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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Dedicated to Chaos
Queensrÿche

(2011)
Roadrunner

• •

Queensrÿche - Dedicated to Chaos

Es fehlen weiterhin Saft und Kraft

von Rainer Aschemeier  •  12. Juli 2011
EAN: 016861773427

Queensrÿche sind eine der Bands, die bis heute auf ihre Großtaten in den 1980ern reduziert werden. Bei vielen anderen Gruppen ist eine solcherart eingeschränkte Sicht der Dinge in aller Regel ungerechtfertigt; nicht so jedoch bei Queensrÿche.

1983 erschien die erste Veröffentlichung der Rocker aus Seattle: die famose, nach dem Bandnamen betitelte Mini-LP, bei der die Nordamerikaner zwar noch sehr im Fahrwasser von Bands wie Judas Priest und einigen US-Metal-Acts herumschipperten, aber durch den eigenständigen Gesang von Geoff Tate und tolle Songideen schon durchblicken ließen, dass da ein neuer Mega-Act mit den Hufen scharrte.
Bereits beim 1984er Release „The Warning“ begann sich ein ureigener Queensrÿche-Sound zu etablieren, der auf dem Folgealbum „Rage for Order“ (1986) zur Perfektion gebracht wurde. Für nicht wenige Fans der Band ist dieses 1986-er Album, und nicht etwa das mega-erfolgreiche Follow-Up „Operation Mindcrime“, der kreative Höhepunkt der Bandgeschichte. „Mindcrime“ dürfte allerdings das beliebteste Album der Gruppe sein, nicht zuletzt wohl auch wegen der tollen Story dieses seinerzeit sehr innovativen Konzeptalbums. Mit dem Erscheinen des 1990er-Albums „Empire“ begann die Band ihren Sound, zunächst zaghaft, zu ändern. Er wurde vertrackter, weniger metallastig, stattdessen progressiver und hier und da sogar mit dezenten Anklängen an Jazzrock. „Promised Land“ (1993) war dann das erste Album, das diesen neuen Stil überwiegend präsentierte — und es war die erste Scheibe, für die Queensrÿche nicht mehr kollektiv gelobt wurden (was seinerzeit nach meiner Meinung noch ungerechtfertigt geschah, denn „Promised Land“ war kompositorisch wirklich eine gute Platte).

Es folgten der Ausstieg von Leadgitarrist Chris de Garmo und anschließend ein Album nach dem anderen, die die einst gesteckten Maßstäbe nicht mehr erreichen konnten. Die Band verzettelte sich im heillosen Versuch zum einen der Grunge-Welle der ersten Hälfte der Neunzigerjahre etwas Substanzielles entgegenzusetzen, aber ohne den eigenen Sound dabei zu verraten. Zum anderen versuchte man den Anspruch dabei weiter nach oben zu schrauben. Beides scheiterte!
Dieser Versuch war von Anfang an auch ganz sinnlos, denn Queensrÿche waren für viele der seinerzeit neuen Boom-Bands aus Seattle sogar ein maßgeblicher Einfluss gewesen. Nun versuchten also die Lehrer ihren Schülern nachzueifern. So etwas geht meistens schief. Selten aber geht es so nachhaltig schief, wie im Falle Queensrÿche. Ein Livealbum mit den Hits der bisherigen Bandgeschichte war anno 2003 ein Lichtblick — aber auch nur deswegen, weil man dort hören konnte, dass die Band bei der Interpretation ihrer alten Gassenhauer nichts von ihrer alten Frische verloren hatte. 2006 folgte mit „Operation Mindcrime 2“ ein (recht guter) Versuch, um an den Klassiker von 1988 anzuschließen. Auch ein darauf befindlicher Gastauftritt von Metal-Gott Ronnie James Dio schien ein klares Zeichen zu sein: Es geht wieder back to the roots!

Leider Fehlanzeige! Die Band strampelt seitdem wieder ziemlich hilflos im Treibsand eines undefinierbaren Soundmatschs aus Grunge, Metal, Pop und Progressive-Rock. Die daraus entstandenen Alben — allen voran das neue Werk „Dedicated to Chaos“ wirken in der Tat völlig chaotisch. Sie besitzen allesamt keinen „roten Faden“ mehr und lassen den Aspekt des „Gesamtkunstwerks Album“ völlig außen vor. Jede neue Veröffentlichung bringt somit zwar neue Songs mit sich, doch das ist schiere Masse; die Klasse von Alben wie „Rage for Order“ oder auch „Promised Land“ ist in weite Ferne gerückt und die einstigen Heroen befinden sich auf einem unerfreulich unterdurchschnittlichen Kreativitätslevel.

Für einen Queensrÿche-Altfan wie mich ist diese Entwicklung natürlich besonders ärgerlich, und ich bin mir sicher, dass die Band inzwischen jüngere Anhänger um sich herum zu versammeln wusste, die die Band vielleicht erst seit ein paar Jahren kennen und auch voll hinter dem neuen Sound der Kapelle stehen. Jedoch müssten auch diese Fans merken, dass das neue Album nicht mehr als eine zusammengestückelte Ansammlung von zwar durchwegs gut hörbaren Rockstücken ist, dass diese Songs jedoch (wenn überhaupt) nur noch minimalen Wiedererkennungswert besitzen und so austauschbar sind, dass man es kaum merkt, wenn man die „Random“-Taste am CD-Player drückt. Es klingt einfach alles gleich…
Überwiegend regiert auf „Dedicated to Chaos“ ein schwerer Mid-Tempo-Beat, der durch grungig-angezerrte Gitarren und jede Menge effekthascherischer postproduction-Sounds begleitet wird. Sänger Geoff Tate ist weiterhin hervorragend bei Stimme, wirkt jedoch zunehmend wie ein Fremdkörper, da er die einzige Konstante aus alten Glanzzeiten zu sein scheint. Selbst gute Ansätze, wie etwa das knackige Riff von „Retail Therapy“, werden durch erstaunlich uninspirierte Melodien „drumherum“ zunichte gemacht; selbst der Innenaufbau solcher Songs wirkt chaotisch oder besser gesagt „unaufgeräumt“.

Fazit: Für meinen Geschmack hat „Dedication to Chaos“ genau den richtigen Albumtitel. Es ist das Programm, das Queensrÿche seit Jahren fahren und sich damit selbst immer mehr ins Abseits stellen. Das neue Album ist leider ein neuer Höhepunkt dieser unerfreulichen Entwicklung.

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