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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Rodrigo (fast) perfekt!

Brilliant Classics' neue Rodrigo-Edition erweist sich als echter Coup

von Rainer Aschemeier  •  5. März 2013

Brilliant Classics gilt als das führende Label, wenn es darum geht, Boxen mit dem Gesamtwerk oder zumindest großen Teilen des Gesamtwerks ausgewählter Komponisten zu konzipieren. Im letzten Jahr berichtete the-listener.de über die famose Boccherini-Box (Rezension s. hier) und die nicht gar so famose aber immer noch gute Borodin-Box (Rezension s. hier) dieses Labels. Bei beiden lautete das Fazit: Licht und Schatten. Keine der beiden Boxen war perfekt, aber in ihrer Gesamtheit waren beide sehr reizvoll und boten guten Gegenwert für’s kleine Geld.

Nun legt das niederländische Budget-Label eine verblüffende neue Werkschau vor. Verblüffend aus zwei Gründen: Erstens hätte man kaum damit gerechnet, dass es einmal ein sage und schreibe 21 CDs umfassendes Set ausgerechet von Joaquin Rodrigo geben würde, jenem spanischen Komponisten, der bei 99% der Klassikhörer eigentlich lediglich für ein einziges Werk berühmt ist: Das Gitarrenkonzert „Concierto de Aranjuez“ – einer der größten „Hits“ der jüngeren E-Musik-Geschichte.
Zweitens ist es verblüffend, wie qualitativ hochwertig diese Box ausgefallen ist. In der Tat muss man hier schon von einer kleinen Sensation sprechen, gerade auch in qualitativer Hinsicht.

Diese Box straft all die Zweifler Lügen, die beispielsweise behaupten, große Boxen bestünden nur aus Ausschussware, die entweder interpretatorisch oder klanglich Mittelklasse sei. Beides ist hier nicht der Fall.
Zwar hat Brilliant Classics bei seiner Rodrigo Edition erneut den Fehler gemacht, den größten Teil der Orchestermusik mit den 1980er- und 1990er-EMI-Aufnahmen des Royal Philharmonic Orchestra und des London Symphony Orchestra unter Enrique Batiz zu bestücken. Diese Aufnahmen, die unverständlicherweise weithin als „Referenz“ gehandelt werden, sind schlicht und erfreifend alles andere als gut. Sie sind tatsächlich nur Mittelklasse, und die renommierten britischen Orchester haben hier beileibe keine Glanzleistung abgeliefert.
In puncto Gitarrenkonzerte und Orchestermusik ist bei anderen Labels weitaus überzeugenderes Material zu finden, nicht zuletzt beim Low Budget-Konkurrenten Naxos, der ebenfalls eine (allerdings deutlich schmalere) Rodrigo-Edition im Programm hat, die in mehreren Einzel-CDs mit sensationallen Solisten, einem makellosen HiFi-Klangbild und fantastischen spanischen Orchestern aufwarten kann.

Das eigentliche Highlight dieser Brilliant Classics-Box sind aber die Bereiche der großartigen Solo- und Kammermusik sowie der Vokalwerke. Hier kann man kaum aufhören, wenn man das Schwärmen erst einmal angefangen hat. Die Auswahl der Solisten ist schon einmal wunderbar: Mit Augustín León Ara (Violine) und Albert Guinovart (Klavier) spielen hier zwei Solisten, denen der eigentlich zeitlebens Neoklassizist gebliebene Joaquin Rodrigo einen nicht geringen Teil seines Kammermusikœuvres gewidmet hat.
Hier spielen also die Musiker, die für die Uraufführungen der jeweiligen Stücke verantwortlich waren. Ergänzt werden diese ganz wunderbaren Einspielungen durch weitere fabelhafte Leistungen hervorragender Ensembles und Solisten, von denen ich insbesondere den Cellisten Mariano García hervorheben möchte, der im Rahmen der hier zu hörenden Kammermusik eine Weltklasseleistung vorlegt. Bei der Orchestermusik zeigen das Orquesta Real Filharmonia de Galicia und das Orquesta de Cámara Joaquin Rodrigo, wie schön es hätte sein können, wenn man die gesamte Orchestermusik dieser Box mit diesen beiden fabelhaften Ensembles bestückt hätte. Bei der Chormusik allerdings erfährt das Royal Philharmonic Orchestra unter Leitung von Raymond Calcraft eine veritable Rehabilitation, wie überhaupt die gesamte Vokalmusik dieser 21 CDs umfassenden Mammut-Edition an eine Sensation grenzt: Auf nicht weniger als sieben (!) CDs bekommen wir hier zum Teil seltenst zu hörende Werke in durchwegs grandiosen Interpretationen vor Ohren geführt. Man kann hier getrost sagen: Besser geht es gar nicht!

Wäre da noch der klangliche Aspekt, den man bei Boxen dieser Art in aller Regel mit einem „naja, es geht so, aber hier ist es eben die Quantität, die zählt“ kommentieren kann. Diese Box allerdings führt auch dieses Vorurteil ad absurdum: Mit Jonathan Stokes (Ex-DECCA) und Arne Akselberg (tätig u. a. für ebenfalls DECCA, darüber hinaus EMI, da capo und naïve) sind weite Teile dieser Box in absolutem HiFi-Sound aufgenommen, den man sich eigentlich gar nicht besser denken kann. Lediglich die Violinmusik leidet unter einem Masteringfehler und weist gelegentliche, aber durchaus hässliche Clipping-Effekte auf. Es ist dies aber das einzige Manko einer ansonsten klanglich beinahe makellos zu nennenden Box.

Fazit: Mit Ausnahme der Orchestermusik ist diese Brilliant Classics Rodrigo-Edition nicht weniger als ein herausragendes Tonträgerdokument. Meine Empfehlung: Man besorge sich die Konzerte entweder in den hervorragenden alten Philips-Einspielungen (heute auf DECCA umgelabelt) der Academy of St. Martin-in-the-Fields unter Neville Marriner oder in den noch besseren Aufnahmen der Naxos Rodrigo-Reihe. Alles andere ist hier Rodrigo immaculata – perfekt, begeisternd, makellos… mir fehlen die Worte. Diese Box ist ein Geschenk!
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CD-Details:
Rodrigo Edition (21 CDs)
Brilliant Classics
Vertrieb: edel:kultur
Katalog-Nr.: 9297 / EAN: 5029365929721
Diverse Orchester, Dirigenten und Solisten

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