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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

The Art of Vivaldi's Lute
The Bach Sinfonia, Daniel Abraham; Ronn McFarlane (Laute)

(2011)
Sono Luminus

• •

Antonio Vivaldi - "The Art of Vivaldi's Lute"

Von verschwindenden Lauten und fehlenden Cembali

von Rainer Aschemeier  •  7. Juli 2011
Best.-Nr.: DSL-92132 / EAN: 05347921322

Vor 40 oder 50 Jahren wurde Barockmusik noch musiziert, wie man das situativ gerade für angebracht hielt. Da wurden Bachs Partiten für Violine Solo noch mit viel Vibrato und dem gewissen „Zigeuner-Pepp“ gegeben, und bei Konzerten wurde die Basso Continuo-Begleitung, wenn man gerade kein Cembalo da hatte, gern auch mal durch ein modernes Klavier ersetzt oder — konsequenterweise — gleich komplett weggelassen. Doch nach und nach erkämpften sich einige hartnäckige Orchester und Dirigenten mit überzeugenden Aufführungen auf „Originalinstrumenten“ der Barockzeit und einer historisierenden Aufführungspraxis den Ruf, dass Barockmusik unbedingt so klingen müsse – und nicht anders.

Beide Pole dieser Entwicklung sind extrem, und wir werden nun einmal nie sicher wissen können, wie Vivaldis, Bachs oder Couperins Musik zu deren Zeit wirklich geklungen hat. Wir können es nur ahnen, und desalb ist es selbstverständlich legitim, weiter nach neuen Wegen der Aufführungspraxis zu suchen. Doch wenn der Schuss derart „nach hinten“ losgeht, wie in der hier vorliegenden Eispielung, dann ist das schon eine Erwähnung wert. Das US-amerikanische Barockorchester „The Bach Sinfonia“ ist eine von noch immer nur wenigen Orchestervereinigungen in den USA, die sich der historischen Aufführungspraxis verschrieben haben. Auf ihrem aktuellen Album „The Art of Vivaldi’s Lute“ bietet man ein buntes Programm von Werken des venezianischen Barockkomponisten, in denen die Laute mal mehr, mal weniger prominent eine Rolle spielt. Solche Zusammenstellungen gab es schon häufig auf dem Klassikmarkt. Also musste eine besondere „Idee“ her, die das Album mit dem notwendigen „Alleinstellungsmerkmal“ (so nennen das die Vertriebsleute gern, wenn ihnen die Qualität der Aufführung oder die Prominenz der Ausführenden allein nicht ausreicht, um die CD als gut verkäuflich zu betrachten) auszustatten. Die Ausführenden entschieden sich dazu, Vivaldis Musik ohne Cembalo aufzuführen und die Basso-Continuo-Begleitung per Theorbe zu erledigen. Das Label ergeht sich in der Produktinformation in Ausführungen darüber, wie innovativ dieser „neue Ansatz“ sei und dass dadurch die Laute — die ja hier im Focus stehen soll — nun erst so richtig zu Glanz und Gloria kommt, weil das böse Cembalo nicht mehr den Gesamtsound stört.

Das ist von mir nun freilich etwas überspitzt dargestellt, aber ich muss zugeben, dass mich dieser Aufführungsansatz wirklich ärgert. Wie kann man bitteschön so etwas schreiben? In Wahrheit nämlich ist es doch so: Durch den willkürlichen Verzicht auf das Cembalo wurde eine höchst künstliche Klangumgebung geschaffen, und durch den Einbezug einer Theorbe als Basso Continuo-Instrument wurde das Cembalo durch eine Basslaute (nichts anderes ist ja eine Theorbe) ersetzt. Die Sololaute wird dadurch durchaus nicht in den Vordergrund gestellt, denn sie muss ja jetzt mit dem sehr ähnlichen Klangbild der begleitenden Theorbe „konkurrieren“. Wo liegt da der Vorteil?
Mal abgesehen davon, dass es Vivaldi wahrscheinlich im Traum nicht eingefallen wäre, das Cembalo bei solchen Stücken durch ein Lauteninstrument zu ersetzen und es somit kaum einem historisch „korrekten“ Klangambiente dient, was „The Bach Sinfonia“ hier macht, bringt dieser Eingriff auch gravierende klangliche Probleme mit sich. Außerdem — und das ist vielleicht das größte Übel — bedeutet der Verzicht auf das Cembalo auch den Verzicht auf die sagenhafte Dynamik der Musik, die man bei guten Vivaldi-Aufnahmen manchmal fast mit Händen greifen zu können glaubt.

