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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Dio at Donington: Live 1983 & 1987
Dio

(2010)
Niji Entertainment

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Dio at Donington - Live 1983 & 1987

Rare Livedokumente

von Rainer Aschemeier  •  14. November 2010

Echte, nimmermüde und nimmersatte Dio-Fans kannten die Aufnahmen, die nun als erste „Nachlese“ nach dem Tode des großen, einflussreichen Metalsängers Ronnie James Dio erscheinen, natürlich längst. Die hier versammelten BBC-Live-Mitschnitte der beiden Gastauftritte des stimmgewaltigen Sängers beim „Monsters of Rock“-Festival in Castle Donington in den 1980er-Jahren genießen ohnehin seit Jahren Kultstatus. Ein Teil des 1983er Auftritts war bereits offiziell erhältlich, und zwar wahlweise entweder als B-Seite der „Rainbow in the Dark“-Maxi aus dem Jahr 1983 oder als Bestandteil einer Compilation-CD, die unter dem schlichten Titel „Live Tracks“ Bestandteil des Japan-Only-Boxsets „Dio – The Great Box“ in einer extrem limitierten Auflage Anfang der 1990er-Jahre veröffentlicht worden war.

Cover des offiziellen Programmhefts zum 1983er "Monsters of Rock"-Event. Während der Auftritt des damaligen Headliners "Whitesnake" nicht unbedingt in die Annalen der Rockgeschichte einging, erzählt man sich bis heute legendäre Histörchen vom damaligen Dio-Auftritt, der nachmittags im Vorprogramm stattfand.

Der 1987-er Donington-Gig fand hingegen in unzähligen Bootleg-Varianten eine weite Verbreitung.

Beide Auftritte markieren die Phase vom Start der Dio-“Solo“-Band bis hin zum „Dream Evil“-Album – also der nur vierjährigen Zeitspanne, die unter Kennern als die „klassiche“ Phase der Band um den charismatischen Ex-Elf-/Ex-Rainbow-/Ex-Black Sabbath-Sänger gilt. Nicht wenige halten diese Phase auch für die beste Periode in der Bandgeschichte (der Autor dieser Zeilen ist da allerdings anderer Meinung und zieht den Zeitraum der „sperrigen“ Dio-Veröffentlichungen in der Zeit zwischen 1990 und 1996 vor). Es war also nicht mehr als logisch, dass Dios Erben mit rechtlich und produktionstechnisch mutmaßlich relativ leicht verfügbaren Live-Aufnahmen aus den Glanzzeiten der Band den leider zu erwartenden Ausverkauf auf breiter Linie eröffnen würden. Dass zu diesem Zweck extra ein eigenes Label gegründet wurde – das von Ronnie James Dios Witwe Wendy Dio geleitete Niji Entertainment (bereits seit 1983 leitete Wendy Dio die Managementagentur Niji Management) -, lässt erahnen, dass weitere Veröffentlichungen folgen werden. Es bleibt im Prinzip zu hoffen, dass dies keine Ausmaße annimmt, wie wir es von Deep Purples Label „Purple Records“ bzw. „Connoisseur Records“ gewohnt sind, bei dem mittlerweile von praktisch jeder Tournee, die „Deep Purple“ je absolvierten, meist nicht nur eines sondern gleich ein paar Live-Alben vorliegen.

