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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Rosa e Orticha
Ensemble Syntagma

(2011)
Carpe Diem / Naxos

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Rosa e Orticha

Klänge aus der Zeit des Trecento

von Rainer Aschemeier  •  23. Februar 2012
Katalog-Nr.: CD-16287 / EAN: 4032324162870

Wir schreiben das 13. Jahrhundert!
Im Großteil der bis dahin bekannten Welt herrscht das tiefste Mittelalter; eine Epoche, die heute nicht selten als „Dunkles Zeitalter“ tituliert wird. Doch in einigen Regionen im heutigen Italien und Frankreich tut sich was…

Die später als „Protorenaissance“ bezeichnete Zeit ist angebrochen. Sie setzt mit ihrer Rückbesinnung auf antike Vorbilder einen „Trend“, der die Renaissance (scheinbar) schon 400 Jahre vor ihrer Zeit hätte einleiten können. Doch nichts dergleichen geschah. Räumlich beschränkt und vorerst nicht weitergeführt, blieb die Protorenaissance eine verhältnismäßig kurzlebige Episode der Kunstgeschichte. Die Kunsthistoriker bezeichnen diese Zeit gern auch als „Trecento“.

Auch in der Musik leitet sich ein Wandel ein. Lieder werden mit Verzierungen geschmückt, neue Instrumente entstehen, und die Idee, einen „Tag in Musik“ zu setzen kommt auf. Darunter wird ein Zyklus von Musikstücken verstanden, der vom Aufgang der Sonne am frühen Morgen bis zu ihrem Untergang einen Tag beschreibt. Diese alte Idee, die auch heute noch gelegentlich aufgegriffen wird, nahm sich das französische Ensemble Syntagma unter ihrem Leiter Alexandre Danilevski zum Anlass, die CD „Rosa e Orticha“ zu programmieren.
Auch die Aufnahme selbst wurde in Eigenregie durchgeführt, sodass hier der seltene Fall eintritt, dass eine CD des audiophilen Labels „Carpe Diem“ einmal nicht von seinem Gründer und Tonmeister Jonas Niederstadt aufgezeichnet wurde.

„Rosa e Orticha“ überzeugt aber auch so von der ersten Minute an. Ganz wunderbare Musik hat das Ensemble Syntagma da aus den Untiefen der Vergangenheit wieder zutage befördert.
Und auch wenn ich mir einmal wieder den Eindruck nicht verkneifen kann, dass Manches doch sehr „heutig“ musiziert wird, soll heißen, mit einem Hang zum Transzendenten, ja, vielleicht auch zum Esoterischen (Esoterik bedeutet etymologisch ja nicht mehr als „das Innere betonend“), ist das eine sehr überzeugende Vorstellung.
Programmatischer Kritikpunkt ist in meinen Augen die Uneinheitlichkeit der Besetzungen. Mal wird ein Stück rein instrumental vorgetragen, mal in einer reinen Vokalbesetzung, mal mit einem Soloinstrument und mal in einer Mischung aus allem.
Auf den Gipfel getrieben wird das bei einer (scheinbaren?) Freiluftaufnahme eines Stücks für Carillon (also ein bespielbares Glockenspiel einer Kirche, o. ä.). Hier piepsen mir doch die zu hörenden Vögel zu Beginn etwas arg laut, später dann dafür aber gar nicht mehr, sodass die Piepmätze entweder einen gewaltigen Glockenspielschreck bekommen haben oder sie wurden (was ich vermute) aus der Tonkonserve eingespielt.

Das alles ist natürlich legitim, doch einen besonders konvergenten Gesamteindruck hinterlässt es nicht gerade.
Doch darüber kann man gern hinwegsehen, denn die Musik, die hier geboten wird, ist über weite Strecken einfach schlicht so schön, dass sich streng genommen jegliche Kritik verbietet.
Zudem ist die CD klanglich als durchaus sehr gut zu bezeichnen. „Carpe Diem“-Chef Jonas Niederstadt hätte zwar sicherlich noch etwas mehr an akustischer Auflösung herausgekitzelt (auf seinen Aufnahmen kann man ja eine Nadel in einen Heuhaufen fallen hören – das ist hier nicht der Fall) und auch die manchmal etwas unbeholfen wirkende Räumlichkeit der CD hätte er sicher besser in den Griff bekommen, doch „Rosa e Orticha“ ist immer noch zu 100 Prozent HiFi-tauglich und wird auch ausgewiesene Klanggourmets zufriedenstellen.

Fazit: Eine CD mit wunderschöner Musik in hochklassigem Klang und hübscher Ausstattung. Herz was begehrst Du mehr?

Ach ja, eine Sache fiele mir da schon noch ein: Mein Herz – und vor allem mein Gehirn – würde einen Begleittext bevorzugen, der sich nicht in zig Fußnoten verzettelt und es auf immerhin fünf Textseiten trotzdem nicht schafft, die Idee der CD „auf den Punkt“ zu bringen oder wenigstens greifbare Daten zu bieten, anhand derer sich der Hörer überhaupt mal vor Augen führen könnte, in welcher Zeit er sich hier musikalisch befindet.
So anziehend und im positiven Sinne unkompliziert es das Ensemble Syntagma versteht, uns diese Musik nahe zu bringen, so sperrig und abschreckend führt uns der Booklet-Text wieder davon weg.
Das ist zweifellos schade, aber kein „Beinbruch“. CDs sind ja zum Hören da, nicht zum Lesen …

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Label zur Verfügung gestellt.))

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