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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

A. Glasunow / N. LeFanu / K. Meyer - Saxophon-Konzerte
Niederländische Radio-Kammer-Philharmonie - M. Hamel, J.-E- Kelly (Saxophon)

(2012)
NEOS

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Glasunow, LeFanu, Meyer - Saxophonkonzerte

Sternstunden für ein "aquatisches Instrument"

von Rainer Aschemeier  •  26. Mai 2012
Katalog-Nr.: NEOS 10910 / EAN: 4260063109102>

Die meisten Musikhörer kennen es so gut wie ausschließlich aus der Jazzmusik, nicht wenige halten es im klassischen Orchester perse für verzichtbar, und Claude Debussy beschimpfte es einst als „aquatisches Instrument“: Das Saxophon.
Keine Frage – das Saxophon hatte es als relativ späte Entwicklung nicht leicht, sich im klassischen Sinfonieorchester durchzusetzen. 1840 von dem belgischen Instrumentenbauer Adolphe Sax erfunden, bekam es mit seinem sonoren Sound ab 1845 zunächst einen Stammplatz in französischen Militärkapellen. Erst einige Zeit später entdeckten es auch ernstzunehmende Komponisten wie Hector Berlioz oder Giacomo Meyerbeer für ihr Orchester.

So richtig spannend wurde es erst, als der Jazz in den 1920er-Jahren in der Popmusik für einen Saxophon-Boom sorgte, dem sich auch die Vertreter der sogenannten E-Musik nicht entziehen konnten: Alban Berg, Igor Strawinsky, Ralph Vaughan Williams, Maurice Ravel, Benjamin Britten – und ja, auch Claude Debussy komponierten Musik mit prominenten Saxophonparts. Ein veritables Saxophonkonzert schrieb jedoch niemand von ihnen.
Und so kommt es, dass ausgerechnet einer der Komponisten, die ansonsten inzwischen von der breiten Musikhörermehrheit fast vergessen sind, das bis heute meist gespielte und populärste Saxophonkonzert für sich verbuchen kann. Es wird selbst bis tief hinein in die Provinz immer wieder auf den Spielplänen zu entdecken sein und kann auf eine reiche Einspielungshistorie auf Schallplatten und CDs zurückblicken.
Die Rede ist von dem wunderschönen Saxophonkonzert Alexander Glasunows. Glasunow war Professor für Instrumentation am St. Petersburger Konservatorium und Lehrer einer gefühlt unüberschaubaren Zahl von russischer Komponistenprominenz wie etwa Dmitri Schostakowitsch, Sergej Prokoffjew oder Nikolai Mjaskowski (um nur die drei Wichtigsten zu nennen). In den späteren Jahren seines Lebens bekam Glasunow schwerwiegende gesundheitliche Probleme, die wohl auch auf eine jahrelange „Karriere“ als Alkoholiker zurückzuführen waren.
Dennoch machte sich der bereits kranke Komponist noch zwei Jahre vor seinem Tod daran, ein herrliches Saxophonkonzert zu schreiben, das wir auf dieser Neuerscheinung des Münchener Labels NEOS in einer Spitzendarbietung zu hören bekommen.

Ausführender Solist und Dirigent der hier vorgestellten Einspielung ist John-Edward Kelly, dessen Lehrer Sigurd Rascher war. Rascher wiederum war Solist bei der Uraufführung des Glasunowschen Konzerts im Jahr 1934 im schwedischen Nyköping.
Obwohl es dieses Werk in vielen guten Darbietungen gibt (mein Favorit war bisher die Einspielung mit dem niederländischen Solisten Arno Bornkamp und dem Niederländischen Radiosinfonieorchester auf challenge classics), gehört doch diese hier auf NEOS fraglos zu den allerbesten, ist vielleicht sogar die bisherige Topaufnahme dieses unwiderstehlich anziehenden Werks.

John-Edward Kelly verfügt über ein ungewöhnlich hohes Maß dynamischer Abstufungen und über eine außergewöhnliche Virtuosität. Während dies Glasunows Saxophonkonzert eher „beiläufig“ zugute kommt, kann Kelly bei den beiden anderen Stücken auf dieser CD wirklich alles zeigen, was sein Instrument hergibt.

Sowohl die irische Komponistin Nicola LeFanu (eine Enkelin des irischen Kultschriftstellers Sheridan LeFanu, der eine Art irische Antwort auf E.T.A. Hoffmann war) als auch der polnische Komponist Krzysztof Meyer beschränken sich nicht darauf, das Saxophon als bloßes Blasinstrument zu betrachten. Bei ihnen wird es auch als quasi perkussives Gestaltungselement eingesetzt. Obertöne werden geradezu provoziert, herausgekitzelt, möglichst ungewöhnliche Klangeffekte sollen erzielt werden.

Während dies bei Krzysztof Meyer recht gut funktioniert – einfach auch deshalb, weil er als einstiger Freund Witold Lutosławskis und als heute noch aktiver zeitgenössischer Komponist einen adäquat modernen Stil pflegt -, ist das Konzert für Altsaxophon und Streichorchester von Nicola LeFanu in meinen Augen deutlich weniger gelungen. LeFanu müht sich, ihrem Konzert einen modernen Anstrich zu verpassen, kann aber nicht verhehlen, dass ihr neoromantische Klänge á la Michael Nyman eigentlich lieber gewesen wären.
Damit will ich nichts gegen Neotonalität gesagt haben, doch Nicola LeFanus Saxophonkonzert wirkt dadurch eher aufgesetzt und nicht wie „aus einem Guss“.
Da ist Krzysztof Meyers Konzert schon etwas ganz Anderes. Es hebt sich schon vom Aufbau des Werks her bewusst vom Vorbild Glasunow ab (was LeFanu übrigens nicht macht) und stellt das Saxophon in zwei gegensätzlichen Abschnitten (betitelt mit „Quieto“ und „Inquieto“) quasi sich selbst gegenüber.
Sein Ansatz ist nicht nur ein Konzert mit einer originellen Form und einer traditionsbewusst modernen Tonsprache, sondern es ist auch eine Ausstellung des Soloinstruments. Wie in einer Vitrine wird hier das Saxophon in all seinen Facetten gezeigt – von goldglänzend und schillernd bis hin zu schnatternd und lärmend.

Klangtechnisch ist die CD durchaus gelungen, lässt es aber etwas an akustischer Auflösung fehlen. Nichtsdestotrotz kann man hier ohne Bedenken von einer hochklassigen Tontechnik sprechen, auch wenn sie höchsten HiFi-Ansprüchen vielleicht nicht in allen Details gerecht wird.

Fazit: Seit langer Zeit hat es kein so spannendes Saxophon-Album im klassischen Bereich mehr gegeben. Alle vertretenen Stücke sind sehr hörenswert und werden von der renommierten Niederländischen Kammerphilharmonie unter der Leitung von Micha Hamel konsequent erstklassig dargeboten. Der absolut fabelhafte Solist John-Edward Kelly ist dann gewissermaßen das „i-Tüpfelchen“ auf einer rundum gelungenen CD-Produktion.

Glückwunsch an das Münchener NEOS-Label zu dieser wunderbaren Einspielung! Für mich ist sie zumindest in Sachen Glasunow die neue Referenz am Markt.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Label zur Verfügung gestellt.))

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