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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Monteverdi - a trace of grace
Michel Godard

(2011)
Carpe Diem records

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Michel Godard — Monteverdi - a trace of grace

Monteverdi goes Jazz?

von Rainer Aschemeier  •  14. September 2011
Katalog-Nr.: CD-16286 / EAN: 4032324162863

Wäre „Crossover“ nicht so ein Wort, bei dem man sofort zusammenzuckte und unweigerlich an Mambo-Versionen von Bach-Konzerten denken müsste, so wäre es sicher ein passender Begriff für diese neue CD aus dem Hause Carpe Diem records: ein Jazz-Trio und drei Musiker aus den Bereichen Alte und Neue Musik treffen aufeinander und beschließen, sich in einem kreativen Schaffensprozess der Musik von Claudio Monteverdi zu nähern. Sie tun das in einem Zisterzienserkloster, der Abtei von Noirlac im Herzen Frankreichs. Am Ende stehen etwa 50% neuer Jazzkompositionen, die zum Teil auf Instrumenten aus Monteverdis Zeiten (Stichwort „Serpent“) gegeben werden und 50% originale Monteverdi-Stücke, die jedoch alles andere als „original“ dargeboten werden, sondern mit neuen Arrangements und einem ordentlichen Schlag Cool Jazz versehen wurden.

Ein Ensemble aus Jazzmusikern und Alte-Musik-Fachleuten hat sich in der ehemaligen Zisterzienserabtei von Noirlac im Herzen Frankreichs zusammengefunden, um sich mit der Musik von Claudio Monteverdi auseinanderzusetzen. Bildquelle: Carpe Diem records.

Das Album, das dabei herausgekommen ist, ist die logische Weiterentwicklung von Michel Godards bisherigen Projekten, bei denen er stets ein Motto in den Mittelpunkt des musikalischen Geschehens gestellt hatte. Beim letzten Album „Le concert de parfums“ war die Grundidee besonders spektakulär: Godard und seine Mitstreiter hatten sich da von der Welt der Düfte inspirieren lassen; mithilfe einer Parfümeurin, die Düfte für jede der Kompositionen auf den Album entwarf, wurde das Album eine noch nie dagewesene Pioniertat, die quasi die Verwirklichung Skrjabinschen Gedankenguts darstellte, denn auch der theosophisch verunglückte Russe wollte sein Publikum bekanntlich mit Duft- und Lichtorgeln berieseln.
Dagegen ist „Monteverdi – a trace of grace“ schon fast eine konservative Angelegenheit und in der Tat vom Grundgedanken her gar nicht soooo weit entfernt von den Platten eines Jaques Loussier Trio, die sich ja ebenfalls per Jazz den Werken des Barock und der Alten Musik genähert hatten. Dennoch ist es auch wieder ganz anders, einfach weil Michel Godard auch kein Musiker ist, der zu den Jazz-Puristen zählen würde. Die musikalische Stimmung des Albums schwebt zwischen vielen Welten. Natürlich ist da Monteverdi und natürlich ist da Jazz; doch da sind auch Anklänge an Friedemann Witecka oder an die Projekte von Sting aus den letzten Jahren, die dieser beim Label „Deutsche Grammophon“ veröffentlichte.
Man könnte also sagen, dass dieses neue Carpe Diem-Album durchaus ein Beitrag zu einem Trend ist, der sich in den letzten Jahren schon hier und da gezeigt hat: Pop- und Jazzmusiker (ich nenne da als Beispiele mal Sting, Elvis Costello und Mercedes Sosa) wagen sich mit einem Bein ins klassische Genre vor, ohne jedoch ihre Wurzeln zu verleugnen.

