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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

G. J. Werner - Musikalischer Kalender
Aura Musicale

(2011)
Hungaroton / Klassik-Center Kassel

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Gregor Joseph Werner - Musikalischer Kalender

Optimales Geschenk für Hörer, die schon "alles" haben...

von Rainer Aschemeier  •  9. Juli 2011
Best.-Nr.: HCD 32654-55 / EAN: 5991813265425

Manchmal ist es direkt ein wenig traurig, wenn man sieht, wie sehr die Nachwelt manche Komponisten mit Nicht-Achtung strafte, obwohl diese zu Lebzeiten hoch angesehen waren und ein beachtliches Lebenswerk hinterlassen haben. Ein besonders tragischer Fall dieser Art ist der Komponist Gregor Joseph Werner. Hier haben wir es mit dem typischen Phänomen zu tun, dass ein guter Komponist ganz schnell vergessen ist, wenn ein noch besserer Komponist auf ihn folgt. Wenn dieser „noch bessere“ Komponist dann auch noch nicht weniger als ein Ausnahmegenie ist, dann sind Hopfen und Malz verloren.

Beginnen wir aber von vorne: Gregor Joseph Werner wurde am 02. Januar 1693 in Ybbs an der Donau geboren, also im heutigen Niederösterreich. Man vermutet, dass er noch in seinem Geburtsort eine musikalische Grundausbildung erhielt und die weitere Ausbildung in einer benachbarten kirchlichen Einrichtung absolvierte, denn auf einem Dokument von 1741 wird er als „Organist“ geführt. Den im CD-Booklet der hier besprochenen Neuveröffentlichung gegebenen Hinweis darauf, Werner habe womöglich in Wien bei dem seinerzeit renommierten Komponisten Joseph Joachim Fux studiert, habe ich keinem Musiklexikon sonst finden können. Lassen wir es einfach mal dahingestellt, wie es sich damit verhält. Das Wichtigste ist eh, dass Werner sich nicht lange in Wien aufhielt, sondern alsbald eine neue Stelle antrat — und zwar als Hofkapellmeister bei den Esterhazys in Eisenstadt. Und so lichten sich die Schleier…

Bei dem „Ausnahmegenie“, das später die Stelle von Gregor Joseph Werner einnehmen sollte, handelte es sich natürlich um niemand Geringeren als Joseph Haydn. In den zahlreichen Haydn-Biografien, die im Umlauf sind, kommt Amtsvorgänger Werner meist nicht gut weg. „Modehansl“ soll er Joseph Haydn genannt haben oder gern auch mal „G’sanglmacher“. Überliefert ist jedenfalls eine hochoffizielle Beschwerde Werners beim musikalischen Fürsten, in der er Haydn ankreidet, die Hofmusik „nachlässig“ zu führen. Und damit wäre Gregor Joseph Werner wohl auf ewig als „Unsympath“ im musikalischen Weltgedächtnis abgespeichert — wäre da nicht der „Musikalische Kalender“, der einfach zu wunderbar ist, um ihn nicht auf den ersten Blick lieb zu gewinnen.

Die Sinfonie als klassisch viersätzige Form mit einleitendem Allegro, langsamem zweiten Satz, Menuett oder Scherzo sowie furiosem Finale war zwar noch nicht wirklich erfunden, doch in seinem „musikalischen Kalender“ schert Werner das relativ wenig. Da soll noch einmal einer behaupten, Joseph Haydn wäre neben Sammartini der einzige, der als „Vater“ der Sinfonie moderner Prägung infrage käme. Für meine „Nicht-Musikwissenschaftler“-Wahrnehmung ist das, was wir hier zu hören bekommen, ein Zyklus von zwölf jeweils viersätzigen Stücken, die doch jedes für sich frappierend an „Sinfonien im Frühstadium“ erinnern. Jedes Stück ist einem Monat des Jahres gewidmet und stellt in musikalischer Form typische Natur- und Kulturereignisse des jeweiligen Monats vor: Im Februar gibt’s Fastnachtsklänge, im April „stottert“ die Musik bei der Beschreibung des wechselhaften Aprilwetters, im Mai singt die Nachtigall, im Oktober geht es auf die Jagd, im November dräut eine Sturmflut und im Dezember weht der eisige Wind. Dabei wirkt das, was Werner hier in Noten setzte, (zumindest formal aber auch programmatisch) deutlich moderner als der Konzertzyklus „Die Vier Jahreszeiten“ seines italienischen Zeitgenossen Antonio Vivaldi. Auch den schwungvoll robusten „volkstümlichen Ton“ hatte Werner drauf und weiß damit noch heute glänzend zu unterhalten.

Es ist bedauerlich, dass „Der Musikalische Kalender“ zurzeit tatsächlich das einzige Werk von Gregor Joseph Werner ist, das (immerhin in zwei verschiedenen Einspielungen) auf CD erhältlich ist. In diesem Zusammenhang sei eine Notiz zitiert, die den Einzug Werners in seiner neuen Heimstatt in Eisenstadt beschreibt: „Kaum (…) angekommen, fing er an für die Kirche und Kammer zu componieren und jedes Jahr vermehrte die Zahl seiner Arbeiten (…).“ (zitiert aus MGG, Personenteil, Bd. 17). Allein in den ersten zehn Jahren seiner Tätigkeit in Eisenstadt schrieb der Komponist deutlich über 100 Werke.
Da kann man nur sagen: Bitte mehr davon!

Die Interpretation des ungarischen Ensembles Aura Musicale, das auf historischen Instrumenten musiziert, hat keinen Fehl und Tadel. Sie ist schwungvoll, gut gespielt und vermittelt jenen rustikalen Charme, den Werners kuriose Kompositionen ausmacht. Leider ist der Aufnahmeklang von den Tonmeistern der zurecht als „The Label of Discoveries“ titulierten Plattenfirma Hungaroton recht „eng“ eingefangen worden. Dies überrascht, zumal die Produktion im firmeneigenen Tonstudio erfolgte. Die sehr mittenzentrierte Aufnahme mit wenig Raum nach oben und unten kann bei längerem Hören durchaus anstrengen. Sie ist aber alles in allem in einem Bereich, den man zwar nicht als audiophil, aber zweifellos noch als gutklassig einstufen kann.

Fazit: Diese wunderbare Neuveröffentlichung von Hungaroton ist eine willkommene Wiederentdeckung mit sehr schöner Musik und einem hübsch gestalteten, informativen Booklet. Eigentlich das optimale Geschenk für Leute, die sonst schon alles haben… Gleichwohl: Wirklich „wegweisend“ oder von herausragender Bedeutung ist diese Musik nicht. Dafür hat Joseph Haydn dann später schon gesorgt, indem er den von seinem Vorgänger begonnenen programmatischen Ansatz auf alles ausdehnte, was nicht bei Zehn auf den Bäumen war… Hühner, Uhren, Tageszeiten…

((Das Hörexemplar für diese CD wurde uns freundlicherweise vom Hungaroton-Vertrieb, der Firma Klassik-Center Kassel, zur Verfügung gestellt.))

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