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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

D. Schostakowitsch - Violasonate, Cellosonate (i. Transkr. f. Viola), Suite aus "Die Hornisse"
Håvard Gimse (Klavier), Lars Anders Tomter (Viola)

(2004/2011)
Somm Recordings / Klassik Center Kassel

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Dmitry Schostakowitsch - Violasonate, op. 147, Cellosonate, op. 40 (in Transkr. f. Viola), Suite für Viola u. Klavier aus "Die Hornisse"

Problematische "klassizistische" Lesart

von Rainer Aschemeier  •  17. August 2011
Best.-Nr.: SOMMCD 030 / EAN: 748871303027

Dmitry Schostakowitsch ist heute einer der berühmtesten Komponisten der russischen Moderne. Leider beruht diese Berühmtheit schon seit Langem nicht mehr nur auf der schieren Qualität seiner Musik (die fast immer gegeben ist). Stattdessen beschäftigen sich viele Laien und Musikwissenschaftler nur allzu gern mit der „Entschlüsselung“ musikalischer „Codes“, die der Komponist in seinen Stücken nachgewiesenermaßen und/oder angeblich verborgen hat. So taucht in seinen Stücken zum Beispiel immer wieder die Tonabfolge D – Es – C- H auf, die als „Schicksalsmotiv“ die Initialen des Komponisten (D. Sch.) widerspiegeln soll. Des Weiteren ist die Musik des Russen angefüllt mit Zitaten aus Werken anderer Meister (besonders stark in Schostakowitschs später 15. Sinfonie, in die er Zitate von Rossini bis Wagner eingearbeitet hatte) oder russischer Volks- und Arbeiterlieder (so zum Beispiel im berühmten 9. Streichquartett), die auf bestimmte Stimmungen und Aussagen hindeuten. Diese durfte der Komponist zu Lebzeiten nicht offen äußern, denn er stand unter starker Beobachtung vonseiten Stalins, der sich mehrfach persönlich bei Schostakowitsch eingefunden haben soll, um diesem zu erläutern, was „richtige“ Musik sei. Stalins Kultur-“Polizist“ Schdanow hatte dann die „Drecksarbeit“ zu erledigen.

Zahlreiche Kulturschaffende wurden in Arbeitslager deportiert, öffentlich denunziert oder (in besonders erschreckenden Fällen) sogar exekutiert. Die Gründe hierfür sind heute einfach nicht mehr in den Kopf zu kriegen: Musik in Sowjetrussland hatte „sozialistisch“ zu sein. Das bedeutete zum Beispiel für den Aufbau einer Sinfonie, dass sie im ersten Satz eine gesellschaftliche Problemstellung vermitteln sollte, die dann über eine musikalische Entwicklung im zweiten und dritten Satz zu einem Finale führte, das durchwegs positiv zu sein hatte, symbolisierend, dass der Sozialismus zum Schluss siegreich aus der Krise hervorgehen würde. Jeder, der sich diesem programmatischen Diktat nicht unterwarf, wurde als „Formalist“ gebrandmarkt. Das bedeutete, dass diesen Leuten im Prinzip vorgeworfen wurde, dass sie die Musik nicht zur Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft einsetzten, sondern zu rein akademischen Zwecken — und somit zum Selbstzweck. Das reichte, um Musikerpersönlichkeiten wie Mjaskowsky, Popov, Khatchaturjan, Prokoffjew und (allen voran) Schostakowitsch nach allen Regeln der Kunst zu maßregeln, öffentlich zu verspotten und bloßzustellen, sie psychologisch unter Druck zu setzen und sie körperlich zu bedrohen.