Die hier vorliegende Dio-Live-Doppel-CD ist jedoch gleich aus ein paar Gründen sehr interessant. Da wäre zunächst die historische Komponente: 1983 war „Dio“ eine noch junge Band eines Sängers, dem viele keine eigene Solo-Karriere zugetraut hatten. In Donington präsentierte sich die Formation, zu der außer Dio selbst der Ex-Rainbow-Bassist Jimmy Bain, der Ex-Black Sabbath-Drummer Vinny Appice sowie der blutjunge irische Gitarrist Vivian Campbell gehörten, einem in hohem Maße erwartungsfrohen und über weite Strecken noch fast ahnungslosen Doningtoner Publikum im Nachmittagsprogramm des seinerzeit größten und meist beachteten Metalfestivals der Welt. Das Songmaterial bestand folgerichtig zu mehr als der Hälfte aus Klassikern der Black Sabbath- und Rainbow-Äras. Im Gegensatz zu anderen Live-Dokumenten der Zeit (so z. B. dem Video „Dio Live“, das später als DVD unter dem Titel „We Rock“ wiederveröffentlicht wurde) enthält das Set aus Donington die Rainbow-Klassiker „Stargazer“ und „Starstruck“. Letztgenannten Song spielte die Dio-Band im weiteren Verlauf ihrer Karriere nur äußerst selten mal auf der Bühne. Echte Fans könnten also allein schon wegen dieser Live-Rarität zugreifen. Doch im historischen Kontext fällt auf, dass hier eine Band am Start war, deren Sound wohl am treffendsten als „hungrig“ bezeichnet werden kann. Es gibt keinen Gig aus Dios gesamter Laufbahn, der mir bekannt wäre, der eine dermaßen energiegeladene Performance aufweist. Somit ist der 1983er Donington-Auftritt tatsächlich ein herausragendes, ja ich möchte sagen, begnadetes Livedokument, das eine Band widerspiegelt, die es sich und der (Metal-)Welt damals mal so richtig zeigen wollte. Dies ist das absolut beste Live-Dokument Ronnie James Dios unter dem Banner seiner eigenen Band. Das ist Fakt!

Somit ist schon erahnbar, dass die zweite CD im vorliegenden Doppel-CD-Pack im direkten Vergleich etwas weniger glanzvoll wirkt. Dies liegt nicht zuletzt an den oberflächlich wirkenden Künsten des hierbei zu hörenden amerikanischen Gitarristen Craig Goldie, der 1986 als Ersatz für Vivian Campbell in die mittlerweile zum „Special Guest“ des „Monsters of Rock“-Festivals aufgestiegende Dio-Band gekommen war. Kurze Zeit vorher noch hatte Goldie bei der Schminke-und-Hairspray-Rock-Formation „Giuffria“ in die Saiten gegriffen, bevor diese zum kurzlebigen Arena-Act „House of Lords“ mutierten. Während Viv Campbell anno 1983 noch einen extrem (!) verzerrten Röhrensound bevorzugte und seine inspirierten Soli echte Kabinettstückchen darstellten, war sein Nachfolger eher ein typischerweise gesichtsloser 80er-Jahre Metal-Flitzefinger mit eng wirkendem Transistorverstärkersound und digitaler Effektverzerrung, dessen Soli außer vordergründig beeindruckend schnell gespieltem Rumgeschrubbe wenig Emotionales zu vermitteln imstande waren. Dennoch ist auch diese Live-Aufnahme ein interessantes Zeitdokument.

Offizielles Plakat zum "Monsters of Rock"-Event 1987. Dio waren damals bereits zum "Special Guest" aufgestiegen und firmierten in der Billing List noch vor "Metallica".

Dio konnte 1987 vier Jahre nach dem ersten Donington-Gig auf eine deutlich erweiterte Songliste zurückgreifen. Nur noch ganz vereinzelt tauchten Reminiszenzen an die erfolgreichen Rainbow- und Sabbath-Jahre auf. Der Name „Dio“ war nun endgültig Programm, was sich in ca. 80% eigenem Songmaterial niederschlug. Dass die Band dabei sogar in einer „Qual der Wahl“-Situation steckte, wird bei dem recht konfusen Songmischmasch des 1987-er Donington-Gigs deutlich, bei dem man offenbar versuchte, keines der bis zu diesem Zeitpunkt vier veröffentlichten Dio-Alben außer Acht zu lassen, aber trotzdem noch ein bisschen Rainbow und Black Sabbath unterzubringen. Im Endeffekt zeugt dies aber nur von der beeindruckend starken Qualität des Songmaterials, das das Quintett damals in kürzester Zeit aus der Taufe gehoben hatte. Für Jäger und Sammler dürfte hierbei übrigens interessant sein, dass mit „Naked in The Rain“, „Dream Evil“ und „All The Fools Sailed Away“ drei Songs vertreten sind, die bislang noch auf keiner offiziellen Dio-Live-Veröffentlichung vertreten waren. Während die Donigton’schen Livefassungen von „Dream Evil“ und „All The Fools Sailed Away“ vornehm mit dem Prädikat „ruppig“ umschrieben werden könnten, ist „Naked in the Rain“ im Vergleich zum restlichen Material schon fast etwas zu brav geraten. Als interessantes Schmankerl am Rande blitzt noch der Rainbow-Klassiker „Temple of the King“ auf, der übrigens auf der CD-Tracklist vergessen wurde. Fazit: Die zweite CD hat deutlich weniger „Dokument“-Charakter, stellt aber nichtsdestotrotz einen reizvollen Einblick für Fans dar, denn die „Dream Evil“-Tour war bislang eher schlecht als recht dokumentiert.