Bei manchen Stücken auf dieser CD frage ich mich zudem, was sie mit dem Programm „The Art of Vivaldi’s Lute“ zu tun haben. Bei der eingespielten Kantate „In Turbato mare irato“ etwa besitzt die Laute ausschließlich begleitende Funktion und verschwindet fast komplett im Ensembleklang (im ihr aufgezwungenen „Duett“ mit der Theorbe sowieso…).

Der absolute Tiefpunkt ist aber mit dem berühmten Konzert für Viola d’amore und Laute in d-Moll, RV 540, erreicht. Ich habe noch nie (!) einen so krassen Viola d’amore-Sound gehört. Zuerst dachte ich, der Toningenieur der Aufnahme hätte es bei dem Versuch, den typischen Klangcharakter der Viola d’amore einzufangen (die im Unterschied zur „normalen“ Viola bekanntermaßen Resonanzsaiten aus Metall aufweist), gewissermaßen „zu gut gemeint“. Doch das ist nicht der Fall; es ist schlimmer: Der Solist spielt definitiv nicht auf professionellem Niveau und scheint einfach sein Instrument nicht so im Griff zu haben, wie er es sollte. Und das ist leider nicht das einzige Problem dieser Art: Die erste Geige im Trio C-Dur, RV 82 lässt ebenfalls sehr zu wünschen übrig, und wenngleich man der Sopran-Solistin der eingangs genannten Kantate nicht wirklich vorwerfen könnte, sie würde auf irgendeine Art und Weise „schlecht“ singen, so muss man doch feststellen, dass man auch in dieser Hinsicht schon bedeutend Besseres gehört hat.
Ich weiß, dass es wahrscheinlich schwer genug ist, in Amerika überhaupt Ensembles aufzutreiben, die sich um historische Aufführungspraxis kümmern, doch wir sind in Europa nun auch einmal in dieser Hinsicht verwöhnt. Und da muss man einfach feststellen: Einige der Darbietungen auf dieser CD erreichen das Niveau von besseren Provinzorchestern, aber nicht mehr.

Auch der Aufnahmeklang wird dem hohen Anspruch des Labels Sono Luminus, das sich ja als Hifi-Label versteht, leider nicht gerecht. Der Gesamtklang entpuppt sich als merkwürdig mittenbetont, in den Höhen „gedeckelt“ und unsauber im Hall. Die Instrumente sind nicht wirklich gut ortbar und auch das Bassfundament könnte etwas kräftiger sein. Immerhin ist die Streichergruppe bei den Konzerten sehr schön aufgenommen worden; doch das (zumindest programmatisch als solches ausgewiesene) Hauptinstrument Laute verschwindet des Öfteren auch dann in den Tiefen des Ensembles, wenn es eigentlich hörbar bleiben müsste.
Es ist auch deswegen erstaunlich, dass sich Ronn McFarlane, der hochgradig namhafte, einst von der Rockmusik zur Laute geläuterte Virtuose, für eine solche Aufnahme „hergegeben“ hat.

Ich würde sehr sehr gern positivere Dinge über diese CD schreiben, denn die aufgenommenen Stücke gehören mit zum Schönsten, was wir von Vivaldi kennen, und auch das Sono Luminus-Label ist mir perse sehr sympathisch, doch „The Art of Vivaldi’s Lute“ ist wirklich nicht „State of the Art“. Es ist — so hart das auch klingen mag — auch kein Durchschnitt mehr, denn dazu sind die Mängel dieser Einspielung zu gravierend und zu offensichtlich.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise von der Firma Naxos zur Verfügung gestellt))

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