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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

F. Delius - Klavierkonzert, Brigg Fair, etc.
Royal Scottish National Orchestra - A. Davies; H. Shelley (Klavier)

(2012)
chandos

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Frederick Delius - Klavierkonzert, Brigg Fair, Paris & Idylle de printemps

Phänomenale Würdigung zu Delius' 150. Geburtstag

von Rainer Aschemeier  •  26. Oktober 2012
Katalog-Nr.: CHAN 10742 / EAN: 095115174227

Erst vor wenigen Tagen hatten wir die Gelegenheit eine Delius-Neuerscheinung vorstellen zu können (Rezension siehe hier), und nun kommt schon die nächste. Woher diese plötzliche Begeisterung aller möglichen Labels (auch EMI und DECCA veröffentlichten in diesem Jahr große, mehrere CDs umfassende Delius-Werkausgaben) für die Musik des Deutsch-Briten nur kommen mag?
Ja, daran sieht man einmal wieder, wie ignorant wir deutschen Klassikhörer durch die Lande laufen: Während wir uns in diesem Jahr gedanklich vom Mahler-Jahr verabschiedeten und uns gleichzeitig schon einmal auf das kommende Wagner-Jahr (ich persönlich ahne da Schlimmstes…) vorzubereiten begannen, war in Großbritannien das Delius-Jahr 2012 in vollem Gange.
Ja, die Briten lieben ihren Delius. Ist er doch so etwas, wie der „kleine Bruder“ von Edward Elgar – zwar nicht verwandtschaftlich, aber musikkulturell. Delius und Elgar gelten als die beiden Komponisten, die der britischen Musik nach fast zwei Jahrhunderten Tiefschlaf wieder aus den Puschen geholfen und eine neue, bis heute andauernde und im Übrigen immens fruchtbare britische Tradition sinfonischer Musik angestoßen haben. Und wer so etwas erreicht, dem sind die Briten auf ewig dankbar.
Während also im Rest der Welt die Musik von Frederick Delius praktisch keine Rolle spielt – ob berechtigterweise oder nicht sei dahingestellt -, zählt Delius in seiner britischen Heimat nach wie vor zu den ganz Großen. Dabei darf man ruhig auch mit einbeziehen, dass Delius auch als eine Figur aus der „guten alten Zeit“ wahrgenommen wird, nämlich aus der Zeit, in der man noch ganz spätromantisch und unmodern komponieren durfte – ...und alle fanden’s gut.

Wir Deutschen sind da etwas unverkrampfter: Wir kennen Delius erst gar nicht und glauben auch, dass es okay wäre, es dabei zu belassen. Zugegeben: Delius ist im internationalen Vergleich sicher keines der herausragendsten Musikgenies seiner Zeit. Alles in allem ist er dennoch unterschätzt. Nicht nur sein unerschöpflicher Melodienreichtum und sein Sinn für wirksame Orchestrierung sind doch recht bemerkenswert, sondern auch seine aus heutiger Sicht hochinteressante „Internationalität“: In Delius‘ Werk finden sich Einflüsse der amerikanischen Musik, ähnlich wie bei Delius‘ Zeitgenossen Dvořák, weil er einst als Plantagenverwalter in Florida tätig war. Vieles an seiner Musik ist aber auch unverkennbar britisch und diente später Komponisten wie Ralph Vaughan Williams als Blaupause für die heute so beliebten pastoral gefärbten musikalischen Kabinettstückchen aus dem ländlich-grünen England. Spannend ist aber vor allen Dingen, dass Delius unverkennbar auch dem französischen Einfluss unterlag. Es wäre gar nicht vermessen, wenn man behaupten würde, dass Delius so etwas wie musikalischen Impressionismus schon verinnerlicht hatte, während Debussy noch darüber nachdachte.

Die hier vorgestellte CD-Neuheit aus dem renommierten Hause chandos feiert Delius‘ 150. Geburtstag mit einem großartigen Querschnitt aus dessen Werk. Beginnend mit der hinreißenden Rhapsodie „Brigg Fair“ (pastöseste Spätromantik, aber sooooooo schön – einfach wunderbar!) über das selten gehörte, aber durchaus mit Substanz gesegnete Klavierkonzert, das mit einer überraschenden, an Tschaikowsky gemahnenden Eröffnung beginnt, bis hin zu der – wohl auch in Großbritannien – praktisch unbekannten „Nocturne“-Suite „Paris“.
Wer Delius kennenlernen möchte, der ist mit dieser CD jedenfalls bestens bedient. Das Royal Scottish National Orchestra spielt hier unter der Leitung von Andrew Davis noch deutlich überzeugender, als wir das in den letzten Rezensionen von CDs dieses Ensembles verkünden konnten (aktuelle Besprechungen über CDs des Royal Scottish National Orchestra siehe unter anderem hier). Dazu trägt sicherlich auch der – wie so oft – phänomenal schöne chandos-Sound bei, den Klangpionier Ralph Couzens – Sohn des Labelgründers Brian Couzens – hier auf CD gezaubert hat.
Solist Howard Shelley spielt das Klavierkonzert so, wie wir es auch von seinen letzten Einspielungen (Rezension siehe hier) her bereits kennen: Im positiven Sinne neutral, mit der Tendenz zur Vermeidung allzu emotionaler Ausbrüche.

Fazit: Wenn nur jedes Komponistenjubiläum mit so tollen CDs gewürdigt werden würde. Aber vielleicht ist eine wundervolle Delius-CD ja besser, als 20 schnell gemachte Wagner-Produktionen. Die gibt’s dann im kommenden Jahr…

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