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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Naxos feiert Jubiläum und steigt in die Buchbranche ein

Ein Interview mit Labelgründer und -chairman Klaus Heymann

von Rainer Aschemeier  •  13. Juni 2012

Für viele kommt es überraschend, für jene aber, die sich schon etwas länger mit der internationalen Entwicklung des Klassik-Labels Naxos beschäftigen, war es irgendwie absehbar: Pünktlich zum 25-jährigen Firmenjubiläum betritt Naxos auch in Deutschland erstmals als Buchverlag die hierzulande immens große Bühne der Buchvermarktung. Welch Sachbuch könnte dazu passender sein, als eine Lobeshymne auf den Erfolg des Naxos-Labels selbst!?

„NAXOS – Das Geheimnis des Erfolges“ nennt sich das wuchtige, 608 Seiten starke Buch aus der Feder von Klassik-Redakteur und Naxos-Abteilungsleiter Nicolas Soames. Im exklusiven www.the-listener.de-Interview blickt Labelgründer und Naxos-Chairman Klaus Heymann zurück auf die Anfangszeit des derzeit wohl spannendsten und gleichzeitig mächtigsten Klassikvermarktungsriesen der Welt.

Details zum Buch: Nicolas Soames; Naxos - Das Geheimnis des Erfolgs; erschienen im Verlag Naxos Deutschland; ISBN: 978-3-898-16300-2; Naxos-Bestellnummer: NB2012; Preis: 24,95 €; ...und somit leider nicht ganz im sonst so günstigen Naxos-Preisbereich...


Zunächst erscheint es ja eher fraglich, ob sich für ein Buch, das die inzwischen 25-jährige Geschichte des (zumindest in Sachen Verkaufszahlen) weltweit führenden Klassik-Labels widerspiegelt, genug Interessenten werden finden lassen. Doch bereits nach den ersten paar Seiten wird einem als Leser klar, dass man hier auch mehr an die Hand bekommt, als „nur“ eine weitere Unternehmensgeschichte oder eine weitere Unternehmerbiographie.

„NAXOS – Das Geheimnis des Erfolges“ ist eine veritable Historie des gesamten Klassiktonträgermarkts von Mitte der 1950er-Jahre bis heute.
Wie viel sich getan hat in der für Außenstehende undurchsichtigen Welt der Schallplattenfirmen und wie unberechenbar diese „Reise“ im Prinzip war und noch immer ist, dokumentiert der Autor Nicolas Soames nicht nur akribisch, sondern vor allem hochgradig unterhaltsam. Wer als Sammler und Musikfan schon immer interessiert an klassischer Musik auf CD und Schallplatte war, kommt an diesem Buch kaum vorbei.

Die Schwarte weckt aber auch das Interesse an dem Mann, der dieses ungewöhnlich erfolgreiche Unternehmenswachstum überhaupt erst ermöglicht hat: Klaus Heymann. In Frankfurt geboren und frühzeitig nach Hong-Kong übersiedelt, ist er die „graue Eminenz“ der Klassik-Szene.

Fast jeder Klassik-Liebhaber hat eine CD seiner Firma im Plattenschrank, doch kaum jemand kennt das Gesicht, das hinter Naxos steckt.

www.the-listener.de freut sich daher ganz besonders, an dieser Stelle ein exklusives Interview mit Klaus Heymann präsentieren zu können, das wir anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 25-jährigen Naxos-Bestehen vorab mit ihm führen konnten.
Das Telefoninterview, das hier auszugsweise wiedergegeben wird, entstand in Kooperation mit der auflagenstarken Klassikzeitschrift „crescendo“, in deren Juni-August-Ausgabe 2012 ein ausführliches Labelporträt von Naxos zu lesen ist, das ebenfalls von www.the-listener.de verfasst wurde.

Foto: ⒸNaxos/Zhang Jiangshe


the-listener.de: Herr Heymann, Sie feiern das 25-jährige Bestehen ihres Naxos-Labels. Was glauben Sie: In welchen Bereichen ist sich Naxos als Firma in dieser Zeit am meisten treu geblieben und inwieweit hat sie sich am meisten verändert?