Abschließend noch ein paar Sätze zum allgemeinen „Drumherum“: Der Sound beider Konzertmitschnitte ist druckvoll und gut. Der des 1987er Auftritts ist der etwas bessere, weil trennschärfer aufgenommene. Allgemein können die hier vertretenen Tondokumente aber ihre Herkunft als relativ schnell paratgemischte Livemitschnitte für die Radioübertragung nicht verleugnen. Professionelle Live-Alben klangen auch in den 1980er-Jahren schon oft besser. Kein Wunder, denn bei den für die spätere Verwendung als Live-Album von Anfang an geplanten Mitschnitten, konnte im Zweifelsfall tagelang vorab am Sound und an der Aufstellung der Mikros gefeilt werden – und so manchem Livealbum dieser Zeit und dieser Szene geht ja auch das Gerücht nach, dass im Studio später noch nachbearbeitet wurde. Die Veteranen der BBC von damals hatten hingegen vermutlich nur einen kurzen Soundcheck und ein paar Minuten Umbaupause, um einen für diese Verhältnisse echt amtlichen Sound auf die Beine zu stellen. Nichtsdestotrotz klingen Dios andere Live-Erzeugnisse „Intermission“, „Dio’s Inferno – The Last in Live“ sowie „Holy Diver Live“ unzweifelhaft allesamt deutlich besser, als die hier veröffentlichten. Dafür hat „Dio at Donington“ den Charme des Unverstellten, was für so manchen Hörer ein wichtiger Pluspunkt und vielleicht sogar kaufentscheidend sein könnte.
Die CD kommt im Doppel-Digi-Pak, das mit einem zwar eher dünnen aber mit Originalfotos der Zeit doch interessant bebilderten Booklet aufwartet. Über die völlig missglückten Liner-Notes aus der Feder des Ex-“Kerrang!“-Journalisten Dante Bonutto wollen wir uns allerdings lieber gar nicht erst äußern, nur so viel: Es scheint angeraten, sich besser nicht zu viel mit dem Lesen im Booklet aufzuhalten. Stattdessen erfreue sich der geneigte Dio-Jünger an dem witzigen Gimmick, das der Erstauflage der Doppel-CD beiliegt: zwei faksimilierten „All Access“-Backstage-Pässen der Donington-Festivals von 1983 und 1987. Da werden vergessen geglaubte Jugendträume wieder wach. Hach ja… seufz!

Sehr beeindruckend finde ich ein eher am Rande wahrnehmbares Statement auf dem Backcover der CD: Obwohl Ronnie James Dio zur Entstehungszeit der Doppel-Live-CD schon nicht mehr unter uns weilte, prangt auf der CD doch die Aufschrift: „Executive Producer: Ronnie James Dio“. Dies dürfte der Beweis sein: And it goes on and on and on and on and on… Ich glaube nicht, dass das ein Versehen war. Hier soll klargestellt werden: Die Legende lebt weiter. Und wenn wir auch weiterhin so tolle Aufnahmen im Rahmen der Dio-Nachlese erwarten können, bleibt dem Helden Vieler seine Würde erhalten.

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