F. Busoni - Klavierkonzert (2011)
• • • Ferruccio Busoni — KlavierkonzertMonströse Gigantomanie, die alle Grenzen sprengtvon Rainer Aschemeier • 25. Oktober 2011
Es klingt so harmlos und gar nicht so recht aufregend: „Klavierkonzert“... ...und doch gibt es ein Beispiel dieser Gattung, das alle Dimensionen sprengt, das wie kein anderes Instrumentalkonzert mit der eigenen Gattung zu ringen scheint — ...um wie mit lautem Feuerwerk zu glänzen, zu erstrahlen, viel viel Getöse zu machen und letzten Endes doch nur zwei Eindrücke zu hinterlassen: Viel heiße Luft und Lärm um nichts! Dieses Stück, von dem ich da rede, ist das lapidar als „Klavierkonzert“ bezeichnete Werk des italienischen Klaviervirtuosen, Musiktheoretikers, Arrangeurs und Komponisten Ferruccio Busoni. Er, der um die Jahrhundertwende, ganz im Fahrwasser der neudeutschen Schule um Wagner und Liszt zum einen wunderbar luzide Bach-Transkriptionen ablieferte und zum anderen im Konzertsaal zur Gigantomanie neigte wie wohl nur wenige vor ihm, setzte mit seinem Opus 39, dessen neueste Aufnahme ich hier besprechen möchte, die monströse Krönung der Gattung Klavierkonzert in die Welt. Eine Krönung allerdings, die eher als Sakrileg daherkommt: Vom Klavierkonzert Mozart’scher Prägung und Beethoven’scher Vervollkommnung ist lediglich die Tatsache übriggeblieben, dass es ein Sinfonieorchester und ein Soloklavier gibt. Sonst aber ist alles anders. Die Wiedergabedauer von Busonis Konzertboliden dauert sage und schreibe 80 Minuten, womit es das wohl längste Klavierkonzert aller Zeiten sein dürfte. Es ist mit derart irrwitzig überladenen Stellen gespickt, dass man als Hörer manchmal Angst hat, gleich könnte eventuell das Orchester „platzen“. Das Piano rollt unablässig in den tiefen Lagen, was das Klanggewebe dicht und undurchdringlich werden lässt, und es tirilliert mit virtuoser Zurschaustellung sämtlicher bis dahin bekannter pianistischer Kabinettstückchen, was man ein ums andere Mal einfach nur als „over the top“ bezeichnen muss. Man kann sich ein solches Stück nur im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts denken, aus dem es auch stammt. Es ist einer der für meine Begriffe verhältnismäßig unappetitlichen Höhepunkte der „Allmachbarkeitsfantasien“ mancher Zeitgenossen des fin de siécle und der Sucht nach jenem „immer mehr, immer extremer“, dass auf anderen Ebenen die großen Krisen des 20. Jahrhunderts und nicht zuletzt auch auf musikalischer Ebene das große, radikale Umdenken auslöste. Dass diese Musik, über die man sich trefflich streiten kann, so eindrucksvoll nachwirkt, liegt vor allem an der sehr guten Wiedergabe dieses irrwitzigen Klanggewitters durch das Orchestra Sinfonica di Roma unter dem bewährten Dirigat von Francesco La Vecchia. Die Reihe italienischer Musik des 20. Jahrhunderts auf Naxos ist bislang durch ihre hohe Interpretationsgüte aufgefallen, aber auch durch ihre schwankende Soundqualität. Und in der vorliegenden Busoni-Aufnahme haben wir (ähnlich wie wir es schon bei der Besprechung von Casellas dritter Sinfonie festgestellt hatten) leider mit einer nicht ganz so tollen Soundqualität zu tun. Dem Werk zwar durchaus angemessen, ist der Klang vor allem in den tiefen und mittleren Registern angelegt, lässt aber Brillanz und Luftigkeit sehr vermissen und müht sich leider vergeblich, bei den dichten Texturen der Partitur für adäquate Durchhörbarkeit zu sorgen. Fazit: Dieses Stück Musik ist weder in puncto Komposition noch in Sachen Sound mein Fall; es ist jedoch ein durchaus bewegendes Musikdokument, in welchem die Größenwahnsinnigkeit nach der Jahrhundertwende geradezu überdeutlich Gestalt annimmt. Es ist teilweise so abstoßend, wie die Zeit in der es entstand, aber auch ebenso faszinierend. Es ist das letzte Aufbäumen der Allmachbarkeitsfantasien der Spätromantik vor der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, die auch in der Musik eine zentrale Zäsur darstellte. ((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise von der Firma Naxos zur Verfügung gestellt.)) |
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