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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

E. Ysaÿe - Harmonies du soir et autres poèmes
Orchestre Philharmonique Royal de Liège - J.-J. Kantorow, diverse Solisten

(2014)
Musique en Wallonie / Vertrieb: note 1

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Eugène Ysaÿe - Harmonies du soir et autres poèmes

Schwelgende Jugendstilästhetik in erfreulich guten Aufnahmen

von Rainer Aschemeier  •  23. Juni 2014
Katalog-Nr.: MEW 1472 / EAN: 5425008314723

Während ich kürzlich für die Zeitschrift CLASS aktuell die hervorragende neue CD von Tianwa Yang mit den fantastischen Sonaten für Violine Solo von Eugène Ysaÿe rezensiert habe (...weswegen ich sie bei the-listener.de nicht gesondert erwähne…), erschien noch eine andere Aufnahme mit weitaus seltener zu hörender Musik des Belgiers.

Ysaÿe wird wegen seiner einstigen Profession als Violinvirtuose und der steigenden Popularität seiner wahrlich faszinierenden Soloviolinsonaten vor allem als Komponist für virtuose Violinmusik wahrgenommen. Das hat dazu geführt, das fast gar nichts anderes aus der Feder des belgischen Komponisten in qualitätvollen CD-Einspielungen erhältlich ist. Dabei liegt die Betonung auf dem Thema „Qualität“, denn natürlich gibt es das eine oder andere aus Ysaÿes Œuvre auch auf CD, doch ist es dann oft von Orchestern und Dirigenten zweifelhafter Qualität eingespielt worden.

Bei der CD, um die es hier geht, sieht die Sache anders aus. Mit dem franko-russischen Violinisten und Dirigenten Jean-Jaques Kantorow steht hier einer der derzeit wichtigsten und besten Musikinterpreten Frankreichs in den Startlöchern, um einigen Werken Ysaÿes unter die Arme zu greifen, die nun wirklich nicht zum gängigen Kanon des Klassikgeschäfts zu rechnen sind. Es handelt sich dabei um die sehr atmosphärische „Méditation“ für Violoncello und Orchester, das – entgegen seinem lyrischen Titel eher – kraftvoll-dramatische Stück „Harmonies du soir“ für die ungewöhnliche Besetzung aus Streichquartett und Orchester, das elegant-virtuose „Poème élégiaque“ für Violine und Orchester, die idyllische „Sérénade“ für Violoncello und Orchester (...bei dem Ysaÿe beinahe wie ein Vertreter der britischen Spätromantik klingt), das Stück „Amitié“, dessen Titel wohl der Besetzung aus zwei Bratschensolisten mit Orchester zu verdanken ist und das in meinen Ohren das vielleicht schönste Werk auf der CD ist. Zum guten Schluss gibt es dann noch ein Stück ohne Solisten für Streichorchester mit dem Titel „Exil“, das der damals gesundheitlich angegriffene Ysaÿe im Weltkriegsexil in den USA geschrieben hat, und das einen beinahe „straussischen“ Gestus vermittelt.

Alles in allem ist das wirklich hörenswerte Musik, die auf dieser randvollen neuen CD versammelt ist, und man fragt sich, warum nicht mehr Interpreten über den Tellerrand der Solosonaten Ysaÿes schauen, um auch dessen Konzert- und Orchesterliteratur wieder mehr in den Fokus zu stellen. Ysaÿes Musik ist bei allem Jugendstilschmelz, der fast allen seinen Stücken anhaftet, bemerkenswert gut komponiert und dürfte zumindest geübteren Klassik-Hörern unmittelbar zugänglich sein.
Die Orchestermusik Ysaÿes steht zwischen den Polen, die Komponisten wie César Franck, Théodore Dubois und Camille Saint-Saëns einerseits und Ralph Vaughan Williams, Claude Debussy und vielleicht Jean Sibelius andererseits gesetzt haben. Sie sollte Fans dieser Musikschöpfer eine Freude sein, zumal man hier wirklich ausnehmend Qualitätvolles mit eigener Handschrift zu hören bekommt und kein blasses Epigonentum.

Die Einspielungen auf dieser CD sind überwiegend gut, in Teilen sogar sehr gut. Je kleiner die Orchesterbesetzung auf dieser CD ist, desto besser ist das Ergebnis. Jean-Jacques Kantorow versucht, seine herausragende Gabe für musikalische Phrasierung und wirkungsvolle Instrumentenbalance umzusetzen, hat hier jedoch mit dem Orchestre Philharmonique de Liège einen Klangkörper mit hörbaren Limitationen zur Verfügung. Das betrifft vor allem die Exaktheit der Einsätze, aber auch das Zusammenspiel des Ensembles bei der Ausgestaltung der von Ysaÿe meist breit und episch angelegten Linien und Strukturen in den einzelnen Stücken.
Dennoch hinterlässt diese CD einen überwiegend sehr qualitätvollen Eindruck, der auf jeden Fall das Meiste übertrifft, was bislang an Orchestermusik Ysaÿes seinen Weg auf Tonträger gefunden hat.
Der Klang der Produktion ist ebenfalls erfreulich gut, hat jedoch eine leichte Tendenz zur Enge. Jedenfalls wird hier keine „breite Bühne“ realisiert, sondern eher eine Kammermusikumgebung, was für einige Stücke dieser CD auch angemessen erscheint (z.B. „Exil“), jedoch nicht für alle.
Die Solisten (Tatiana Samouil (Violine), Thibault Lavrenov (Violoncello), Émilie Belaud und Olivier Giot (Bratsche), Quatuor Ardente) sind zudem alle durch die Bank wirklich gut, wenn sie auch überwiegend nicht zur obersten Spitzenklasse zu zählen sind.

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