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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Ernst Toch - Symphonien Nr. 1-7
RSO Berlin - A. Francis

(2006)
cpo

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Ernst Toch - Symphonien Nr. 1-7

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin - Alun Francis

von Rainer Aschemeier  •  13. August 2006

Die Kunst des 20. Jahrhunderts hat in fast allen Gattungen keinen einfachen Stand bei der Publikumsrezeption. Expressionistische Gemälde werden als „Schmiererei“ abgetan, Bauhaus-Architektur wird als „schmucklos und hässlich“ empfunden, Romane und Bücher erhalten „Prädikate“ wie „zu schwierig“ oder „handlungsleer und sinnlos“. Dennoch: Wohl keine Kunstgattung hatte es seit dem Zeitpunkt ihrer Entstehung so schwer wie die sog. „E-Musik“, also die „klassische Musik“, des 20. Jahrhunderts.

Fragt man selbst Leute mit hohem Bildungsniveau nach den maßgeblichen Kompositionen von Schönberg, Schostakowitsch, Hindemith, Bartok oder Strawinsky (den man vielleicht noch als den populärsten unter den sog. „Zeitgenössischen“ durchgehen lassen könnte), stößt man oft auf rudimentäres Halbwissen, noch öfter aber auf gähnende Leere.

Ein kleines Wunder ist es deshalb immer wieder, wenn man sich beguckt, mit welchen Repertoire-Seltenheiten das kleine Klassiklabel cpo (classic produktion osnabrück) seinen Lebensunterhalt verdient. Im Zeitraum 1995 bis 2002 waren unter den besagten von cpo wieder zutage geförderten Repertoireseltenheiten auch die sieben Symphonien des Österreichers Ernst Toch. Tochs Musik teilt bedauerlicherweise seit Jahren dasselbe Schicksal wie die Musik seiner Komponistenkollegen Ernst Křenek, Max Trapp, Werner Egk und zunehmend auch Kurt Weill und Hanns Eisler: ein Schicksal des kollektiven Vergessens – oder besser: Vergessen-werdens.

Dabei war Toch in den 1920-er Jahren so etwas wie ein Shootingstar der deutschen Musikszene: Im wilden Berlin der „Roaring Twenties“ war Ernst Toch neben Weill, Hindemith, Schreker und Křenek eine feste Größe des Musiklebens dieser aufregenden und aufgeregten Stadt. Nach dem zweiten Weltkrieg fand sich mehr als die Hälfte der revolutionärsten Tonschöpfer ihrer Zeit im Exil wieder: Strawinsky, Bartok, Schönberg, Křenek, Korngold und viele mehr zog es nach Amerika. Im Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten tauchte auch Ernst Toch wieder auf – und gehörte plötzlich und fast über Nacht zu einer Generation von Komponisten, die man als „überkommen“ oder „altmodisch“ bezeichnete. Während es Bartok und Strawinsky, ja selbst Schönberg, auf ihre alten Jahre noch einmal schafften, eine gesunde Mischung aus Kunst und Publikumsgefälligkeit zu generieren, gab es Komponisten, die nicht über ihren Schatten springen konnten oder wollten; und neben Ernst Křenek gehörte eben auch Ernst Toch dazu.

Dass Toch bis zu seinem Tod im Jahr 1964 sieben Sinfonien schreiben sollte, kann eigentlich nur als unglaublich bezeichnet werden. In den 1930er/40er Jahren war er sich mit vielen Musikern einig gewesen, die die Symphonie als Gattung einer vergangenen Zeit zuordneten, in ihr keine Zukunft und keine Inspiration zu finden glaubten. Doch schwerwiegende Einschnitte in Tochs Biographie führten offenbar zu einer Änderung seiner Weltanschauung. Zwischen 1919 und 1933 hatte Toch mehr als 35 Werke komponiert. Zwischen 1933 und 1945 waren es nur acht. Die Musikwissenschaftlerin Constanze Stratz, Autorin eines CD-Booklets zur vorliegenden Einspielung, sieht darin „eine kreative Lähmung als Reaktion auf die Gräueltaten in Europa, auch auf die Entwurzelung und die Angst um seine Familie“. 1948 erlitt Ernst Toch einen schweren Herzanfall, der einer längeren depressiven Phase gefolgt war. Dieser Einschnitt änderte Tochs Lebensgewohnheiten. Er unterbrach seine Lehrtätigkeit und widmete sich wieder mit voller Kraft der Komposition. Mit 63 Lebensjahren begann der Exil-Österreicher die Arbeit an seiner ersten Symphonie, mit 77 – kurz vor seinem Tod – vollendete er seine siebte und letzte.

Was aber macht nun den Reiz dieser Werke aus, der ja letztendlich den Kauf der hier neu vorliegenden Gesamteinspielung auf 3CD’s in der handlichen Box rechtfertigen soll? Die Antwort zu dieser Frage lässt sich überraschend kurz auf den Punkt bringen: Es ist die kreative Energie, mit der sich ein reifer stilsicherer Komponist daran macht, mit einer Gattung zu ringen. Das ist es nämlich, was jede der sieben Toch’schen Symphonien verströmt: eine Aura des Ringens – um die Form, den Klang, die Ausdrucksmöglichkeiten, die Legitimation als Sinfoniker und nicht zuletzt sicher auch ein Ringen um Anerkennung, denn Tochs Symphonien wurden in Amerika anfangs gut aufgenommen, und seine dritte Symphonie erhielt 1956 sogar den Pulitzer Preis für Musik.

Aber es gibt auch andere Reize. Toch entwickelte in der kreativen Auseinandersetzung mit der sinfonischen Gattung neue Klangfarben im Orchester. Und als ihm dies nicht mehr ausreichte, erfand er für seine weiteren Werke kurzerhand neuartige Instrumente: Das „Pressure-Horn“, das „Rotarion“ und den „Hisser“. Außerdem setzte er in seinen Symphonien so exotische Klangmittel wie Hammond-Orgel und Glaskugeln ein. Wem bei der Erwähnung dieser Stilmittel etwaige Bedenken kommen, inwieweit man sich das Endprodukt noch ohne Gehörgangkolik anhören kann, der sei beruhigt. Der Komponist Ernst Toch fand in seinen Symphonien zu einem spät-gemäßigten Personalstil, der seine Einflüsse zwar noch zu Gutteilen aus der Zeit als Zwölftöner im Berlin der Zwanziger Jahre bezog, sich jedoch zunehmend auch dem angliederte, womit Ernst Toch in Amerika sein Einkommen verdiente: Filmmusik für Hollywood.

So ist denn die vorliegende CD-Box eine ganz und gar lohnende Sache. Sie bietet anspruchsvolle und dennoch auch Zwölfton-Verweigerern zugängliche Musik, die in den vorliegenden Einspielungen vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter dem Dirigat des (wie immer) glänzend disponierten britischen Dirigenten Alun Francis vorzüglich dargeboten werden. Da auch der Klang kaum Wünsche offen lässt (unsere Rundfunkgebühren machen’s möglich), sei experimentierfreudigen Hörern, die auch der Musik von z. B. Paul Hindemith bislang viel abgewinnen konnten, eine klare Kaufempfehlung erteilt. Zum Schluss noch der Hinweis: Das Label cpo gibt es nicht im normalen Handel, sondern wird exklusiv über den Tonträgerversand jpc vertrieben und findet sich unter www.jpc.de ausschließlich im Mailorder, bzw. in den der jpc-Kette angeschlossenen Filialgeschäften.

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