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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

L. Spohr - Klarinetten-konzerte 1-4
Orchestre de chambre de Lausanne / P. Meyer

(2012)
α (Alpha) / note 1

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Louis Spohr - Klarinettenkonzerte (Gesamteinspielung)

von Rainer Aschemeier  •  18. Juli 2012
Katalog-Nr.: ALPHA 605 / EAN: 3760014196058

Wer diese Seiten öfters liest, weiß, dass hier einige Komponisten stets besonders gern vorgestellt werden, weil wir von www.the-listener.de finden, dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung bislang einfach zu wenig gewürdigt wurden. Zu diesem Grüppchen der unverdient Vernachlässigten gehört unter anderen auch Louis Spohr, von dem wir im letzten Jahr eine ganz wunderbare CD mit Kammermusik für Violine und Harfe vorstellen durften.

Im Juli erschien eine ungewöhnlich wichtige Spohr-Veröffentlichung, nämlich eine Gesamteinspielung von dessen Klarinettenkonzerten, die wegen ihres immensen Schwierigkeitsgrades bislang als beinahe unspielbar galten. Es gab bislang deshalb wohl auch nur eine einzige überzeugende Einspielung von zumindest dem zweiten und vierten Klarinettenkonzert – nämlich (wie sollte es anders sein…) von Sabine Meyer und der Academy of St. Martin-in-the-Fields unter der Leitung von Kenneth Sillito auf EMI Classics.

Nun also beschert uns der Dirigent und Klarinettist Paul Meyer (der sich bislang ausschließlich bei den Majorlabels Deutsche Grammophon, RCA Red Seal sowie EMI herumgetrieben hat) eine ambitionierte Gesamtedition der Spohr-Konzerte. Und wenn man so etwas schon macht, dann auch gleich in die Vollen: Meyer dirigierte und übernahm auch gleich den Part des Solisten. Dabei ist vor allem Letztgenanntes eine wahre Mammutaufgabe. Louis Spohr schrieb diese Konzerte für den thüringischen Klarinettenvirtuosen Johann Simon Hermstedt (1778-1846).
Hermstedt wirkte in Sondershausen, eine Stadt im Kyffhäusergebirge, die über einige Zeit erstaunlich prominente Musiker anzog, darunter etwa Max Reger, Franz Liszt und Max Bruch.

Spohr, zunächst in Gotha, später in Kassel ansässig, war offenbar ebenfalls mit dem musikalischen Leben in Sondershausen vertraut und zauberte vier wunderschöne, hoch melodische und zudem leichtfüßige Klarinettenkonzerte auf’s Papier. Jedes Konzert umfasst etwa 20 bis 30 Minuten Spielzeit und zeichnet sich durch halsbrecherische Sologirlanden für die Klarinette aus.
Dass insbesondere dieser Umstand an der hier vorzustellenden CD nicht nervig wird, ist der hohen musikalischen Qualität der Spohr’schen Stücke zu verdanken.

Wir erinnern uns: Spohr war ein Romantiker und zu seiner Zeit der international bekannteste deutsche Komponist – nicht zuletzt weil er auch der neben Paganini europaweit gefragteste und begabteste Geigenvirtuose war. Auch als Dirigent war er überall gern und oft gesehen. Spohr war Zeitzeuge der Uraufführung von Beethovens siebter Sinfonie – bei der er als ausführender Musiker im Orchester mitwirkte!
Als die zugegebenermaßen viel fortschrittlichere Musik Schuberts und Schumanns sich etablierte, galten Spohrs Klänge binnen kurzer Zeit als antiquiert. Diese Haltung hat sich bis heute hartnäckig gehalten. Obwohl es immer wieder Vorstöße eifriger Spohr-Jünger gegeben hat, den Meister zu rehabilitieren, fand eine echte „Spohr-Renaissance“ bislang (leider) nicht statt.

Nun hat Spohr sicher auch einiges von seiner späteren Nichtbeachtung selbst zu verantworten. So ist zum Beispiel insonders seine Sinfonien-Sammlung (insgesamt neun vollendete und eine Fragment gebliebene) etwas mit Vorsicht zu genießen. Aber es ist wohl auch eine Frage der Blickrichtung, denn eine besondere Stärke Spohrs war stets das Solokonzert. Seine Violinkonzerte sind inzwischen wieder öfter in den Konzertsälen und auf Hochglanzproduktionen der Majorlabels zu hören, und nun folgt hier also endlich jemand, der sich ernst- und gewissenhaft den Klarinettenkonzerten gewidmet hat.

Paul Meyer wird begleitet vom renommierten Orchestre de Chambre Lausanne, das seit seiner Gründung 1942 von sehr bedeutenden Chefdirigenten geleitet wurde, zum Beispiel von dem sehr unterschätzem Armin Jordan, von Lawrence Foster, Jesús López Cobos und seit 2000 von Christian Zacharias.
Machen wir es kurz: Sowohl Orchester als auch Dirigent liefern eine blitzsaubere, schlichtweg perfekt eingespielte Aufnahme ab, die vom Label Alpha (α) zudem relativ klangschön aufgezeichnet wurde. Allerdings liegt darin auch das Problem: Wirkt die Einspielung nicht vielleicht manchmal doch etwas arg „poliert“, ja, fast möchte man sagen: aalglatt?
Sie gleicht in vielen Belangen einer Vielzahl von ähnlich gelagerten Mozart-Einspielungen, die zwar vordergründig zu beeindrucken wissen, denen man aber insgesamt mehr Charakter gewünscht hätte, einfach etwas mehr Ecken und Kanten.

Gleiches gilt übrigens auch für den Sound. Auch hier ist objektiv kaum etwas auszusetzen, doch missfällt mir persönlich auch hier der eher glatt gebügelte, stromlinienförmige Ansatz, bei dem nirgendwo irgendwelche Instrumentengruppen auch nur vage aus dem Orchester hervorstechen. Alles ist einerseits perfekt ausbalanciert und andererseits ergibt das Ganze einen eher schalen Eindruck. Jedenfalls bleiben Energie und Verve bei dieser Einspielung manchmal auf der Strecke – und das ist sehr schade, denn das Projekt ist eigentlich perfekt inszeniert und vor allem sehr ambitioniert.

Fazit: Eine Gesamteinspielung von Spohrs Klarinettenkonzerten war ein frecher und spannender Gedanke. Leider sorgten alle Ausführenden dieser Aufnahme auf die eine oder andere Weise dafür, dass er viel zu brav in die Tat umgesetzt wurde.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „note 1“ zur Verfügung gestellt.))

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