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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

M. Weinberg - Vollständiges Klavierwerk Vol. 2
A. Brewster-Franzetti

(2012)
Grand Piano

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Mieczysław Weinberg - Partita, op. 54 / Sonatina, op. 49 / Klaviersonate Nr. 4, op. 56

Ein wichtiger Werkzyklus geht in die zweite Runde

von Rainer Aschemeier  •  25. Juni 2012
Katalog-Nr.: GP607 / EAN: 747313960729

Nachdem www.the-listener.de erst kürzlich über die „Geburt“ des neuen Klaviermusiklabels Grand Piano berichtet hatte (Bericht siehe hier), gehen einige der ambitionierten Klaviermusikzyklen des Labels bereits in die zweite Runde.
Besonders gefreut hatte es mich schon bei den ersten vier CDs, die das neue Label im März auf den Markt gebracht hatte, dass es sich der vollständigen Klaviermusik des Schostakowitsch-Freundes Mieczysław Weinberg annehmen wollte. Fiel der erste Teil des gesamten Zyklus noch insofern etwas unbefriedigend aus, als dass er bedeutende, tragende und „kleine“ Werke mit eher Bagatellcharakter etwas bunt aneinanderreihte, ändert sich dies nun mit dem zweiten Teil der Serie, die sich drei Hauptwerke aus der Zeit zwischen 1950-1955 vornimmt.

Die in den letzten zehn Jahren dreifach Grammy-nominierte Pianistin Allison Brewster-Franzetti erweist sich auch auf dieser CD wieder als hervorragende Interpretin für das Werk des großen polnisch-russischen Komponisten. Mieczysław Weinberg konnte es in Sachen kompositorischer Qualität jederzeit mit Prokoffiew, Schostakowitsch oder Mjaskowski aufnehmen, ist trotzdem aber bis heute eher ein „Geheimtipp“ unter Insidern geblieben.

Die vorliegende Grand Piano-Neuerscheinung zeigt einmal mehr, wie ungerechtfertigt und an sich unverständlich das ist. Bereits die einführende Partita, op. 54 – die hier als Weltersteinspielung erklingt und bislang als verschollen galt – ist ein bedeutendes Stück. Es ist ein sehr ungewöhnliches, vom Aufbau neoklassizistisch, vom musikalischen Inhalt her aber bereits recht modern angelegtes Werk, das der Komponist nach einer schwierigen Zeit politischer Inhaftierung schrieb.
In der Tat wirkt es emotional zerrissen, streckenweise sogar wie zerklüftet. Die Einzelsätze sind völlig unterschiedlich, schwanken von lethargisch bis wütend verzweifelt anmutenden Klängen. Trotzdem gelang es Weinberg aus der Partita ein Gesamtkunstwerk zu formen, dass eine innere und äußere Geschlossenheit aufweist. Dieses Klavierwerk ist große Kunst und steht den pianistischen Meisterzyklen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (ich nenne als Beispiel mal den Namen Janáček) meiner Meinung nach in nichts nach. Hier lohnt sich die Entdeckung also besonders.

Besitzer des ersten Teils der Werkedition werden sich freuen, dass auf Vol. 2 der Reihe nun auch die Urfassung der Sonatina Op. 49 zu finden ist, die sich doch sehr stark von der überarbeiteten Fassung des Stücks unterscheidet, die auf dem ersten Teil der Serie zu finden war.

Weinbergs vierte Klaviersonate, op. 56 setzt die Vorstellung auch dieser Werkreihe fort, die auf dem ersten Teil der Edition mit den Sonaten 1 und 2 bereits begonnen wurde. Die rund halbstündige Sonate erweist sich als ein sehr viel reiferes und insgesamt zufriedenstellenderes Werk als die beiden frühen Sonaten op. 5 und op. 8.
Bei kaum einem Weinberg-Stück habe ich mich stärker an Schostakowitsch erinnert gefühlt als bei der Sonate op. 56 aus dem Jahr 1955. Das Emil Gilels gewidmete Stück wurde von seinem Widmungsträger 1957 uraufgeführt. Es ist ein sehr spannendes Beispiel für einen allmählichen Stilwechsel in Weinbergs Werk. Die bis in die 1950er-Jahre hinein tendenziell spätromantische Tonsprache des Komponisten wandelt sich mit der bereits oben erwähnten Partita und der vierten Klaviersonate – offenbar unter dem Eindruck der Werke Schostakowitschs – langsam aber sicher hin zu einem gemäßigt expressionistischen Stil, wie er für viele sowjetrussische Komponisten so typisch war.
Später änderte Mieczysław Weinberg seinen Stil bekanntlich erneut und schuf ein zutiefst individuelles und auch recht sperriges Spätwerk. Davon ist hier aber noch nichts zu spüren.

Die Interpretation durch Allison Brewster-Franzetti gefällt mir auf diesem zweiten Teil des Gesamtzyklus noch besser als bei der ersten CD aus der Reihe, obwohl auch die schon sehr gut war. Der Aufnahmeklang ist erneut auf hohem Niveau angesiedelt, lässt lediglich etwas Brillanz in den Höhen vermissen. Das mag aber auch schlicht und erfreifend am Instrument liegen, das Frau Brewster-Franzetti verwendet. Sie spielt laut Booklet-Info auf einem Fazioli 308 Konzertflügel, der für ein eher samtig-dunkles Timbre bekannt ist.
Der Sound dieses Instruments passt jedenfalls wunderbar zu der Musik Mieczysław Weinbergs und trägt entscheidend zu dem positiven Gesamteindruck dieser wichtig zu nennenden CD bei.

Weinberg-Fans kommen hier voll auf ihre Kosten, Freunde der musikalisch reichen sowjetrussischen Moderne sollten der CD auf jeden Fall einen ausgedehnten Testlauf gönnen. Die Musik Weinbergs hat es verdient, von einem breiten Publikum wiederentdeckt zu werden. Aber wahrscheinlich ist sie dafür einfach zu gut…
Es lohnt sich übrigens auch, in unserem www.the-listener.de-Archiv nach Weinberg-Rezensionen zu stöbern. Es gibt ein paar…

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