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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Bach — Villa-Lobos — Jobim
Orchestra Villa-Lobos; G. Gomiero (Sopran)

(2011/1995)
Fabula Classica / Ermitage / Klassik Center Kassel

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H. Villa-Lobos - Bachianas Brasilerias 1 & 5 / J. S. Bach & A. C. Jobim: Cellotranskriptionen

Preisgünstige Gelegenheit, allerdings mit "Rhythmusstörungen"

von Rainer Aschemeier  •  28. Oktober 2011
Katalog-Nr.: FAB 12079-2 / EAN: 8032979620790

Es ist nur konsequent, wenn das Violoncello-Ensemble, das auf dieser CD musiziert, sich „Orchestra Villa-Lobos“ nennt, denn der brasilianische Komponist verlangte für seine erste „Bachiana Brasileira“ vom Beginn der 1930er-Jahre explizit ein „Orchestra of Cellos“. Und genau das haben wir hier…

Das Orchestra Villa-Lobos unternahm bei seiner 1995 erstmals erschienenen CD, die nun in äußerst schmuckloser Form (noch nicht einmal ein CD-Booklet ist enthalten) beim Label „Fabula Classica“ wiederveröffentlicht wird, den an sich sehr sinnvollen Versuch, Musik von Bach jener von Villa-Lobos gegenüberzustellen. Warum ist das sinnvoll? Ganz einfach aus dem Grund, weil das brasilianische Kompositionsgenie Villa-Lobos in seinen neun bekannten und populären „Bachianas Brasileiras“ auf kreative Art und Weise eine Verquickung und Reflexion zwischen brasilianischem Musikerbe und der Musik Johann Sebastian Bachs anstrebte. Die Stücke wurden zu dem ultimativen Erbe des Brasilianers und machten ihn weltweit bekannt.

Der Ansatz des hier vorliegenden CD-Programms ist also spannend, doch lässt leider die Umsetzung zu wünschen übrig. Natürlich hat Bach nie für ein reines Cello-Ensemble komponiert. Es mussten also Transkriptionen herhalten. Neben einem auch in dieser Beziehung sehr sinnvoll ausgewählten Beispiel, nämlich dem Präludium Nr. 8 aus dem „Wohltemperierten Klavier“ in einer Transkription von Heitor Villa-Lobos, gibt es aber leider auch eine sehr schnulzige Bearbeitung des „Air“ aus Bachs Orchestersuite BWV 1068. Mal ehrlich: Das Original ist zweifellos ein Juwel, doch die Legion von Bearbeitungen dieses Stücks sind in aller Regel Zumutungen en masse — so auch diese. Das Programm der CD wird abgerundet durch Transkriptionen von vier Klassikern des brasilianischen „Godfather of Bossa-Nova“ Antonio Carlos Jobim, aus dessen Feder ein Song entsprang, der mindestens ebenso oft geschändet wurde, wie Bachs „Air“, nämlich „Garota de Ipanema“, seit dem wegweisenden Getz/Gilberto-Jazzklassiker besser bekannt als „Girl From Ipanema“.

Das Kernprogramm der CD sind zwei von Villa-Lobos‘ Bachianas Brasileiras: Nr. 1 und Nr. 5. Die fünfte Bachiana Brasilerira enthält bekanntlich die beliebte Cantilena, die wir hier zum Glück nicht ausgekoppelt, sondern im Verbund mit dem dazugehörigen „Dansa“ serviert bekommen. Hier wird das „Orchestra Villa-Lobos“ durch Sopranistin Giovanna Gomiero ergänzt, die über ein ungewöhnlich dunkles Stimmtimbre verfügt. Diese merkwürdig dunkel gefärbte und im Übrigen tadellos gesungene Sopranpartie passt aber grandios zu der Musik, womit ich behaupten würde, dass diese Darbietung der fünften Bachiana Brasileira mit zu den interessantesten verfügbaren Aufnahmen zählt. Die Bachiana Brasileira Nr. 1 habe ich allerdings schon einmal besser gehört, denn das „Orchestra Villa-Lobos“ hat ein gravierendes Problem, das sich durch das gesamte Programm zieht: Es „groovt“ nicht.
Auf ziemlich schlimme Art und Weise wird dies dem Hörer im Rahmen der Transkription des „Samba de una nota so“ von Jobim vor Augen geführt. Man traut sich dabei, sogar ein wenig Percussion einzustreuen (Holzblock und Triangel) — und scheitert kläglich! Dieses Orchester hat das gewisse rhythmische „Etwas“, den „Swing“, den „Groove“ wirklich nicht im Blut; und das wird auch bei Villa-Lobos‘ erster Bachiana Brasileira zum ernsten Problem, denn bereits gleich am Beginn des Stücks ertönt eine fetzige Eröffnung in synkopierten Rhythmen, die das „Orchestra Villa-Lobos“ schon gleich zu Beginn hörbar an seine Leistungsgrenze treibt.

Während die Interpretation also gewisse Schwächen nicht verhehlen kann, ist der Sound der CD im Hinblick auf das Produktionsdatum 1995 auch für heutige Verhältnisse noch sehr gut. Zwar gibt es eine leichte Überbetonung des Mitteltonbereichs und auch die Höhen könnten „luftiger“ sein, doch ist der Klang insgesamt schön ausgewogen. Warm und körpervoll tönt das Celloensemble durch die Boxen, und die erfreulich ansprechend eingefangene Räumlichkeit sorgt dafür, dass die „Ecken und Kanten“ der grandiosen Villa-Lobos-Musik nicht verloren gehen. Der Sound ist also durchaus der Pluspunkt dieser Zusammenstellung, die zum Sonderpreis von gerade einmal knapp 8-9 Euro durchaus eine Gelegenheit ist.

Viele andere Einspielungen der hier zu hörenden Stücke sind nämlich erheblich teurer, nicht immer aber auch besser.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „Klassik Center Kassel“ zur Verrfügung gestellt.))

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