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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

C. Saint-Saëns - "Le déluge" op. 45 / "Orient et Occident" op. 25 / "Danse Bacchanal"
Württembergische Philharmonie Reutlingen - A. Burda / O. Rudner; Figuralchor der Gedächtniskirche Stuttgart; div. Solisten

(2013)
Ars Produktion / Vertrieb: note 1

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Camille Saint-Saëns - "Le déluge" op. 45 / "Orient et Occident" op. 25 / "Danse Bacchanal"

Sintflut der denkbar angenehmsten Art

von Rainer Aschemeier  •  27. Januar 2013
Katalog-Nr.: ARS 38 127 / EAN: 4260052381274

Camille Saint-Saëns ist einer jener Komponisten, die hierzulande in der Regel nur sehr einseitig wahrgenommen werden: Seine dritte Sinfonie (die sogenannte „Orgelsinfonie“) ist unerklärlicherweise, sein „carnaval des animaux“ ist sehr erklärlicherweise schwerstberühmt. Beide Werke haben ihren festen Stammplatz sowohl im Konzertrepertoire als auch im CD-Regal der allermeisten Klassikhörer mit einem Hang zur französischen Spätromantik. Bei seiner wunderbaren Oper „Samson et Dalila“ ist die Popularität schon nur noch eingeschränkt, und alles darüber hinaus reichende – und Saint-Saëns hat ja einen gigantischen Werkkatalog hinterlassen – wird hierzulande in aller Regel praktisch völlig ignoriert.

Obwohl es ja gerade die Ausnahmen sein sollen, die solche Regeln bestätigen, ist es doch trotzdem höchst erfreulich, dass ich ebensolches hier vorstellen darf: Die Ausnahme von der Regel!

Mit einem auserlesenen Saint-Saëns-Programm, das man so nicht alle Tage hört, hat die Württembergische Philharmonie Reutlingen beim Label „Ars Produktion“ eine SACD vorgelegt, die einem auf allerlei Ebenen einigen Respekt abnötigt: Da wäre zunächst einmal das tolle Programm der CD. Es umfasst den noch halbwegs populären „Danse Bacchanal“ aus Saint-Saëns‘ Oper „Samson et Dalila“, führt dann aber über den bereits ziemlich obskuren Marsch für Militärkapelle „Orient et Occident“ op. 25 in die weite Welt der quasi totalvergessenen Saint-Saëns-Raritäten in Form des üppigst mit großem Sinfonieorchester, Chor und vier Gesangssolisten besetzten „biblischen Gedichts“ op. 45 (faktisch ein Oratorium) mit dem Titel „Le déluge“ – zu deutsch also „Die Sintflut“.

Während die beiden erstgenannten Stücke sowohl was ihre jeweils rund sieben- bis achtminütigen Spielzeiten angeht als auch ihren eher „unterhaltenden“ Charakter eher zu den „Leichtgewichten“ in Camille Saint-Saëns‘ Schaffen gehören, ist „Le déluge“ fraglos ein Haupt- und Schlüsselwerk in der langen Karriere des 1921 im Alter von 86 Jahren in Algier verstorbenen Komponisten.
Und es ist dies wieder einmal eines jener Werke, die man aus qualitativen Gründen sehr viel lieber als allgemein akzeptiertes Vermächtnis Saint-Saëns‘ akzeptieren würde, als dessen in vielen Belangen weit weniger zufriedenstellende „Orgelsinfonie“.
Saint-Saëns folgte bei „Le déluge“ musikalisch wie so häufig in seinem Schaffen in klassizistischer Manier großen Vorbildern in der Oratoriengeschichte. Librettistisch ist das Stück zu seiner Zeit jedoch offenbar ein Wagnis gewesen. Von niemand Geringerem als Papst Pius X. wurde es immerhin wegen seiner „Weltlichkeit“ kritisiert – was das Stück schon zu Saint-Saëns‘ Zeiten „unmöglich“ machte und seine Popularität hemmte.

Heute ist es im Prinzip komplett vergessen, und es ist ein großes Verdienst des jungen Dirigenten Alexander Burda, der in Frankreich studierte und dort womöglich auf Saint-Saëns‘ großes Oratorium gestoßen ist, dieses wertvolle Stück französischer Musikromantik wieder zum Erklingen gebracht zu haben.
Und es ist eine wirklich bemerkenswert gute Einspielung, die die Württembergische Philharmonie Reutlingen, der Figuralchor der Stuttgarter Gedächtniskirche und die Solist/innen Isabelle Müller-Cant (Sopran), Carolin Strecker (Alt), Daniel Schreiber (Tenor) und Philip Niederberger (Bass) hier vorzuweisen haben: Orchester und Gesangssolisten spielen und singen praktisch perfekt, sehr dynamisch und hoch dramatisch. Sie geben diesem Stück sowohl die mystische Aura, die es trägt, als auch die nötige Ernsthaftigkeit, die das fast 50-minütige Stück als das stehen lässt, was es ist: Als musikalisches Großereignis der französischen Oratoriumsgeschichte im Zeitalter der Spätromantik.
Der Stuttgarter Chor ist ebenfalls überwiegend gut disponiert, „sackt“ aber tonhöhenmäßig an einigen Stellen hörbar ab. Obwohl die Gesamtleistung des Chors alles in allem immer noch als sehr gut bewertet werden kann, hinterlässt er in dem rundherum einfach noch etwas besseren musikalischen Umfeld sicherlich den von allen Beteiligten am wenigsten starken Eindruck.

„Orient et Occident“ sowie der schmissige „Danse Bacchanal“ erreichen hier nicht ganz das qualitativ hervorragende Level der Oratoriumseinspielung. Hier führt der Chefdirigent des Orchesters aus Reutlingen den Stab, der Schwede Ola Rudner. Er gibt die beiden orientgesättigten Kompositionen etwas sehr abgeklärt und kühl. Was musikalisch rüberkommen sollte, wie arabischer Mokka oder sattsüß-scharf gewürzter Pfefferminztee „schmeckt“ in Rudners Deutung eher nach Nespresso-Kapsel- oder Meßmer-Teebeutel-Auszug.
Leider ist zwischen den Rudner-Einspielungen und der famosen Burda-Aufnahme auch klanglich ein Unterschied feststellbar, wobei das Oratorium (zum Glück) weitaus besser abschneidet.
Da „La déluge“ mit seinen fast 50 Minuten Spielzeit auf dieser insgesamt hocherfreulichen SACD aber sowieso das Stück ist, worauf es hier ankommt, darf man hier eine glasklare Kaufempfehlung aussprechen.

Fazit: Es sind SACDs wie diese, die das Musikhören per Tonkonserve nach wie vor zu einer spannenden und mitreißenden Angelegenheit werden lassen. Dass es so ist, erscheint mir in diesem Fall allem voran eine Leistung des sehr überzeugenden jungen Dirigenten Alexander Burda zu sein, den man als Liebhaber qualitativ hochwertiger Einspielungen auf jeden Fall im Auge behalten sollte.

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