gleich geblieben ist, denn auch diese Cd wurde (wie fast alle vorherigen Einspielungen des britischen Labels) in der Konzerthalle von Champs Hill in Sussex aufgezeichnet, die uns schon des Öfteren durch eine auf den CDs hörbare ausgezeichnete Akustik aufgefallen war.
Aber man muss eben auch den richtigen Tonmeister haben, um eine Raumakustik optimal einfangen zu können. Dies war hier leider nicht in jeder Hinsicht der Fall.

Und so ergibt sich als Fazit eine Wertung im guten, aber nicht sehr guten Bereich. Recht stark schwankende Leistungen der Solisten des Conchord Ensembles sowie eine diesmal nur moderat gute Tontechnik führen dazu.
Nichtsdestotrotz ist diese einzige erhältliche Gesamteinspielung von Poulencs Kammermusikwerken ein guter Fang, denn sie enthält viel von der schönsten Musik dieses weithin unterschätzten Komponisten in überwiegend sehr ansprechenden Einspielungen. Aufgrund der Besetzungsdiversität, die Poulencs Kammermusik erfordert, ist nach meiner Einschätzung kaum davon auszugehen, dass wir bald alternative Gesamteinspielungen der hier vorgestellten Werke zu hören bekommen werden. Einzeleinspielungen sicherlich aber sehr wohl…

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „note 1“, zur Verfügung gestellt.))

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