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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

J. G. Albrechtsberger - "Entre Ciel et terre"
Ensemble Baroque de Limoges, Quatuor Mosaïques, div. Solisten

(2011)
LABORIE / note 1

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Johann Georg Albrechtsberger - Raritäten

Wiederentdeckung eines zu lange vernachlässigten Klassikers

von Rainer Aschemeier  •  11. Juni 2012
Katalog-Nr.: LC08 / EAN: 0810473010037

Es ist viele Jahre her, da erschienen auf RCA-Schallplatten bis heute legendäre Aufnahmen der vier Maultrommelkonzerte von Johann Georg Albrechtsberger, dem vielleicht bedeutendsten Kompositionslehrer der Wiener (Vor-)Klassik, der unter anderem Ludwig van Beethoven den Kontrapunkt lehrte.

Diese Aufnahme des Münchener Kammerorchesters unter der Leitung von Hans Stadlmair war und ist bis heute unter Sammlern hochbegehrt, vor allem die Original-LP auf RCA wird auf Börsen und im Internet zu hohen Preisen gehandelt. Seit 1987 ist die alte RCA-Aufnahme auch auf CD erhältlich, und zwar nicht bei RCA, sondern auf dem renommierten Münchener Orfeo-Label.
Wesentlich später, nämlich erst 2008, erschien endlich auch eine Alternativaufnahme dieser wunderschönen Werke mit dem Piccolo Concerto Wien unter der Leitung von Roberto Sensi.

Viel Auswahl gab es bislang also nicht. Dabei handelt es sich um nichts weniger als vier der schlichtweg schönsten und musikalisch vollauf gelungenen Werke der Wiener Klassik, die nicht nur exemplarisch für Albrechtsbergers leicht eigenwilligen Stil sind, sondern auch mustergültige Kuriositäten einer Epoche darstellen, die an Ungewöhnlichkeiten nicht gerade reich war.

Nun sorgt das auf dem deutschen Markt neu vertretene französische Label LABORIE für eine handfeste Überraschung, indem es eine CD mit kaum bekannten Albrechtsberger-Raritäten auf den Markt wirft – darunter auch das schönste der besagten vier Konzerte für Maultrommel, Viola da Gamba und Streichorchester.

Die CD ist – das sage ich mal gleich vorweg – ein echter Volltreffer. Es wird unmittelbar vom ersten Ton an deutlich, wie sehr wir alle diesen seinerzeit hoch bedeutenden Komponisten Johann Georg Albrechtsberger vernachlässigt haben und noch immer vernachlässigen. Nicht nur das reizvolle Maultrommelkonzert ist in der hier vorzustellenden Aufnahme glänzend eingefangen worden, sondern auch die anderen Stücke, die ebenfalls die etwas schrulligen Albrechtsberger-Herangehensweise verdeutlichen.
Da gibt es zum Beispiel ein Divertimento, das ganz im voll ausgebildeten klassischen Stil daherkommt, aber trotzdem – quasi als Reverenz an die Zeit des Spätbarock – eine „Violino piccolo“ vorschreibt, also ein Instrument, das zur Zeit der Komposition des Stücks eigentlich schon längst passé war.

Die nachfolgende Trio-Sonate, eine von drei Kirchensonaten für Geige, Bratsche und Cello op. 11, Nr. 1 in c-Moll zeigt, wie Albrechtsberger, der eingeschworene Kontrapunktiker, den barocken Gestus in die neue, „galante“ Ära hinüberzuretten versuchte. Obwohl er mit diesem Ansinnen bekanntlich weitgehend scheiterte, ist das Stück nichtsdestotrotz hoch interessant, zeigt es doch den eher „pädagogischen“, quasi „theoretisch“ komponierenden Albrechtsberger, der von den aufstrebenden Komponisten seiner Zeit als Lehrer so hoch geschätzt wurde.
Ein weiteres Divertimento aus dem Jahr 1767 ist für eine sonore Streicherbesetzung aus Bratsche, Cello und Violone (ein Vorläufer des Kontrabasses) geschrieben. Es ist nicht nur bemerkenswert, dass Albrechtsberger auch bei diesem Stück für ein zu seiner Zeit schon überkommenes Instrument komponierte, sondern auch, wie wunderbar das in der Besetzung mit dem originalen Violone klingt. Der Violone klingt deutlich „weicher“ und gleichzeitig noch etwas tiefer als ein Kontrabass und erinnert gelegentlich an eine sanfte, männliche Bassstimme.
Die Kompositon selbst ist wieder deutlich „ländlicher“ und erinnert somit eher an den heiteren Charakter des einleitenden Maultrommelkonzerts.

