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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

F. Schmidt: Werke für Klavier für die linke Hand und Orchester
Diverse Orchester, Ensembles und Dirigenten - K.-A. Kolly (Klavier)

(2014)
Pan Classics / Vertrieb: note1

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Franz Schmidt - Werke für Klavier für die linke Hand und Orchester

Lohnendes Reissue mit viel guter Musik zum annehmbaren Preis

von Rainer Aschemeier  •  18. April 2014
Katalog-Nr.: PC10309 / EAN: 7619990103092

Paul Wittgenstein, ein im Ersten Weltkrieg armamputierter Pianist, wurde hierzulande vor allem durch das D-Dur Klavierkonzert „für die linke Hand“ von Maurice Ravel berühmt. Der Hintergrund: Dieses Meisterwerk wurde von Paul Wittgenstein bei Ravel in Auftrag gegeben.

Einem breiten Publikum ist jedoch kaum bekannt, dass Wittgenstein etliche Kompositionsaufträge an die Elite der Pianisten seiner Zeit vergab, darunter neben Ravel auch Prokoffjew, Korngold, Strauss, Tansman, Britten, Godowsky, Gál und Hindemith (um nur einmal die Prominentesten zu nennen).

Ein Kuriosum der Kompositionsaufträge Wittgensteins bleibt es indes, dass sich der einarmige Pianist oft weigerte, die für ihn geschriebenen Werke aufzuführen. Woran das lag, bleibt im Ungewissen, auch wenn vielfältige Spekulationen über die Ursachen dieser Antipathie gegenüber der von Wittgenstein immerhin eigens in Auftrag gegebenen Musik angestellt worden sind.
Zeitgenossen berichten von Wittgenstein als sehr virtuosem Pianisten, und erhaltene Tonaufnahmen bestätigen das, sodass es kaum daran gelegen haben könnte, dass er etwa manche Partituren spieltechnisch nicht hätte bewältigen können.

Eher dürfte Wittgensteins konservativer Musikgeschmack ursächlich für seine Ablehnung vieler großartiger Meisterwerke gewesen sein, die wir heute als essentiell für die klassische Musikmoderne begreifen. Trotzdem fragt man sich da: Warum fragte Wittgenstein dann überhaupt Komponisten wie Prokoffjew oder Ravel? Schließlich konnte er ja ahnen, dass von solcherart Adresse keine spätromantischen Schwelgereien zu erwarten waren.

Spätromantischen Schwelgereien wesentlich weniger abgeneigt war da ein weiterer Komponist aus Wittgensteins Auftragnehmerliste, den wir bislang noch nicht erwähnt haben.
Es handelt sich dabei um den Österreicher Franz Schmidt, der wohl vor allem für seine Zwischenaktmusik zur Oper „Notre Dame“ bekannt sein dürfte, die es zigmillionenfach auf Kuschelklassik-Sampler und James Last-Platten geschafft hat und die vor allem in den 1980er-Jahren ein veritabler Klassik-“Hit“ war.
Allerdings sind auch Schmidts Sinfonien in den letzten Jahren wieder öfters eingespielt und aufgeführt worden, und man kann mit Fug und Recht behaupten, dass es vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten eine richtige kleine Schmidt-Renaissance gegeben hat.

Ein Label, das mitgemischt hat bei dieser Wiedererweckung des vergessenen Werks von Franz Schmidt war die Firma Pan Classics. Sie veröffentlichte in den Jahren 1999 und 2000 zwei CD-Alben mit dem Konzert in Es-Dur (1934), den „Concertanten Variationen über ein Thema von Beethoven“ (1923), der Chaconne für Orchester (1931) und dem Klavierquintett G-Dur (1927). Immerhin drei dieser Werke waren von Paul Wittgenstein in Auftrag gegeben worden, und so ist es auch wenigstens nicht ganz falsch, wenn Pan Classics heuer diese beiden in Würde um rund 15 Jahre gealterten CDs in einem reizvollen Doppelalbum wieder auflegt, das den Hinweis trägt „written for Paul Wittgenstein“.

Sämtliche Aufnahmen dieser Doppel-CD sind wirklich gelungen, wobei man hier sehr schön hören kann, was für ein Formhoch das Musikkollegium Winterthur einstmals hatte (das war, bevor die Ära Boyd in Winterthur ausbrach, seufz…) und was für ein gutes Händchen die Plattenfirma hier ganz generell gesprochen bei der Wahl der Interpreten hatte. Besonders gut gefällt mir auch die Aufnahme des Wiener Jeunesse Orchesters unter Leitung Herbert Böcks, die sich vor der des Musikkollegiums Winterthur unter der Stabführung des gebürtigen Weinheimers Werner Andreas Albert durchaus nicht zu verstecken braucht.
Mit Karl-Andreas Kolly war zudem ein sehr fähiger und eigenständiger Pianist mit von der Partie, der sowohl in den großen Klavierkonzerten als auch bei dem intimeren Rahmen der Quintette zusammen mit dem Sarastro Quartett einen vorzüglichen Eindruck hinterlässt.

Sucht man an dieser an sich rundum empfehlenswerten Produktion zwanghaft etwas zum Meckern, könnte man den im Vergleich zu Topproduktionen jüngsten Datums nicht mehr ganz so frischen Sound bemängeln, der auch vor 15 Jahren schon nicht zur Speerspitze der HiFi-Bewegung gezählt hat. Nichtsdestotrotz ist dieses Album eine warme Empfehlung, zumal – und dies sei abschließend betont – die enthaltene Musik das bei Weitem Beste markiert, was ich persönlich von Franz Schmidt bislang gehört habe. Konnten mich dessen schwerfällige Symphonien und seine hyperdramatische Oper „Notre Dame“ noch nie wirklich begeistern, so muss ich sagen, dass ich von den hier zu hörenden Stücken ganz angetan bin. Das ist wahrlich originelle, melodieschöne und qualitativ hochstehende Musik.

Wer also plant, in den Schmidt’schen Klangkosmos einzusteigen, der sich hier wie überall zwischen Spätromantik und Jugendstil bewegt, wer in seinem CD-Regal auch Namen wie Braunfels oder Pfitzner wertschätzt, der dürfte an diesem Reissue mit viel Musik zum kleinen Preis seine helle Freude haben.

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