Viele hielten das nicht aus. Gavriil Popov zum Beispiel, einer der vielversprechendsten Komponisten seiner Generation und ein Mitstudent von Schostakowitsch, ging daran zugrunde und verfiel zunehmends dem Alkoholismus. Schostakowitsch entwickelte relativ zahlreiche unspezifisch wirkende nervöse Leiden und ein reales Herzproblem. Der Komponist, der zudem Zeit seines Lebens viel geraucht hatte, verstarb letztendlich an einem Herzinfarkt. Nur vier Tage vor seinem Tod (schon seit längerem konnte Schostakowitsch nur noch die linke Hand benutzen) korrigierte er noch die Druckfahnen seiner Sonate für Viola und Klavier, die das Hauptwerk auf der hier vorliegenden, nun endlich auch in Deutschland erhältlichen, Aufnahme darstellt. Sie umfasst in einer Spielzeit von etwa 30 Minuten wohl die innigste aber auch verbittertste Musik, die uns Schostakowitsch hinterlassen hat. Sie ist sehr anspruchsvoll, sowohl für die Spieler als auch für die Hörer, beinahe minimalistisch in der Konzentration ihrer Mittel und ist vielleicht deswegen beim Publikum nicht sonderlich beliebt. Dabei ist sie nicht nur eines der größten Meisterwerke im Œuvre des russischen Meisters, sondern auch in der gesamten Kammermusikliteratur des 20. Jahrhunderts.

Ergänzt wird das Stück auf der vorliegenden CD durch zwei Transkriptionen: Schostakowitschs Cellosonate op. 40 und eine Suite aus der Filmmusik zu dem Agentenstreifen „Die Hornisse“ finden sich hier (in zum Teil Weltersteinspielungen) versammelt. Sie bilden das „Aperitif“ für den Hauptgang Bratschensonate.

Leider können mich sämtliche Darbietungen nicht sonderlich überzeugen. Das liegt sicherlich nicht am technischen Können der Solisten Håvard Gimse und Lars Anders Tomter. Gerade Tomter ist sicherlich einer der besten Bratschisten unserer Zeit. Erst kürzlich besprachen wir an dieser Stelle eine grandiose Mozart-Einspielung unter seiner Beteiligung (http://www.incoda.de/listener/reviews/193/mozart-divertimento-es-dur-kv-563), und auch früher schon hatte er (zum Beispiel mit seiner Weltklassedarbietung als Solist in William Waltons Bratschenkonzert) gezeigt, dass er zu großartigen Leistungen in der Lage ist, wie kaum ein anderer.
Des Pudels Kern liegt bei diesem Repertoire in Tomters Instrument, einer Gasparo da Salo-Viola aus dem Jahr 1590. Diese Bratsche mit nicht sehr großem Korpus ist für Schostakowitschs Musik, die, obschon modern, doch bis zum Schluss immer auch noch mit einem Fuß in der Spätromantik stand, einfach die falsche Bratsche. Sie klingt sehr dünn und klassizistisch, während man sich bei dieser Musik ein volltönendes, kräftig-sonores — eben einfach „russischeres“ — Instrument wünschte.
Meine persönliche Referenzeinspielung ist und bleibt eine CD aus dem Fundus von Berlin classics, nämlich die Aufnahme des Stücks mit den Solisten Jutta Czapski (Klavier) und Manfred Schumann (Viola). Obwohl ich in den letzten zehn Jahren sehr sehr viele Neueinspielungen der Violasonate von Schostakowitsch gehört haben, bleibt die Czapski/Schumann-Fassung aus den 1980er-Jahren für meine Begriffe doch die allerbeste.

Das soll nicht heißen, dass diese CD schlecht wäre. Durchaus im Gegenteil: Die Solisten sind sehr versiert, der Klang ist recht ordentlich (wenngleich es etwas Trittschall gibt, der manch unschönes Subsonic-“Bollern“ zur Folge hat) und das dargebotene Programm ist sehr reizvoll. Daher gibt es von mir guten Gewissens auch eine Wertung im guten Bereich. Dennoch gibt es auch viel bessere Einspielungen dieses Repertoires und zudem ist der „klassizistische“ Ansatz bei diesen Stücken eben nicht mein subjektiver Geschmack (objektiv ist ein solcher Versuch natürlich völlig legitim — und wem’s gefällt: Bittesehr!).

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