Michel Godard ist ohne Zweifel die treibende Kraft hinter dem Album und dem gesamten Projekt: Seine Songs und Arrangements prägen große Teile der CD und der Sound seines Serpents (einer Art geschwungenem „Renaissance-Horn“) durchzieht das Album wie ein roter Faden. Der kehlige Obertongesang des Saxophonisten Gavino Murgia wird zu einem weiteren Element, das sich in das Klanggewebe eingliedert, das einerseits über die gesamte Laufzeit erstaunlich homogen bleibt, andererseits aber immer abwechslungsreich rüberkommt. Ich weiß nicht, ob das ein Einfluss der Produktion ist oder die tolle kompositiorische Planung und Begabung von Michel Godard, doch die CDs, die bei Carpe Diem unter seinem Namen bisher erschienen, sind in sich geschlossene Gesamtkunstwerke; und das ist schon ziemlich bemerkenswert und zeugt davon, dass hier erneut viel Zeit, Herzblut und auch einiges an künstlerischer Intelligenz investiert wurde.

Die Räumlichkeiten des alten Zistertienserklosters boten idealen Naturhall für die wie bei Carpe Diem üblich High-End-taugliche Aufnahme. Bildquelle: Carpe Diem records.


Kommen wir zum Sound: Wie schon auf dem letzten Album, das auf „Carpe Diem“ erschien, nämlich „Glosas“ von dem Ensemble „More Hispano“ (s. Review hier), überzeugt die Produktion von Beginn an mit atemberaubender Räumlichkeit und einer sagenhaften, natürlichen Hallkulisse. Die Durchhörbarkeit und Auflösung sind ebenfalls wieder fantastisch! Es ist womöglich nicht vermessen zu sagen, dass Carpe Diem das Label ist, das zurzeit deutschlandweit mit einigem Abstand einfach die Räumlichkeit und klangliche Natürlichkeit für sich gepachtet zu haben scheint. Im Vergleich zur „Glosas“-CD ist die Soundumgebung für Klangmagier Jonas Niederstadt jedoch wahrscheinlich sehr viel schwieriger zu handhaben gewesen, denn zu den akustischen Instrumenten tritt hier auch der elektrisch verstärkte, halbakustische Jazz-Bass hinzu, der als Fundament unter den meisten Tracks eben auch ein wichtiger Klangträger, Klangindikator aber auch Fremdkörper ist. Seine Präsenz ist für mich eigentlich der größte „Störfaktor“ an dieser Produktion, denn nicht immer ließ sich der E-Bass in die Arrangements und den Gesamtsound so integrieren, dass zumindest ich das subjektiv auch als „passend“ empfinden würde. Subjektiv muss ich auch sagen, dass mir die Stimme von Sopranistin (in meinen Ohren übrigens eher Mezzosopranistin) Guillemette Laurens nicht immer gefällt. Objektiv muss man ihr zudem einige technische Probleme attestieren. So scheint sie mir zum Beispiel beim Halten langer Töne nicht immer zu 100% sicher und akkurat „auf Kurs“ zu bleiben.
Doch wir sollten auch auf dem Teppich bleiben: Dies hier ist keine Alte Musik-Einspielung und auch keine Neueinspielung einer Monteverdi-Oper. Sting hat ja auch niemand ernsthaft danach beurteilt, ob bei seinem Album mit John Dowland-Stücken nun jeder Ton stimmt. Das ist einfach eine andere Liga, was wir hier haben. Und diese Liga muss man mögen oder man lässt es eben bleiben.

Alles in allem ist „Monteverdi – a trace of grace“ eine Empfehlung für alle, die weder in Sachen Jazz noch in Sachen „Alte Musik“ ganz arg puristisch unterwegs sind. Das neueste Projekt von Michel Godard ist frischer Wind in der Auseinandersetzung mit Monteverdi und in dieser Beziehung ein wertvoller Beitrag. Wer das nicht so eng sieht, für den ist es einfach ein Album mit tollem Hifi-Klang und spannenden Kompositionen jenseits des musikalischen Schubladendenkens.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Label zur Verfügung gestellt))

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