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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

E. Rautavaara - Sinfonien Nr. 1-8
versch. Orch. und Dirig.

(2009)
Ondine

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Einojuhani Rautavaara - Sinfonien Nr. 1-8

Zwischen Avantgarde und Establishment

von Rainer Aschemeier  •  7. Juni 2009

Einojuhani Rautavaara dürfte spätestens seit den ambitionierten CD-Aufnahmen des Naxos-Labels, die weite Verbreitung auf der ganzen Welt fanden, zu den bekanntesten Komponisten der Moderne gehören. Doch halt: Ist Rautavaaras Musik mit „Moderne“ überhaupt richtig umschrieben? Insbesondere in den letzten Jahren finden sich Stimmen, die die Musik des Komponisten, der in Finnland als legitimer Nachfolger Jean Sibelius‘ betrachtet wird, als Neo-Romantik hinstellen möchten. Ja, sogar von esoterischem Klangbrei wird gelegentlich geredet. Und überhaupt: Wer heutzutage noch der Sinfonie frönt – ja, der muss doch suspekt sein, oder?

Rautavaara schrieb insbesondere in den letzten 20 Jahren häufig Werke, die mit übersinnlichem Gedankengut – oder wer möchte, kann es auch Esoterik nennen – liebäugelten. Bekanntestes Beispiel hierfür ist wahrscheinlich seine Trias aus Kompositionen zum Themenkomplex „Engel“, von denen sich in der vorliegenden Gesamteinspielung der Sinfonien des Finnen die siebte Sinfonie mit dem Untertitel „Angel of Light“ zu erkennen gibt. Auch das vom Band eingespielte Gezirpe und Gequake des „Cantus Arcticus“ (Konzert für Singvögel und Orchester) – das selbst in kleineren deutschen Konzertsälen erstaunlich häufig gegeben wird – ist nicht jedermanns Sache. Da kann der eingefleischte Purist schon mal auf die Idee kommen, Rautavaara mit Kollegen wie etwa Arvo Pärt in einem Topf zu verrühren, um hinterher eine neuromantische Esoterik-Soße zu postulieren.

Aber selbst bei Arvo Pärt ist das ja nur die halbe Wahrheit und in dieser häufig gehörten radikalen Haltung seit je her unzutreffend – und für Rautavaara gilt das genauso. Von den 8 Sinfonien, die der mittlerweile Achtzigjährige im Laufe seines Lebens komponiert hat (und die hier jeweils als Aufnahmen der jüngsten Überarbeitungen vorliegen) beruhten immerhin zwei auf einem streng dodekaphonischen Prinzip und eine (die Vierte) liebäugelte sogar mit dem Serialismus. Bis heute ist die vierte Sinfonie somit die einzige serialistische Sinfonie, die je in Finnland komponiert wurde – also im besten Sinne Avantgarde. Die erste Sinfonie hingegen widmete sich einem unbequemen, von Gefühlsduselei noch weit entfernten, Neoklassizismus in der Tradition Strawinskys.
Erst ab der fünften Sinfonie kam – so, wie einst bei Sibelius – zunehmend ein metaphysischer Naturaspekt ins Spiel, und im Programm zu Nummer Sieben fliegen dann letztendlich die Engel. Nummer Acht ist als Auftragskomposition für das 100-jährige Bestehen des Philadelphia Orchestra verständlicherweise eine zahme, in der Tat stark neuromantisch geprägte Angelegenheit – aber man darf auch nicht vergessen, dass im Jahr der Komposition (1999) Wolfgang Sawallisch Chefdirigent in Philadelphia war. Vielleicht war das ja auch eine Art Zugeständnis eines modernen Komponisten an einen großen, eher romantisch motivierten Kapellmeister.

Wie man es auch dreht und wendet: Bei der Person Einojuhani Rautavaara scheiden sich die Geister. Jeder sollte die Musik des Finnen einfach selbst erleben, um sich ein eigenes Bild davon zu machen. Es lohnt sich auf jeden Fall, denn es gibt nicht viele Komponisten in diesen Tagen, die nicht nur zu einer eigenständigen Tonsprache gefunden haben (das hat Rautavaara nämlich ganz zweifellos), sondern bei denen man so schön und wie in einem offenen Buch die künstlerische Entwicklung eines Komponisten „nachlesen“ kann, wie in diesen acht Sinfonien.

Bislang waren die vorliegenden Aufnahmen übrigens nur als äußerst hochpreisige Einzel-CDs zu haben. Doch als Nachtrag zum achtzigsten Geburtstag Rautavaaras hat Ondine die Sinfonien in einer preisgünstigen Box in limitierter Auflage herausgebracht. Eine lohnende Angelegenheit? Das sollte man meinen, zumal die Besetzungen der Aufnahmen schon auf dem Papier eine gute Figur machen: Es musizieren das Leipziger Radio-Sinfonieorchester (heute mdr-Sinfonieorchester) unter Max Pommer, das Philharmonische Orchester Helsinki unter Leitung des derzeit wohl meist gelobten Interpreten nordischer Musik, dem Komponisten und Dirigenten Leif Segerstam und last but not least das Belgische Nationalorchester unter der Leitung des Pult-Shootingstars Mikko Franck.
Vergleicht man jedoch einige Aufnahmen des Ondine-Zyklus mit den Einspielungen der Rautavaara-Sinfonien verschiedener Orchester und Dirigenten beim Naxos-Label, so wird ersichtlich, dass auch bei der Ondine-Box nicht alles Gold ist, was glänzt. Im Vergleich zu den Naxos-Aufnahmen kann nämlich so manche der Aufnahmen aus der Ondine-Box (vor allem klanglich) schon mal in die zweite Reihe rutschen. Aber alles in allem ist es m. E. ja sehr erfreulich, dass sich endlich einmal ein Label traut, ein Gesamtwerk eines Sinfonikers des 21. Jahrhunderts in immerhin sehr soliden Einspielungen als attraktive und preisgünstige Box herauszubringen. Da kann man nur sagen: Bitte mehr davon!

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