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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

W. A. Mozart - Die Zauberflöte
Bayerisches Staatsopernorchester - W. Sawallisch

(1972/2006)
EMI

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Wolfgang Amadeus Mozart - Die Zauberflöte

Bayerisches Staatsopernorchester - Wolfgang Sawallisch

von Rainer Aschemeier  •  22. August 2006

„Die Zauberflöte“ dürfte – im ewigen Wettstreit mit „Don Giovanni“ – wohl Mozarts beliebteste Oper sein. Doch wenn wir einmal hinter die Kulissen blicken, wird offensichtlich, wie viele Missverständnisse diese Oper bis heute auslöst.

So denkt z. B. immer noch ein Gutteil der Klassikszene, dass „Die Zauberflöte“ eine „Kinderoper“ sei, ähnlich wie Humperdincks „Hänsel und Gretel“ beispielsweise. Auch soll es immer noch Zeitgenossen geben, die tatsächlich denken, Mozart selbst habe die Handlung der Zauberflöte kreiert und habe so quasi seine vermeintliche „Kindsköpfigkeit“ auf die Bühne übertragen.
Natürlich stimmt das alles nicht.

Die Handlung der Oper stammt vom Wiener Impressario Emmanuel Schikaneder, Leiter und Besitzer des einflussreichen Theaters „an der Wien“. Zusammen mit seinem Freimaurer-Freund W. A. Mozart konzipierte Schikaneder ein Opernlibretto, in der die Grundsätze der Freimaurerei auf spielerische Art und Weise vermittelt werden sollten. Also entwickelte man eine Handlung, in der alle wesentlichen freimaurerischen Gedanken enthalten waren: Die Loge (hier Sarastros Tempel), der Initiationsritus (Taminos Wasser- und Feuerprobe) sowie wesentliche moralische Grundsätze der Freimaurerei (die Arien Sarastros). Schikaneder verquickte das Ganze mit einer spannenden Story (Prinz sucht zusammen mit trotteligem Kumpel nach entführter Prinzessin und wird dabei in einen archetypischen Kampf zwischen Gut und Böse verwickelt) sowie einem exotischen Ambiente (Ägypten war 1731 durch den Roman „Séthos“ von Abbé Jean Terrasson in Mode gekommen und war zu Mozarts Zeit einfach „in“) – und fertig war „Die Zauberflöte“.

1791, innerhalb von nur zwei Wochen, komponierte Mozart die Musik zur Oper und schuf damit eines der essenziellen Meisterwerke der Musikgeschichte. Der Erfolg der Zauberflöte bis in die heutige Zeit dürfte in vielen Faktoren begründet liegen: Zum einen besteht die Oper zu Großteilen aus „Gassenhauern“, also Mitsing-, Mitpfeif- oder Mitsumm-Melodien – was einen noch heute von Zeit zu Zeit in Anbetracht mancher musizierseliger Sitznachbarn im Opernhaus schier zur Verzweiflung kommen lässt. Zum anderen ist Schikaneders Story aber wirklich fesselnd (eine Art „Rokoko-Star Wars“), was sie somit von ca. 95% aller anderen Opernlibretti – inklusive des sinnfreien Rumgebalzes in Mozarts erfolgreichen Da Ponte-Opern – unterscheidet.

Dieser andauernde Erfolg bis in unsere Tage ging natürlich auch am Tonträgermarkt nicht spurlos vorbei. „Die Zauberflöte“ existiert in unzähligen Schallplatten- und CD-Einspielungen. Da fällt die Qual der Wahl schwer: Da prallen die aus heutiger Sicht urtümlich anmutenden Mono-Klangwelten von Keilberth, Karajan und Fricsay auf stereophone Modeeinspielungen der Neuzeit von Harnoncourt, Marriner und Abbado, nur um dann von sog. „Originalklang“-Deutungen von z. B. Norrington, Christie und Gardiner abgestraft zu werden. Allein der Tonträgerversand „jpc“ führt derzeit rund 40 verschiedene CD-Aufnahmen des Werks. Also welche ist „die Richtige“?

