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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

L. v. Beethoven - Klavierkonzerte Nr. 1-5
Tonhalle Orchester Zürich - David Zinman, Yefim Bronfman

(2005-2006)
Arte Nova/BMG

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Ludwig van Beethoven - Klavierkonzerte Nr. 1-5

Tonhalle Orchester Zürich - David Zinman, Yefim Bronfman (Klavier)

von Rainer Aschemeier  •  2. November 2006

Beethovens Symphonien gehören zu den meist eingespielten klassischen Werken der Tonträgergeschichte. Daher lässt sich gut verfolgen, wie sich Rezeption und Interpretation von Beethovens Musik über die Jahre verändert haben. Um die Jahrhundertwende, in der Zeit der abklingenden Spätromantik einerseits und der aufblühenden Gigantomanie Wagners, Mahlers und Bruckners andererseits, hatte sich die Beethoven-Interpretation dahingehend entwickelt, dass man zumindest in den Spätwerken Meisterwerke der Romantik sah. Diese Deutung Beethovens als Romantiker ist auch in den frühen Schallplatteneinspielungen unüberhörbar – ob Furtwängler, Böhm, Karajan oder Keilberth: Sie alle spiegelten die Symphonien als „Fels in der Brandung“ wider, als majestätisch-epische Gabe an die Menscheit: Seid umschlungen Millionen.

In den 1970er und ’80erJahren entwickelte sich durch Interpreten wie Christopher Hogwood, Nikolaus Harnoncourt, Neville Marriner und Roger Norrington (in den 1990ern) eine andere Lesart: Beethoven wurde entweder kompromisslos als Vertreter der Wiener Klassik interpretiert – und klang damit auf Tonträger wie eine Art „wütender Mozart“ – oder man entdeckte Beethovens „Sturm und Drang“-Potenzial, wobei man Phrasierungen und Tempi oft nach Lust und Laune veränderte.

Mitte der 1990er wurde David Zinman, ein amerikanischer Weltklassedirigent Musikdirektor eines, zu dieser Zeit, in Not geratenen Zürcher Symphonieorchesters. Zinman, der vormals schon das Baltimore Symphony Orchestra auf Weltniveau gehievt hatte, nahm sich gleich mit dem ersten CD-Projekt viel vor; Beethovens Symphonien sollten es sein. Als Clou des Projekts organisierte man als Notenmaterial die brandneue Urtext-Edition des Bärenreiter-Verlags und damit gelang Zinman das, was vormals für unvereinbar gehalten wurde: Er schaffte es mit seinem vorzüglich disponierten Tonhalle Orchester alle Facetten von Beethovens Musik unter einen Hut zu bringen und befriedigte damit „Originalklang-Pädagogen“, Romantiker, Klassiker und „Sturm-und-Drang-Revoluzzer“ gleichermaßen. Bis heute steht Zinmans mustergültige Symphonien-Box als eine der besten Beethoven-Gesamteinspielungen der Tonträgergeschichte da.

Etwa zehn Jahre später folgte das nächste Mammutprojekt, dessen Vollendung wir pünktlich zum Winterbeginn auf CD genießen dürfen: Zinman beendete seine Gesamteinspielung von Beethovens Instrumentalkonzerten. Zentraler Fokus: Die 5 Klavierkonzerte.

Beethovens Klavierkonzerte sind in diskographischer Hinsicht interessanterweise ein anderer Fall als seine Symphonien. Nur selten hört man radikale Interpretationsansätze, meist finden sich eher dezente, klassisch ausgerichtete Deutungen im heimischen CD-Regal wieder. Als herausragend hierbei sind die drei Gesamteinspielungen mit dem Solisten Alfred Brendel – einem wahren Titan der Beethoven-Interpretation des 20. Jh. – zu erwähnen. Es stellte sich die Frage, ob Zinman es auch diesmal wieder schaffen würde, alle Kritiker verstummen zu lassen und eine neue Sichtweise auf Beethovens Konzerte eröffnen zu können.

