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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

E. Zeisl - "Kleine Sinfonie", "November", "Concerto Grosso"
UCLA Philharmonia - N. Stulberg; A. Lysy (Cello)

(2013)
Yarlung Records / Vertrieb: Naxos

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Erich Zeisl - "Kleine Sinfonie", "November", "Concerto Grosso"

Weltersteinspielung der Orchestermusik des Exil-Österreichers Erich Zeisl

von Rainer Aschemeier  •  7. August 2013
Katalog-Nr.: 96820 / EAN: 887516968204

Obwohl der Tonträgermarkt in der Krise steckt und viele, selbst sehr renommierte Labels in der Versenkung verschwinden (so wurde etwa erst kürzlich beschlossen, dass das renommierte EMI-Label fortan unter Warner Classics weiterbetrieben wird. Philips Classics, DECCA und einige Indielabels hatte es schon zum Teil Jahre früher „erwischt“) tauchen am Markt doch immer wieder neue mutige Firmchen auf, die mit ihren CD-Produkten auf den Weltmarkt drängen.
Denn das ist immerhin einer der Vorteile des Tonträgermarkts gegenüber dem Buchmarkt: Neben den wesentlich geringeren Herstellungskosten (von den Produktionskosten rede ich hier ganz bewusst nicht) ist der Markt für Musik quasi automatisch der Weltmarkt – was für Bücher eben nicht gilt.

Aber ich möchte an dieser Stelle nicht über Märkte und Möglichkeiten dozieren, sondern die erste CD-Produktion des US-Labels „Yarlung Records“ besprechen. „Yarlung“ schlägt in eine ähnliche Kerbe, wie sie in den USA vor allem das (inzwischen ebenfalls in Würde verblichene) Label „Telarc“ etabliert hatte: HiFi-Aufnahmen amerikanischer Orchester/Künstler mit internationalem Repertoire.
In dieser Tradition führt man bei Yarlung auch die gängige Praxis der Labels weiter, die sich klanglich für etwas Besseres halten: Man zählt im Booklet die verwendeten Mikrofone einzeln auf, man berichtet dem Endkunden stolz von einer speziellen CD-Beschichtung, die eine bessere Klangwiedergabe ermöglichen soll und man schreibt auf das CD-Cover stolz den Slogan „Breaking the Sound Barrier“ drauf.

Das alles soll wohl die HiFi-Kundschaft anlocken und zusätzliche Zielgruppen erschließen, denn für die Musik von Erich Zeisl, die man sich für die erste CD-Veröffentlichung ausgesucht hat, dürfte das Publikum überschaubar sein und bleiben.

Erich Zeisl war ein österreichischer Komponist, geboren 1905 in Wien, verstorben 1959 in Los Angeles. Durch seine jüdische Herkunft wurde er, wie so viele mit ihm, in der Nazizeit in die Emigration getrieben. In den USA verdingte sich Zeisl mehr schlecht als recht als Dozent und Filmmusikkomponist. Schnell ist man versucht zu sagen: „Er schlug sich in Hollywood durch.“ Doch nicht einmal das war Zeisl vergönnt: Zwischen 1941 und 1955 schrieb er Musik hauptsächlich für kurze Dokumentarfilme. Nur selten war einmal ein abendfüllender Spielfilm dabei, und wenn, dann war es ein sogenanntes „B-Movie“, also ein Film, der in den Kinos als Beiprogramm zu den eigentlichen „Kassenschlagern“, den „A-Movies“ gezeigt wurde.

Das Booklet dieser CD stellt das Leben Erich Zeisls in kurzen Worten und ganz sicher zu deterministisch dar: Laut Booklet sei Zeisls Musik in seiner Zeit als Persönlichkeit des österreichischen und deutschen Kulturlabels von Publikum, Interpreten und Kritik „enthusiastisch begrüßt“ worden, während die Zeit in den USA „a struggle“ gewesen sei.
Davon kann aber, wenn man sich einmal auf die Suche nach Quellen begibt, keine Rede sein. Noch in seinen österreichischen Jahren waren Erfolge die Ausnahme, wenngleich es sie in dieser Zeit immerhin sporadisch gegeben haben mag.

Anerkennend äußerten sich Musikerkollegen über den Österreicher, allen voran Kompositionskollegen Ernst Toch (der es als Österreicher mit seiner dritten Sinfonie in den USA sogar bis zum Pulitzer-Preis gebracht hatte) und Erich Wolfgang Korngold. Auch Igor Strawinsky soll Zeisl lobend erwähnt haben (...und Strawinsky hat bekanntermaßen nur sehr selten andere Musiker außer sich selbst gelobt). Hierfür finden sich aber keine konkreten Belege.