Ich würde lügen, wenn ausgerechnet ich sagte, dass ich diese Frage beantworten kann. Letztendlich gibt es aber mindestens drei anerkannt herausragende Aufnahmen der Zauberflöte, auf die sich wohl annähernd alle Mozart-Liebhaber einigen können:

•Da wäre die klassische Mono-Alternative von 1954 mit dem RIAS-Orchester Berlin unter Ferenc Fricsay – bis heute ist sie DER Zauberflöten-Klassiker und immer wieder heißer Anwärter in diversen Referenzlisten.
•In den frühen Tagen der Stereo-Aufnahmetechnik (1964) entstand die interpretatorisch und auch klanglich Bahn brechende Einspielung der Wiener Philharmoniker unter Karl Böhm, mit einem überragenden Fritz Wunderlich.
•…und es wäre schlussendlich aus den 1970ern die fantastische Aufnahme des Bayerischen Staatsopernorchesters unter Wolfgang Sawallisch zu nennen.

Um diese Aufnahme soll es hier gehen. Sawallischs Zauberflöte beeindruckt mit einem alles Dagewesene überragenden Sängerensemble, das selbst bis in die kleinste Nebenrolle mit den Klassik-Superstars seiner Zeit gespickt ist: Peter Schreier, Theo Adam, Anneliese Rothenberger, Edda Moser, Brigitte Fassbaender, Walter Berry und der Star der Aufnahme: Kurt Moll – wohl der „luxuriöseste“ Sarastro, den es je gab; seidenweicher und abgrundtiefer Bass. Selbst der volkstümliche Bariton Günter Wewel („Kein schöner Land…“) durfte in einer Nebenrolle brillieren. Man stelle sich vor, ein vergleichbares Star-Ensemble sollte in heutiger Zeit ins Aufnahmestudio geholt werden – Undenkbar!

Ebenfalls undenkbar müsste es sein, eine so großartige Aufnahme mehr als 20 Jahre im Archiv verschimmeln zu lassen, bevor man sie als 2-CD eher beiläufig wiederveröffentlicht. Genau dies ist jedoch geschehen: Die EMI brachte Sawallischs mustergültige Zauberflöte Mitte der 1980er, als eine der ersten EMI Klassik-CDs überhaupt, auf den Markt; danach bis jetzt nicht wieder. Wer diese Referenzeinspielung besitzen wollte, hatte nur die Möglichkeit, sich über EMI Frankreich einen CD-Import zu besorgen – für teures Geld und mit französischem Begleittext.

Jetzt endlich hatte auch das – in letzter Zeit zunehmend kritikwürdige – Management der Klassik-Abteilung von EMI den Weitblick, eine der besten Opernproduktionen aller Zeiten wieder auf CD aufzulegen. In einer preisgünstigen Opern-CD-Serie kommt man nun für ca. 15 bis 20 Euro an die Doppel-CD der 1972er Sawallisch-Großtat.
Denn eine Großtat ist diese Einspielung wahrlich. Sollte man wirklich nach dem Genuss der Aufnahme auf die Idee kommen wollen zwanghaft nach Schwächen zu fahnden, könnte man höchstens zwei Faktoren ins Feld führen. 1.: der etwas in die Jahre gekommene Klang, der zudem seinerzeit von den Toningenieuren des Bayerischen Rundfunks unüblich dünnzeichnend aufgenommen wurde und 2.: der vielleicht etwas zu volkstümlich geratene Papageno von Walter Berry, der sich insbesondere in den Sprechsequenzen etwas arg in seine „Heißa Hoppsassa“-Mission hinein aalt.

Alles in allem bleibt Karl Böhms Einspielung von 1964 die Perfekte und Ferenc Fricsays Einspielung von 1954 geht als die Ursprüngliche und immer Gültige in die Geschichte ein. Sawallischs Deutung von 1972 ist jedoch das, was die Mozart-Diskographie unserer Zeit zunehmend braucht: Die sympathische Einspielung, die jeder überkandidelten und künstlich überzeichneten sog. „Originalklang“-CD Mores lehrt.

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