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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

LAMBCHOP: Breitwand-Americana und Katzenmusik

20. Oktober 2006, Schlachthof Bremen

von Frank Castenholz  •  22. Oktober 2006

Das Fazit des Abends vorweg: Man kann weiterhin jeden (auch potentiellen) Freund Lambchop´scher Breitwand-Americana ohne Gewissensbisse zu einem Konzertbesuch drängen! Insbesondere wäre es ein großer Irrtum, sich vom recht drögen neuen Album „Damaged“ abschrecken zu lassen.

Die bestuhlte Kesselhalle des Schlachhofs hat eher die Atmosphäre eines Studio-Theaters denn einer Konzerthalle. Das Publikum verhielt sich entsprechend respektvoll, flüsterte allenfalls und konzentrierte sich ganz auf die Musik. Das war das angemessene Ambiente für diese Performance, die auf natürliche Art etwas sehr künstlerisches hatte. Das fing beim Bühnendesign an, für die eine New Yorker Künstlerin verpflichtet wurde: Mehrere große weiße Bälle an der Decke wurden zunächst farbig beleuchtet, um dann später als Projektionsfläche für diverse Filmimpressionen zu dienen, die stimmig zur Setlist arrangiert waren und ein atmosphärisches, nie selbstzweckhaftes Ambiente zauberten.

Künstlerisch konzipiert war auch die Art des Auftritts: zunächst spielten Hands Off Cuba (ein Elektronic-Postrock-Shoegazer-Projekt unter Beteiligung von Lambchop-Gitarrist Wiliam Tyler) ein etwa 15-minütiges Set, dessen Spannung deutlich stieg, als das elektronische Geplucker und atmosphärische Wabern von einem entfesselten Jazz-Schlagzeug aufgemischt wurde. Direkt im Anschluss bot das krakauische Dafo String Quartett ihre vermeintliche „Katzenmusik“ dar, die durchaus humorvoll und spannungsgeladen herüberkam. Wie gewohnt provozierte dies leichte Verwirrung im Publikum („Das ist ja scheußlich…!“, „Geht das jetzt den ganzen Abend so weiter!?“). Eigentlich doch etwas armselig, wenn man sich schon von 10 Minuten moderner E-Musik aus der Fassung bringen lassen kann. So bieder können Rockfans sein.

Mit „Paperback Bible“ und einigen weiteren Songs vom neuen Album „Damaged“ begann schließlich, zu zwölft nunmehr, der Lambchop-Teil des Abends. Nach einer freundlichen Begrüßung von Sänger Kurt Wagner und Pianist Tony Crow warfen sich die beiden – in augenzwinkernder Anspielung an klassische US-Entertainer – die verbalen Bälle zu und vermitteln den Spaß, den sie offenkundig selber auf der Bühne hatte, verlustlos an das Publikum weiter. Man wohnte, so schien’s, der Hausmusik einer glücklich zusammengerauften und perfekt aufeinander eingespielten Großfamilie bei.

Die Songs des neuen Albums ließen durch das Konzert besser erschließen, wobei man gleichwohl sagen muss, dass die Oldies noch deutlich mehr Hörgenuss vermittelten. Anders als bei früheren Touren spielte Wagner lediglich „My Blue Wave“ vom introvertierten Meisterstück „Is A Woman“ (2002) – etwas zu routiniert -, ansonsten eine bunte Mischung, bis zurück zum 96’er „How I Quit Smoking“-Album ( „We Never Argue“), aber ohne offenkundige Hits wie „Grumpus“, „Up With People“ oder auch der zu Recht beliebten Cover-Version „This Corrosion“. Dafür viele unerwartete Höhepunkte: mit „Steve McQueen“ und insbesondere „Nothing But a Blur From A Bullet Train“ gab es das beste Unscheinbare vom Vorgänger-Doppelalbum „Aw C´Mon/No You C´Mon“ (2004), sowie „Nashville Parent“, „The Book I Haven´t Read“ und „The Distance From Her To There“ vom rundum großartigen „Nixon“ (2000).

Durch die Interpretationen zog sich eine elegant austarierte Dynamik, konzentrierte, besinnliche Stellen wurden stellenweise von entfesselten, laut krachenden Gitarreneruptionen abgelöst. Die Arrangements waren trotz der großen Anzahl der Instrumente nie überladen, sondern erhielten ihren filigranen Charakter. Zur Zugabe richtete Wagner, der mit seiner facettenreichen Sangeskunst noch mehr als auf Platte zu beeindrucken wusste, noch mal das Wort ans Publikum und dankte, insbesondere den langgedienten Konzertgängern, herzlich für das Interesse an seiner Musik. Dieser getreuen Gefolgschaft war zum Abschluss eines grandiosen Konzerts „You´re The One“ (ebenfalls von „How I Quit Smoking“) gewidmet, das ich zuvor nie so stark wahrgenommen hatte.

Nach dem etwa 2-stündigen Konzert ging der Sänger dann noch mit bester Laune und Filzstift bewaffnet zum Merchandise-Stand, unterzeichnete Tour-CDs, plauschte mit den Fans und verabschiedete fast jeden Gast einzeln. Es bleibt der gefestigte Eindruck einer in sich ruhenden, professionellen, liebenswürdigen und unprätentiösen Band, die bei jeder Tour noch neue Sichtweisen auf ihr Werk eröffnet. Wer nicht hingeht, ist selber schuld. Denn er wird nie erfahren, was er verpasst hätte, wenn er nicht hingegangen wäre!

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