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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

V. Martynov - Lamentations of Jeremiah
Sirin Choir - Andrey Kotov

(2013/1997)
Brilliant Classics

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Vladimir Martynov - Lamentations of Jeremiah

Knorrig, slawisch, merkwürdig: Vladimir Martynov

von Rainer Aschemeier  •  31. März 2013
Katalog-Nr.: 9403 / EAN: 5029365940320

Der russische Komponist Vladimir Martynov begann als Avantgardist im Umfeld von Alfred Schnittke und Sofia Gubaidulina. Seine frühen Kompositionen widmen sich dem typischen serialistischen Modell der 1960er/70er-Jahre.
In den späten 1970er-/frühen 1980er-Jahren wandte sich Martynov dann – ähnlich wie der Este Arvo Pärt, der bereits einige Jahre vor Martynov diesen Weg gegangen war – Studien von uralter slawischer Kirchenmusik sowie der Folklore seiner russischen Heimat zu.
Das Ergebnis war zunächst eine Phase, in der er fast ausschließlich Musik zum Einsatz in Gottesdiensten komponierte. Auch, wenn er in den 1990er-Jahren verstärkt wieder zu orchestralen und Kammermusikformen zurückfand, blieb die geistliche Musik bis heute ein Schwerpunkt im Schafffen Martynovs, der einige namhafte Stars für sich begeistern konnte. So gelten etwa Gidon Kremer und das Kronos-Quartett als engagierte Fürsprecher für Martynovs ungewöhnliche Musiksprache.

Anders als Arvo Pärt entwickelte Martynov seinen reifen Stil nicht nur unter Zuhilfenahme alter Kirchentonarten und folkloristischer Stile, sondern er baute offenbar gezielt auch die „minimalism“-Strömungen ein, die in den 1980er-Jahren vor allem aus den USA hervorgegangen waren und Furore gemacht hatten.
Das musikalische Endergebnis ist zumindest ungewöhnlich, wenn nicht gar speziell.

Auf dieser neuen CD des Labels Brilliant Classics finden sich Aufnahmen von Martynovs Kantate „Lamentations of Jeremiah“, die aus dem Jahr 1997 stammen und bislang nur in Russland erhältlich waren. Martynov-Sammler dürften also beglückt sein, dass sie nun endlich ohne lästige Umwege an diese schönen Aufnahmen herankommen.
Die „Lamentations“ gliedern sich in vier jeweils etwa 2,5 Minuten kurze „Prologe“ zu vier musikalischen „Kapiteln“, die jeweils etwa 15 bis 20 Minuten Spielzeit umfassen. Den Abschluss bildet das 12-minütige „Gebet des Propheten Jeremia“.
Martynov bezeichnet alles zusammen als „para-liturgische“ Musik, die Texte aus dem biblischen Buch Jeremia nutzt.

Die Musik ist typisch Martynov: Einfach im Duktus, unmittelbar zugänglich und mit der für ihn typischen Mischung aus archaischen Melodien und modernen Kompositionstechniken. Als Interpreten für diese Musik hätte er sich keine bessere Vokalgruppe aussuchen können, als den Sirin Choir, für den dieses Stück geschrieben wurde.
Mit seinen spezifisch slawisch gefärbten knorrig-nasalen Frauenstimmen, abgrundtiefen russischen Bässen und zwischenweltlich verklärt singenden Tenören bildet der Sirin Choir einen integralen Bestandteil der Musik. Ehrlich gesagt, kann ich mir kaum vorstellen, dass ein „westlicher“ Chor, der nicht geschult ist in mittelalterlicher slawischer Kirchenmusik auch nur im entferntesten ähnliche Leistungen zu bringen im Stande gewesen wäre.

Der Sound der CD geht auch heute noch in Ordnung und stammt aus den bewährten Räumlichkeiten des renommierten Moskauer Mosfilm-Studios. Fazit: Nicht jeder wird sich mit der ungewöhnlichen Klanglichkeit dieser Kantate anfreunden können. Aber es ist sicherlich lohnend, dem musikalischen Idiom Vladimir Martynovs mal einen Besuch abzustatten. Diese CD ist eine gute Gelegenheit dazu, auch wenn sie nur einen kleinen Teil von Martynovs Schaffen widerspiegelt.

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