Eines sei vorweg genommen: Wirklich neue Sichtweisen findet man auf der neu erschienenen, drei CD’s umfassenden Edition nicht, ungewohnte Spannungsbögen hingegen schon. Diese resultieren vielleicht aus der künstlerischen Spannung, die sich zwischen David Zinman am Dirigentenpult und dem Solisten Yefim Bronfman am Flügel ergibt. Der mittlerweile recht bekannte usbekische Pianist Bronfman ist als glühender Romantiker bekannt – einer der keine halben Sachen macht sondern seinen Klang unverrückbar als Monument in die Welt stellt. Zinman hingegen ist stets auf die Dynamik seines Orchesters bedacht und arbeitet aus Beethovens Partituren die winzigsten Klangnuancen vom leisesten Pianissimo bis hin zum brachialen Fortissimo heraus. Was auf dem Papier als Widerspruch erscheint, funktioniert erstaunlich gut. Pianist und Dirigent scheinen sich gegenseitig zu beflügeln und zu inspirieren. Das Endergebnis ist ein sehr geschlossener und überzeugender Zyklus von Klavierkonzerten mit einem Orchester auf Weltniveau, einem virtuosen Heißsporn am Klavier und einem flexibel doch sicher disponierten Dirigat.

Unter den drei CD’s steht diejenige mit der Neueinspielung von Beethovens berühmtem 5. Klavierkonzert sogar als interpretatorische und klangliche Referenz da. Ich habe bisher nichts Besseres in dieser Hinsicht gehört. Die Klavierkonzerte Nr. 3 & 4 machen ebenfalls einen extrem guten Eindruck. Lediglich die CD mit dem ersten und zweiten Konzert fällt qualitativ ab: Insbesondere beim Konzert Nr. 2 wirkt die Liaison Zinman/Bronfman nicht unbedingt glücklich. Es scheint so, als wolle Bronfman mal so richtig „Gas geben“, während Zinman offenbar um eine moderate Ausleuchtung des Konzerts bemüht ist. Leider spielt bei dieser CD auch der ansonsten exzellente Klang des genialen Arte Nova-Tonmeisters Simon Eadon nicht mit. Dies ist besonders schade, denn der Sound der beiden anderen CDs ist sensationell und gehört klanglich zum Besten was ich im Bereich Klassik-CD je gehört habe.

Alles in allem bleibt folgendes Fazit: Der neu erschienene Klavierkonzertzyklus des Tonhalle-Orchester gehört zu den besten am Markt. Spielend toppt das Orchester die Leistungen der Wiener Philharmoniker aus dem gefeierten Rattle-/Brendel-Zyklus. Das Tonhalle Orchester spielt durchgängig auf Weltniveau und kann sich mittlerweile mit jedem Symphonieorchester auf der Welt messen lassen. Das Team Zinman/Bronfman stachelt sich gegenseitig zu Höchstleistungen an, lediglich beim zweiten Klavierkonzert wirken sich die unterschiedlichen musikalischen Herangehensweisen der Interpreten negativ aus.

In klanglicher Hinsicht bekommt man leider eine unausgewogene CD-Reihe zu hören. Die ersten beiden CD’s (Konzerte Nr. 3, 4 und 5) sind klanglich absolute Spitzenklasse, sodass ich sie in meiner persönlichen Referenzliste ganz weit oben, womöglich auf die Topposition, hieven würde. Die zuletzt erschienene CD mit den Konzerten Nr. 1 & 2 fällt aber leider klanglich aus dem Rahmen und offenbart einen dünnen undynamischen Sound, der nur als durchschnittlich bezeichnet werden kann. Was ist hier nur schief gelaufen? Für alle Aufnahmen zeichnet derselbe Tonmeister verantwortlich und alle Mitschnitte wurden in denselben Räumlichkeiten (der akustisch bekanntermaßen großartigen Zürcher Tonhalle) angefertigt. Es bleibt ein Rätsel.

Insgesamt ergibt dies eine Vier-Punkte-Wertung „mit Sternchen“, also haarscharf an der Bestnote vorbei. Dies sollte jedoch keinen vom Kauf abhalten: Für ca. 5 Euro pro CD erhält man eine der besten Gesamteinspielungen der Beethovenschen Klavierkonzerte. Das Geld dürfte jeder übrig haben, der sich ernsthaft für klassische Musik interessiert.

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