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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

M. Weinberg - Sinfonie Nr. 20 / Cellokonzert
Göteborger Sinfoniker - Th. Svedlund, C. Gunnarsson (Cello)

(2012)
chandos / note 1

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Mieczysław Weinberg - Sinfonie Nr. 20 Op. 150 / Cellokonzert Op. 43

Weinberg-Einspielung aus Göteborg

von Rainer Aschemeier  •  20. Mai 2012
Katalog-Nr.: CHSA5107 / EAN: 095115510728

Es ist erst wenige Wochen her, da habe ich an dieser Stelle eine ganz wunderbare Einspielung der ebenso wunderbaren Sinfonie Nr. 6 des polnisch-russischen Komponisten Mieczysław Weinberg besprechen dürfen (Rezension s. hier). Diese Sinfonie aus dem Jahr 1949 hatte großen Eindruck auf mich gemacht, und deswegen habe ich mal die Augen offen gehalten, was weitere Weinberg-Neuigkeiten betrifft.

Neben Naxos haben auch das deutsche Label NEOS sowie das britische chandos-Label Weinberg-Reihen im Programm. Bei chandos erscheint nun die hier vorgestellte CD mit einer der späten Sinfonien des Komponisten sowie einem Werk, das nur ein Jahr nach Weinbergs soeben erwähnter sechster Sinfonie entstanden ist – das Cellokonzert Op. 43.

Beide Werke unterscheiden sich stark voneinander. Während Weinbergs 20. Sinfonie ein reichlich abstraktes, zuweilen sprödes Werk ist, das ein paar Durchläufe braucht, bevor es sich erschließt, ist das Cellokonzert ein geradezu schwelgerisches, durch und durch russisch gefärbtes Stück, das man gut in eine Reihe mit Mjaskowskis Werk gleichen Typs stellen könnte.
Und so lässt sich an dieser CD sehr schön nachhören, wie der von Dmitri Schostakowitsch hoch geschätzte Mieczysław Weinberg sich von einem eher spätromantisch ausgerichteten Komponisten wandelte, zu einem, der sich in seinem Spätwerk zunehmend abstrakter gab.
Diese Entwicklung war sicherlich auch gesteuert durch die allseits bekannten politischen Vorgänge im Russland der Stalin-Ära. Musik und Kultur wurden staatlich reglementiert, und ähnlich wie Schostakowitsch, Popov und Mjaskowksi musste wohl auch Weinberg viel „einstecken“ in dieser Zeit.
Aus einer dieser Phasen stammt das zuweilen russisch-volkstümlich tönende Cellokonzert, das jedoch auch ein hohes Maß an Tiefgang unter dieser folkloristischen Oberfläche aufweist.

Die 20. Sinfonie ist ein fünfsätziges mit zwei Scherzi symmetrisch aufgebautes Stück. Weinberg ringt hier sowohl mit der Form der Gattung als auch mit seiner Vergangenheit als Spätromantiker und Expressionist. Die Sinfonie aus dem Jahr 1988 ist ein stellenweise suchend und für Weinbergs Verhältnisse auch relativ experimentell wirkendes Werk. Das ist beileibe keine leichte Kost, und wer sich hier herantraut, sollte mehrere konzentrierte Hörgänge einplanen, um das Stück einigermaßen erfassen zu können.

Die Interpretation der Göteborger Sinfoniker ist – wie von diesem hervorragenden Orchester gewohnt – hochklassig. Dirigent Thord Svedlund ist bereits hinlänglich „Weinberg-erprobt“ und gilt als Fachmann für die Sinfonien dieses sehr interessanten Vertreters russischer Orchestermusik des 20. Jahrhunderts.
Aber im direkten Vergleich mit der jüngst besprochenen Einspielung der sechsten Sinfonie Weinbergs durch das Russische Staatssinfonieorchester unter Vladimir Lande auf Naxos, geht der Pokal an das russische Orchester. Es mag ein Vorurteil sein, doch ich stelle immer wieder fest, dass russische Orchester einfach diesen bestimmten Sound, dieses gewisse „Extra“ in Sachen russischer Sinfonik haben, das den meisten anderen Orchestern irgendwie abgeht. So ist es auch hier: Die Göteborger spielen ohne Fehl und Tadel, mühen sich redlich und werfen sicherlich auch ihre große Erfahrung mit den Sinfonien Dmitri Schostakowitschs in die Waagschale. Dennoch kann mich das russische Staatssinfonieorchester auf Naxos noch mehr überzeugen.

Ähnliches gilt auch für den Klang, der auf dieser chandos-SACD zwar ebenfalls hochklassig eingefangen wurde, doch mit einer enttäuschenden „Deckelung“ der Höhen und einer leichten, aber hörbaren „Mattheit“ einhergeht (Da hilft übrigens auch die SACD-Spur nichts).
Trotz bewährter Produzentenkünste Lennart Dehns, der bereits in den 1980er-Jahren großartig klingende Aufnahmen der Göteborger Sinfoniker für BIS und die Deutsche Grammophon Gesellschaft produzierte, zündet diese Aufnahme hier klanglich nicht so, wie man es erwarten würde.

Dennoch: Es kommt selten genug vor, dass wir die Orchesterwerke Mieczysław Weinbergs in so qualitätvollen Darbietungen zu hören bekommen. Freuen wir uns einfach, dass man sich nach einer langen Durststrecke inzwischen sogar auswählen kann, bei welchem Label man zur gepflegten Weinberg-Sinfonie greift. Im Moment sind die offenbar geplanten Sinfoniezyklen von chandos und NEOS in etwa gleichauf, während Naxos mit seiner Sechsten eine so grandiose Aufnahme vorgelegt hat, dass die anderen sich nun daran messen lassen müssen.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „note 1“ zur Verfügung gestellt.))

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