Klaus Heymann: Treu geblieben sind wir uns in dem Sinne, dass wir immer noch gute Aufnahmen zu einem attraktiven Preis anbieten und dass wir dabei auch unserer Bildungsmission treu geblieben sind. Ich bin ja eigentlich kein gelernter Geschäftsmann, sondern habe Sprachen und Literatur studiert und wollte später eigentlich ein Lehramt ausüben. Dieser Tendenz zum Lehren und Unterrichten bin ich auch in meiner Geschäftslaufbahn treu geblieben.
Nun zu den Veränderungen: Was wichtig zu erwähnen ist, ist, dass Naxos heute kaum noch ein Label im eigentlichen Sinne ist, sondern ein kleines Konglomerat, das dem Rest der Industrie seine Dienste anbietet und ohne das – glaube ich – viele unabhängige Labels heute gar nicht mehr existieren könnten. Wir sind also von einem Label, was wir am Anfang ja waren, immer mehr zu einer Vertriebs- und Marketingfirma geworden – sowohl physisch als auch digital. Das ist für mich die größte Wende. Das Label ist heute eigentlich nur noch eine Art Hobby für mich. Und wie es bei Hobbys so ist: Hierbei kann man sich etwas Luxus leisten, so zum Beispiel indem wir viele Werke aufnehmen, von denen ich im Vorfeld weiß, dass man sie nicht verkaufen kann, weil sie nur ein Nischenpublikum ansprechen. Aber das bringt mir eben viel Spaß. Das eigentliche Geschäft ist heute die Vertriebs- und Marketinggruppe.

the-listener.de: Fragen wir dann einmal umgekehrt: Wie hat sich denn Klaus Heymann in den letzten 25 Jahren verändert, vielleicht auch durch die Rückkopplung mit der eigenen Schöpfung Naxos?

Klaus Heymann: Ich hatte ja schon vor Naxos das Label Marco Polo. Das war von Beginn an ein reines Hobby, hat sich aber über 10-15 Jahre finanziell selbst getragen. Aber es war etwas, das ich nebenbei machte. Mein Hauptgeschäft in jenen Jahren war der Vertrieb von BOSE-Produkten und außerdem war meine Firma in den 1980er-Jahren in Südostasien auch der größte Vertrieb im Bereich Rock und Pop – wir hatten die Lizenzen von RCA, von Virgin, von Motown. 1987, als erstmals die CD-Preise sanken, sah ich dann eine Chance auch im Klassik-Sektor etwas mit Standardrepertoire zu erreichen, aber das war zunächst immer noch ein Geschäft, das neben all dem Anderen lief, und was von all dem Anderen subventioniert wurde. Was ich mit dem BOSE-Vertrieb und dem Pop und Rock verdiente, wurde in Naxos gesteckt.
Und wie habe ich mich dadurch verändert? Nun, als ich 1967 nach Hong-Kong kam, war ich ein Angestellter einer US-amerikanischen Zeitung, doch der Geist dieser Stadt hat mich dazu gebracht, selbst Unternehmer zu werden.
Ich habe dann 1969 meine erste Firma gegründet und bin dann ein vielseitiger Unternehmer geworden. Wir haben zum Beispiel Tonstudios gebaut. Fast alle großen modernen Tonstudios in Südostasien wurden von uns gebaut. Wir haben auch große Beschallungsanlagen entwickelt. Vor einiger Zeit war ich mal in der Großen Halle des Volkes in Peking, und ich sah da noch immer die Anlage, die wir den Chinesen vor vielen Jahren dort eingebaut hatten.
Dem Start der CD-Labels folgte dann der Start eigenständiger Vertriebsfirmen, weil das meine Vertriebspartner irgendwann einfach nicht mehr schafften. Also, als größte Änderung kann wohl gelten: Ich bin Unternehmer geworden.

Foto: ⒸNaxos/Zhang Jiangshe


the-listener.de: Beim Blick auf die Klassik-Szene von heute fällt auf, dass die Zeiten nicht einfacher geworden sind. Selbst große Majorlabels wie Philips Classics mussten sich dem finanziellen Druck beugen, sind einfach Pleite gegangen, ebenso zahllose der kleineren Independent-Labels.
Naxos hingegen ist weiterhin auf Expansionskurs, gründet sogar neue Labels aus, zuletzt etwa das Klaviermusiklabel „Grand Piano“. Für ein Hobby gar nicht schlecht… Wie schaffen Sie das?