Eine weitere Sonate zeigt wieder den „strengen“ Albrechtsberger. Die nachfolgende Partita zeigt, wie der Komponist im Jahr 1773 nicht nur eine damals völlig unmodische barocke Gattung wiederbelebte, sondern diese auch noch für eine ungewöhnliche Besetzung bestehend aus Flöte, Viola d’amore und Violone setzte. Wer nun glaubt, dass angesichts dieser geballten Rückbesinnung auf das seinerzeit als ernsthaft verschriiene Barockzeitalter die Stilistik des Stücks erneut den strengen Kontrapunktiker zutage ruft, irrt.
Vielmehr ist die „Partita“ ein ganz zauberhaftes, leichtes, fast tänzerisches Werk, das ich persönlich eher als Serenade bezeichnen würde. In meinen Augen ist es neben dem Maultrommelkonzert das schönste Stück auf der CD, und man kann den ausführenden Künstlern – zu denen ich gleich noch ein paar Sätze sagen werde – nur danken, dass sie dieses Kleinod wieder in der Originalbesetzung zu Gehör gebracht haben.

Die abschließende, zweichörige Sonate von 1799 ist eine weitere Kuriosität und zeigt, dass auch der späte, bereits ausgreift klassisch tönende Albrechtsberger noch immer nicht auf eine abschließende Fuge verzichten wollte. Und so paaren sich hier ein „Andante grazioso“ betitelter, galanter Tanzsatz und eine eigentlich gänzlich aus der Zeit fallende spätbarocke Fuge im Kirchensonatenstil. Erneut kann man nur ausrufen: „Wie ungewöhnlich!“ Aber auch: Wie unkonventionell, wie einfallsreich ist das!

Ist Albrechtsberger also wirklich der ach so strenge, verknöcherte Kontrapunktiker, Theoretiker und formwahrende Kirchenmusiker, als der er von vielen Musikhandbüchern so gern dargestellt wird?

Diese CD zeigt, dass man diese Sicht der Dinge sehr in Zweifel ziehen sollte, und sie zeigt auch, dass wir noch mehr Einspielungen dieser Art brauchen – CDs, die uns das Phänomen Albrechtsberger wieder vor Ohren führen und zeigen, welchen grandiosen Komponisten wir da jahrelang einfach „links liegen“ gelassen haben.

Das ausführende Ensemble Baroque de Limoges, das zusammen mit einigen Solisten und dem Quatuor Mosaïques diese CD zu Gehör bringt, ist ein sehr qualitätvoller Sachwalter von Albrechtsbergers Musik. Auch, wenn sich gerade in den Fugen zeigt, dass nicht jedes Ensemblemitglied auf absolutem Weltklasseniveau musiziert, ist die Gesamtleistung doch beeindruckend.
Auch der Klang ist sehr überzeugend aufgezeichnet worden und besitzt eine erfrischend natürliche Räumlichkeit. Zwar hat man gelegentlich den Eindruck, dass der Tonmeister die aus heutiger Sicht exotischen alten Barockinstrumente bewusst etwas in den Vordergrund mischen wollte, doch kann man ansonsten an dem Sound dieser CD nicht viel aussetzen.

Gut so! Von dieser Musik in dieser Besetzung würde ich mir noch viel mehr wünschen. Wenn das LABORIE-Label diese Scheibe gar als Auftakt zu einer Albrechtsberger-Serie plante, wäre ich persönlich darüber hoch erfreut.

Diese CD hier ist jedenfalls nichtz nur schön, sondern auch wichtig. Wiener-Klassik-Liebhaber sollten sie sich nicht entgehen lassen.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „note 1“, zur Verfügung gestellt.))

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