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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

G. Enescu - Kammermusik 1895-1906
diverse Solisten

(2011)
Indésens / Klassik Center Kassel

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George Enescu - Kammermusik 1895-1906

Für Enescu-Komplettisten

von Rainer Aschemeier  •  7. Februar 2012
Katalog-Nr.: INDE036 / EAN: 3760039839305

Beim französischen Mini-Label Indesésens erschien in den letzten Tagen des Jahres 2011 noch einmal eine CD, bei der Liebhaber einer der ungewöhnlichsten Musikerpersönlichkeiten des 19. und 20. Jahrhunderts mit der Zunge schnalzen werden. Die Rede ist von George Enescu, jenem rumänischstämmigen Komponisten und Violinvirtuosen, dem tragischerweise bis heute unerklärlicherweise (und noch dazu in höchstem Maße ungerechtfertigt) ein Schattendasein in der allgemeinen Musikrezeption zugekommen ist.

Dabei ist Enescu zu seinen Lebzeiten ein immens erfolgreicher Musiker gewesen, dessen Popularität erst zu verblassen begann, als sich ein anderer Jahrhundertgeiger daran machte, den goldenen Virtuosenthron zu besteigen, nämlich Yehudi Menuhin, den Enescu zeitweise selbst ausbildete. Doch vielleicht ist es gerade dieser Umstand, der Enescu bei einigen Zeitgenossen scheinbar „zwielichtig“ erscheinen lässt. Schließlich gab und gibt es genug komponierender Virtuosen, deren Kompositionskünste allerdings meistens nicht im Ansatz mithalten konnten mit ihrer oft halsbrecherischen Virtuosität auf der Geige.

Enescu war da ganz anders. Von den beiden leichtfüßigen Rumänischen Rhapsodien und einigen Gelegenheitswerken einmal abgesehen, gehört Enescus Werk zu jenem auserlesenen Teil der Musikkultur, bei dem man Gelegenheitsklassikhörer besser auf Distanz hält und es stattdessen lieber echten Kennern und Liebhabern empfiehlt. Enescus Symphonien beispielsweise sind kontrapunktgesättigte, höchst diffizile, schwerverdauliche und dazu noch mit kiloweise spätromantischem Pathos ausgestattete „Brocken“, die der geneigte Hörer erstmal schlucken können muss. Enescus Werk für Kammermusikbesetzungen ist schmal aber sehr qualitätvoll. Die Krönung seines gesamten Schaffens ist ein Werk für Kammerorchester, nämlich die Kammersinfonie für 12 Instrumente, op. 33 aus dem Jahr 1954, ein faszinierendes Stück, dessen Musik wie ein schillernder Schmetterling zu irisieren scheint und sich nicht nur voll auf der Höhe ihrer Zeit befindet, sondern sicherlich zu den besten Kompositionen des 20. Jahrhunderts überhaupt gezählt werden muss.

Obwohl dieses Stück auf der vorliegenden Neuerscheinung aus Frankreich nicht enthalten ist, gibt es auch hier viel zu entdecken. Das indésens-Label führt uns hier das Kammermusikschaffens George Enescus aus den Jahren 1895 bis 1906 vor Ohren und zeigt, dass es hier noch manchen Schatz zu heben galt. Dabei gibt es manch Jugendstück, das man nicht unbedingt gehört haben muss, aber doch mit Genuss hören kann, wie zum Beispiel die vom vierzehnjährigen Enescu munter geschriebene Tarantelle für Geige und Klavier. Es gibt aber auch die Suite für Klavier, op. 10 (von der hier ein Auszug vorgestellt wird), die wunderschöne und ungewöhnliche Komposition für Trompete und Klavier „Légende“ oder die ganz bezaubernde Serenade für ein Trio bestehend aus Klavier, Geige und Violoncello. Diese Stücke besitzen zwar ebenfalls oft den Charakter „leichter“ Gelegenheitswerke, offenbaren aber, das hier schon in jungen Jahren ein Meister seiner Zunft am Werke war.
Man soll ja nicht ungerechtfertigt zu allzu hohen Vergleichen greifen, doch im Falle Enescus ist die bereits im Jugendalter voll entwickelte Fähigkeit, kompositorische Klasse mit zart ausgebildeter, geradezu hintergründiger Melancholie zu verquicken am ehesten mit der Meisterschaft des jungen Mozart vergleichbar. Ja, Enescu muss man gehört haben.

Ob man nun allerdings unbedingt alles gehört haben muss, was auf dieser CD präsentiert wird, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Neben unbestreitbaren Geniestreichen findet sich hier auch manches verzichtbare. Die CD als solche vermittelt eher den Eindruck eines Versuchs, einen möglichst kompletten Überblick der Enescu’schen Kammermusik zwischen 1895 und 1906 vorzulegen, ohne dass man dabei sonderlich qualitativ aussortiert hätte.
Nichtsdestotrotz erfahren restlos alle Stücke auf diesem Tonträger ganz ausgezeichnete Wiedergaben von zum Teil sehr renommierten Solisten. Die Darbietenden sind Tatiana Samouil (Violine), Gérard Caussé (Viola), Justus Grimm (Cello), Vincent Lucas (Flöte), Frédéric Mellardi (Trompete) sowie Claudia Bara und Carmen-Elena Rotaru (Klavier). Von dieser Besetzung ragt in Sachen Bekanntheitsgrad hierzulande freilich der Hamburger Cellist Justus Grimm heraus, doch auch der Bratschist Gérard Caussé, der jahrelang Solobratschist in Pierre Boulez‘ Ensemble Intercontemporain war und der Flötist Vincent Lucas, der sechs Jahre lang Mitglied der Berliner Philharmoniker war, zeigen deutlich, dass hier ganz herausragende Musiker am Werk waren, was sich in einer erstaunlich hohen Güte der hier zu hörenden Darbietungen äußert.

Abschließend wie immer ein paar Worte zum Klang der Aufnahme – und nun wird es schwierig! Das Booklet wimmelt nur so vor Angaben in Sachen Aufnahmetechnik, man wird über den Markennamen jedes Mikrokabels informiert, ähnlich, wie das bei ausgewiesenen Hifi-Labels wie Telarc und co. üblich ist. Doch diese CD zeigt einmal mehr, dass es nicht nur gute Technik braucht, um eine gute Aufnahme hinzubekommen, sondern auch gute Tonmeister, die wissen, wie sie Mikrofone postieren müssen.
Evi Iliades die/der (?) für die hier vorliegende Aufnahme verantwortlich zeichnet, ist zweifellos ein Raumklangfetischist. So weit, so gut – ich liebe ja räumlich klingende, hoch auflösende Aufnahmen, bei der die Aufnahmeumgebung integraler Bestandteil des Klangkonzepts ist. Nur ist das hier ein wenig daneben gegangen. Per Kopfhörer erschließt sich der Aufnahmeraum nämlich nicht nur musikalisch – auch der nervtötend quietschende Stuhl des Cellisten Justus Grimm, der schwere Atem von Bratschist Gérard Caussé und der omnipräsente Trittschall der Klavieraufnahme begleiten einen durch Enescus Kammermusikfrühwerk. Und so gibt es hier also in Sachen Aufnahmeklang eine eher ambivalente Bilanz: Die Auflösung und Räumlichkeit könnte teils kaum besser sein, doch das, was sie akustisch enthüllt, hätte ein versierter(er) Tonmeister besser im Griff haben müssen.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „Klassik Center Kassel“, zur Verfügung gestellt.))

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