Wie dem auch sei: Wir haben ja nun die Weltersteinspielung dreier Orchesterwerke Erich Zeisls vom frisch eröffneten „Yarlung Records“-Label.
Hier erklingen die „Kleine Sinfonie nach Bildern der Roswitha Bitterlich“, sechs Skizzen für Kammerorchester mit dem Titel „November“ sowie ein „Concerto Grosso“ betiteltes Stück für Violoncello und Orchester.

Die Sinfonie ist traditionell viersätzig und programmatisch gestaltet – eben nach jenen Bildmotiven der Malerin und Grafikerin Roswitha Bitterlich (eines zum Zeitpunkt der Komposition 14-jährigen Wunderkinds, das sich später zu einer namhaften Künstlerin entwickelte und noch heute aktiv ist; Biografie der Künstlerin siehe hier).
Die Sinfonie ist alles andere als „klein“, umfasst vielmehr eine knappe halbe Stunde Spielzeit mit groß besetztem Sinfonieorchester. Sie weist eine ganz merkwürdige Diskrepanz der Spielzeiten zwischen den einzelnen Sätzen auf: Während die ersten drei Sätze jeweils nur wenige Minuten dauern, dehnt sich der vierte Satz (musikalisch übrigens nach meinem Dafürhalten der Substanzloseste) über eine knappe Viertelstunde.

Die Sechs Skizzen mit dem Titel „November“ für Kammerorchester bestehen aus sechs Miniaturen überwiegend melancholischen Tonfalls. Das „Kammerorchester“, das Zeisl hier verlangt, ist auch vergleichsweise üppig besetzt, und es bedarf schon einer recht beachtlichen „Kammer“, um etwa solch voluminös besetzte Streicher unterzubringen.

Das „Concerto Grosso“ ist das womöglich interessanteste Stück auf der vorliegenden CD, zumal es auch die größten Ambitionen des Komponisten verrät. Zwar ist die Symphonie im engeren Sinne „moderner“, expressionistischer, während sich das „Concerto“ eher in einer Übergangsstellung zwischen Spätromantik und Expressionismus bewegt, jedoch ist das Konzert von allen Stücken auf dieser CD erkennbar am besten und detailliertesten ausgearbeitet. Sogar einen Hauch von französischem Impressionismus und/oder eine Nähe zum Sound des Brasilianers Heitor Villa-Lobos kann man hier ausmachen – und ganz sicher trägt dieses Stück am stärksten die Züge von Filmmusik „Marke Hollywood“.

Die UCLA Philharmonia ist ein studentisches Orchester der UCLA Herb Alpert School of Music der Universty of California in L.A. Das Niveau dieses Orchesters, bei dem es aufgrund seines studentischen Charakters wohl viel Fluktuation geben dürfte, ist beeindruckend. Chefdirigent Neil Stulberg hat das Ensemble bestens im Griff und kann stolz sein auf diese quasi tadellose und hoch professionelle Einspielung.

Ob die Herren Tonmeister des „HiFi-Labels“ Yarlung Records auch so stolz sein sollten? Sicher – das hier ist erstens eine Liveaufnahme und zweitens in einem akustisch womöglich nicht erstklassigen Umfeld. Diese Probleme aber damit aus der Welt zu schaffen, die Mikrofonie so nah wie eben möglich ans Orchester heranzuschubsen und ein Höchstmaß an digitaler Nebengeräuschunterdrückung über das Endergebnis laufen zu lassen, wirkt doch etwas „gewaltsam“.
Bislang ist es mit „HiFi“ bei „Yarlung Records“ noch nicht weit her – allen Mikrofonaufzählungen und Spezialbeschichtungen zum Trotz. Ich bin gespannt auf die erste Studioaufnahme dieses Labels. Vielleicht ist man da dann in der Lage seine tonmeisterische Klasse voll auszufahren. Hier ist das leider nicht gelungen. Ich würde den Sound dieser Aufnahme sogar als leicht unterdurchschnittlich einstufen.

Alles in allem ist die CD mit Orchestermusik von Erich Zeisl eine willkommene, für Sammler im Bereich Spätromantik/Expressionismus sicherlich interessante Rarität, die man sich sichern sollte, so lange sie am Markt ist. Die Auflage wird sicherlich nicht gewaltig sein, und das Album könnte schon bald ausverkauft sein.
Dennoch: Damit sich „Yarlung Records“ am Weltmarkt wird etablieren können, muss noch sehr viel passieren.

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