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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Musikalische Glücksfälle, tontechnisches Desaster

Die Kolumne: "Listening for the-listener": Christoph Schlüren

von Christoph Schlüren  •  4. Februar 2013

Ottorino Respighi (1879–1936), der bekannteste und zusammen mit seinen Generationsgenossen Alfredo Casella, Ildebrando Pizzetti und dem frühen Gian Francesco Malipiero bedeutendste italienische Komponist des Impressionismus und der anbrechenden Moderne, ist einer jener Meister, die seit jeher von unbefangenen Hörern sehr geschätzt und beim Gros der Intellektuellen und etablierten Meinungsmacher verpönt sind, zumal im deutschsprachigen Raum. So etwas hat natürlich stets mehrere Gründe. Respighi blieb fest im Boden der traditionellen Tonalität verwurzelt, die Dissonanzen in seiner Musik werden klassisch aufgelöst oder wirken als lokale Gewürzfaktoren wie bei seinen russischen und deutschen Vorbildern (Borodin, Strauss usw.). Seine populärsten Orchesterwerke (das sogenannte ‚Römische Triptychon’ aus Fontane di Roma, Pini di Roma und Feste Romane) sind, bei allem grandiosen Glanz und unbestreitbar meisterhaften Aufbau, eher oberflächliche Schöpfungen (und damit für ihn ein ähnliches „Problem“ wie für George Enescu die Popularität seiner Rumänischen Rhapsodien oder für Aram Chatschaturian diejenige seiner Ballettmusiken), und andere besonders beliebte Werke wie die dritte Antiche Danze ed Arie-Suite für Streichorchester sind in romantisch-antikisierendem Stil gehalten (wie beispielsweise zuvor auch Edvard Griegs beliebte Holberg-Suite) oder gar schlichtweg geniale Bearbeitungen antiker Vorlagen. Und – das ist ein ganz besonderes Hindernis in vieler Augen – der Duce und die Massen bewunderten Respighis Musik.

Respighi hat zwar auch sehr dramatische Werke geschrieben, seien es nun Opern, seine frühe Sinfonia drammatica oder die Tondichtung Ballata delle Gnomidi, doch im Grunde seines Wesens ist er vor allem ein bezaubernder Lyriker, der im sanglichen Erblühen sein Tiefstes und Bestes gibt und darüber hinaus überaus effektiv mit virtuosem Blendwerk zu hantieren versteht. Ich halte Kompositionen wie das Concerto gregoriano (sein reifes Violinkonzert), oder das Concerto in modo misolidio (sein großes Klavierkonzert), aber auch Vetrate di Chiesa, Impressioni brasiliane, Metamorphoseon oder das ein wenig schroffe Concerto a cinque für hinreißend gelungen, und zweifelsohne auch das hier in der besten mir bekannten Einspielung mit dem Barylli-Quartett (von 1960) vorliegende, selten zu hörende Quartetto Dorico für Streichquartett. Was für eine stolz-prächtige, aristokratisch würdevolle Musik, in welcher rückwärtsgewandte Gelehrsamkeit und vorwärtsdrängende Lebensfreude in vollendeter Weise verschmelzen! Entstanden 1924, ist es eines der besten, fesselndsten Streichquartette jener Epoche, der wir auch Meisterwerke der Gattung etwa von Debussy, Ravel, Roussel, Casella, Schönberg, Zemlinsky, Berg, Sibelius, Foulds, Bridge, Enescu, Bartók, Janácek, Suk, Szymanowski, Fauré, Glasunov u.a. verdanken. Keine Bange, das ist nicht nur meisterhaft gesetzt, sondern auch geschmackssicher und kraftstrotzend. Wer mit einem affirmativen Tonfall nach Beethoven, Bruckner und Nielsen kein Problem hat, wird für diese Entdeckung höchst dankbar sein.
Viel häufiger ist Respighis italienische Vertonung Il Tramonto von Shelleys Gedicht The Sunset zu hören, 1914 eines der frühen eigenständig gereiften Werke des Meisters. Und hier ist Sena Jurinac, wiederum 1960 vom vortrefflichen Barylli-Quartett begleitet, eine wahrhaft herrlich innige Aufnahme geglückt. Sie war ja eine der ganz großen Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts, und hier kann sie eine unsentimental ergreifende Lyrik verströmen, die mit dem Naturell dieses zauberhaften, völlig gewaltlos sich aus zarter Umarmung entwickelnden Tonpoems in beglückender Übereinstimmung ist.
Das mag nicht überraschen, es ist jedenfalls großartig, was man vom Remastering der Aufnahmen nicht im Ansatz behaupten kann. So topfig, so trostlos inkompetent – das ist so weit hinter allen audiophilen Ansprüchen unserer Zeit zurück, dass es „der Sau graust“, und leider ist diese entsetzliche Tonqualität Usus beim raritätenbespickten Label Istituto Discografico Italiano. Gäbe es sie in diesem Business, die Italiener erhielten den Preis für die schlechtestmögliche Aufbereitung hochwertigen Kulturguts.
Und das gilt auch für den Klang des abschließend beigegebenen umfänglichsten Werks dieser Edition, zugleich des spätesten hier vertretenen aus der Feder Respighis, der Lauda per la Natività del Signore, eines herzergreifend nazarenisch-naiven, pastoralen Lobgesangs auf Jesu Geburt von 1930, deren Text Jacopone da Todi zugeschrieben wird: Diese kleine Kantate für Sopran, Mezzosopran, Tenor, gemischten Chor und ein Kammerensemble aus Holzbläsern und Klavier zu vier Händen wird 1961 dargeboten von Chor und Solisten des Orchestra Sinfonica di Roma unter der Leitung von Nino Antonellini. Herrlich duftig leicht im besten italienischen Oratorienstil singen Liliana Rossi, Lidia Marimpietri und Tomaso Frascati, auch Chor und Instrumentalisten klingen luzide und transparent – der Geist dieser so gar nicht aufs Imponierenwollen angelegten Musik weht in einer lichten Frömmigkeit aus der Entfernung eines halben Jahrhunderts herüber mit einer sanften Frische, die über alle Harmlosigkeit wohltuend hinwegträgt.
Die Hörer mögen sich entscheiden. Die Klangqualität ist elend (auch das Booklet hat leider schlicht gar nichts zu bieten), die musikalische Qualität ist in allen Fällen umso erfreulicher. Ich verzichte relativ entschieden auf die audiophilen Vorzüge, wenn alles Übrige dafür spricht, doch wird das nicht jedem so gehen.

————————————— CD-Details:
Ottorino Respighi: Quartetto Dorico, Il Tramonto, Lauda per la Natività del Signore
Sena Jurinac (Sopran) & Barylli Quartett (1960); Liliana Rossi (Sopran), Lidia Marimpietri (Mezzosopran), Tomaso Frascati (Tenor), Nino Antonellini dir. Coro e Solisti dell’Orchestra Sinfonica di Roma (1961)
Istituto Discografico Italiano / Vertrieb: Klassik Center Kassel
CD IDIS 6649
Dauer: 64’12’’
EAN: 8021945 002661

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