Klaus Heymann: Die Großen haben das ganze Budget-Geschäft in der Anfangszeit der CD entweder verschlafen oder sie wollten ihre älteren Aufnahmen hartnäckig zum vollen Preis auswerten.
Als sie dann mit ihren eigenen Budget-Labels ankamen, waren das alles Wiederverwertungen älterer Aufnahmen. Weil man damals aber die besten Aufnahmen nicht billig hergeben wollte, wurde eben einfach auch viel Schrott angeboten in dieser Frühzeit der Budget-Labels. Denen ist tatsächlich nie aufgegangen, dass wir so erfolgreich waren, weil wir NEUE Digitalaufnahmen und zudem noch mit interessantem Repertoire zum Budget-Preis verkauften. Das erste Majorlabel, dass das verstanden hat und dann selbst versuchte, war BMG mit dem Label „Arte Nova“. Am Anfang wurde dort aber zu schnell und zu schlecht produziert, was dem Label geschadet hat.
Wir hingegen haben gut und günstig produziert und haben auch in anderen Bereichen, wie Werbung und Marketing, sparsam gewirtschaftet. Wichtig waren dann unsere eigenen Vertriebsfirmen, die wir in vielen Ländern aufgebaut haben und die dann den Vertrieb von anderen Labels übernahmen.
Heute vertreiben wir praktisch jedes Klassiklabel, das es gibt irgendwo in der Welt – außer den Produkten von Universal Music. Sogar Sony und Warner Classics werden von uns vertrieben, zum Beispiel in den USA. Wir haben EMI neu auf unserer Naxos Music Library und vertreiben ansonsten von chandos über hyperion bis zu ECM so ziemlich alle Independent-Labels in zahlreichen Ländern.

the-listener.de: Früher hieß es immer, ein Geheimnis des Naxos-Erfolgs sei es, dass die Naxos-CDs keine Konkurrenz aus dem eigenen Hause bekommen. So sollte es von jedem Werk nur eine einzige Einspielung geben statt mehrerer, wie bei den Majorlabels üblich, und auf einen Starkult legte man keinen gesteigerten Wert. Das scheint sich in den letzten Jahren geändert zu haben, denn zum Beispiel von den Sibelius-Sinfonien oder nun ganz neu auch von den Prokoffiew-Sinfonien (um nur zwei von mehreren Beispielen zu nennen) gibt es bei Naxos inzwischen mehrere Alternativversionen. Und das Label vermarktet inzwischen auch Stars, wie etwa Leonard Slatkin, und schafft sich seine eigenen, wie zum Beispiel Marin Alsop oder Vassilij Petrenko. Ist das noch die alte Naxos-Schule?

Klaus Heymann: Für diese Entwicklung gibt es mehrere Gründe. Wenn wir heute etwas neu produzieren, hängt das sehr häufig damit zusammen, dass die Aufnahmen aus der Frühzeit des Labels einfach nicht mehr dem heutigen Standard entsprechen. Die Aufnahmen der Slowakischen Philharmonie, der Capella Istropolitana und der Nikolaus-Esterházy-Sinfonietta waren sehr gut, aber ich bin mir bewusst, dass es auch andere Aufnahmen anderer Orchester gab, die eben nicht erste Sahne waren.
Und genau in diesen Bereich machen wir heute einiges neu.
Es kommt hinzu, dass die heutige Technologie Aufnahmen in 24bit/96khz erfordert. Deswegen machen wir jetzt zum Beispiel den Prokoffiew-Zyklus neu, den wir eigentlich in guter Qualität mit dem National Symphony Orchestra aus der Ukraine hatten. Alte Aufnahmen werden also durch bessere neue ersetzt. Zum Beispiel unser Brahms-Zyklus aus Brüssel war zumindest klanglich nicht erste Wahl, während die Neuaufnahme der Brahms-Sinfonien mit dem London Philharmonic unter Marin Alsop einfach sehr viel besser ist.
Zuguterletzt sehen wir uns noch mit der Situation konfrontiert, dass junge, aufstrebende Künstler von sich aus gern zu uns kommen möchten, sie möchten dann aber auch gern ihr Standardrepertoire mitbringen. Wir werden es aber auch weiterhin nicht so machen, wie die Majorlabels, wo ein Star engagiert wird, und der macht dann das übliche Standardrepertoire zum fünfzehnten Mal oder so. Wir werden also auch weiterhin sehr vorsichtig sein.
Aber sehen Sie: Wenn Leonard Slatkin fragt, ob er nicht eine neue Ravel-Einspielung in Lyon machen kann und gleichzeitig haben wir bislang nur eine Ravel-Aufnahme aus Bratislava im Angebot gehabt, da sage ich doch gerne: „Leonard – go ahead!“

the-listener.de: Welche CD war der größte Unternehmenserfolg in den letzten 25 Jahren?

Klaus Heymann: Keine Frage – Vivaldi, vier Jahreszeiten mit meiner Frau – Gottseidank!

the-listener.de: Noch immer?

Klaus Heymann: Die kann man ja auch gar nicht mehr einholen. Die Traumzahlen aus der Frühzeit, als wir von drei oder vier Platten Stückzahlen von 300.000, 400.000 Stück verkauften… tja, so läuft das heute nicht mehr.
Wir backen heute auch die gleichen kleinen Brötchen, wie die anderen Plattenfirmen auch. Wir können zwar immer noch zwei- oder dreimal so viel verkaufen wie chandos oder hyperion von einem bestimmten Repertoire – wegen des Preises – aber die Traumzahlen von früheren Zeiten, die gibt’s heute nicht mehr.
Meine Frau mit ihren Bach und Tschaikowsky-Konzerten hat damals allein fast eine halbe Million Platten verkauft, ebenso Jenö Jando mit seinen Beethoven-Sonaten. Das alles ging in die Hunderttausende! Und weil diese Zeiten vorbei sind, können die Erfolgsproduktionen von früher auch nie wieder eingeholt werden.

the-listener.de: Trotzdem möchte ich noch einmal nachhaken: Gab es denn nicht auch neuere Produktionen, die herausragend erfolgreich waren?

Klaus Heymann: Die Schostakowitsch-Sinfonien aus Liverpool mit Petrenko liegen immerhin schon bei 15.000 verkauften Einheiten für ein Einzelalbum. Und das sind dann für heutige Verhältnisse schon Traumzahlen. Natürlich überholt uns Sony mal mit einer Lang Lang-CD, die dann 100.000-mal verkauft wird, aber im Durchschnitt liegen auch die Produktionen der anderen Firmen heute unter 10.000 Einheiten.

the-listener.de: Sie haben also auch heute noch einigen Verkaufserfolg, doch kaum jemand kennt Sie als Person. Fühlen Sie sich wohl als „graue Eminenz“ der Klassikszene oder wären sie gern ein wenig prominenter?

Klaus Heymann: Ich bin zufrieden mit dem Erfolg, den wir erzielt haben und dass wir heute eigentlich das Rückgrat der ganzen Klassikindustrie bilden. Wenn Sie überlegen, dass wir den Digitalvertrieb von 400 Labels machen und den physischen Vertrieb von 200 Labels, dann sind wir heute aus der Branche nicht mehr wegzudenken. Und ich persönlich bin nicht auf Prominenz aus. Mir ist es viel wichtiger, dass wir gute Arbeit machen, dass wir schöne Aufnahmen produzieren, dass wir unseren Künstlern weiterhelfen und vor allen Dingen, dass wir enorm viel zur Bildung und Erziehung neuer Käuferschaften beitragen. Wir haben einen Katalog von über 100 Produkten aus dem Bereich der musikalischen Weiterbildung.
Im englischen Sprachraum haben wir auch schon viele Bücher über Leben und Werk der berühmten Komponisten herausgebracht. Wir haben das „ABC der Klassik“, „ABC der Oper“, usw.
Wir machen enorm viel was Bildung und Erziehung angeht, und darauf bin ich wirklich stolz. Und ob ich nun bekannt bin oder nicht ist mir egal – in der Industrie wissen ja alle, wer ich bin.

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