Go to content Go to navigation Go to search

The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Harmonia Caelestis
Lajos Lencsés, verschdn. Orch.

(2011)
Bayer Records / note 1

• • •

Lajos Lencsés - "Harmonia Caelestis"

Harmonie mit Abstrichen

von Rainer Aschemeier  •  22. Juni 2011
Best.-Nr.: BR 100 372 CD / EAN: 4011563103721

Über den Oboisten Lajos Lencsés braucht man wahrlich nicht viele Worte zu verlieren, ist er doch hierzulande einer der bekanntesten Oboenvirtuosen überhaupt und seit dem Jahr 1971 als Solo-Oboist des Stuttgarter Radiosymphonieorchesters bekannt und beliebt. Gewissermaßen „nebenbei“ etablierte sich der Ungar auch als ein viel gefragter Kammermusikspezialist und ausgezeichneter Solo-Künstler. Seine CD-Einspielungen auf namhaften Labels wie cpo, Capriccio, Hänssler classics oder Carus sind Legion; eine besonders langfristige Zusammenarbeit verbindet den Oboisten jedoch mit dem Label Bayer Records – jener kleinen aber feinen CD-Schmiede, die seit ihrer Gründung im Jahr 1984 von ihrem Erschaffer Rudolf Bayer geleitet wird und im beschaulichen württembergischen Städtchen Bietigheim-Bissingen beheimatet ist.
Ich freue mich sehr, dass wir an dieser Stelle einmal eine Bayer Records-CD besprechen können, denn das tapfere kleine Label ist mir mit seiner Beharrlichkeit, seiner beeindruckenden Veröffentlichungspalette (die auch viele Repertoireseltenheiten umfasst) und seinen qualitativ oft genug hochwertig zu nennenden CDs schon seit Langem sehr sympathisch.

Unlängst erschien eine neue CD der Kopplung Lencses/Bayer Records, die unter dem Titel „Harmonia Caelestis“ nicht weniger als himmlische Harmonien beschwört. Unter diesem Thema wurden auf dieser CD mehrere Werke von Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart gekoppelt, darunter zwei rekonstruierte Oboenkonzerte von Bach und das allseits bekannte Oboenkonzert KV 314 von Wolfgang Amadeus Mozart, über dessen historischen Hintergrund erst vor Kurzem auf diesen Seiten zu lesen war (http://www.incoda.de/listener/reviews/192/giuseppe-ferlendis-saemtliche-orchesterwerke). Beim Blick auf die Tracklist dieser Bayer Records-Neuerscheinung fällt auf, dass innerhalb von 56 Minuten nicht weniger als sechs Werke vorgestellt werden; und was auf der Track-Übersicht schon unruhig aussieht, bleibt es auch dann, wenn man sich die Aufnahme akustisch zu Gemüte führt. Der „ruhelose“ Gesamteindruck der Veröffentlichung wird noch dadurch verstärkt, dass auf ihr Material aus drei verschiedenen Aufnahmesessions zu hören ist, das in einem Zeitraum von insgesamt 20 Jahren von drei verschiedenen Tonmeistern an drei unterschiedlichen Aufnahmestandorten und mit drei unterschiedlichen Ensembles mitgeschnitten wurde. Die CD – diesem Eindruck kann man sich nicht erwehren – besitzt damit einigen „Stückwerk-Charakter“.
Wer sich jedoch den einzelnen Bestandteilen nähert, wird in der Regel positiv überrascht.

Beginnen wir mit den Bach-Werken: Vorgestellt werden zwei Sinfoniae für Oboe, die aus den Kantaten mit dem Bachwerke-Verzeichnis-Nummern 21 und 12 stammen. Beide sind wunderschön, haben aber mit zusammengenommen gerade einmal sechs Minuten Spielzeit nicht mehr als einen (von Johann Sebastian Bach ja auch durchaus beabsichtigten) Intermezzo-Charakter und fungieren als verbindendes Element zwischen den ersten beiden Hauptwerken auf dieser CD. Es handelt sich dabei zum Einen um das Konzert d-moll für Oboe, Violine, Streicher und Basso continuo, das nach dem Konzert für zwei Cembali BWV 1060 rekonstruiert wurde. 1764 bot die Musikalienhandlung Breitkopf eine Ausgabe dieses Konzerts in der hier zu hörenden Besetzung für Violine und Oboe an, weswegen die musikwissenschaftliche Fachwelt nahezu einhellig davon ausgeht, dass dieses Werk ursprünglich auch für diese Besetzung geschrieben und erst später von Bach für zwei Cembali umgestaltet wurde. In diesem Zusammenhang ist die vorliegende Neueinspielung eine spannende Sache und hat auch ihren Sinn. Man hätte allerdings ganz gerne gewusst, wer denn für die Rekonstruktion des Konzerts verantwortlich zeichne; es gibt aber leider keine Info dazu im Booklet.
Zum Anderen wurde auf das Bach-Konzert BWV 1055 zurückgegriffen. Diese Transkription, die auf der vorliegenden Aufnahme für Oboe d’amore gesetzt wurde, erscheint mir allerdings etwas rätselhaft, denn die Literatur besagt, dass dieses Konzert im Original eindeutig als Cembalokonzert konzipiert war und von Bach wohl auch nicht für andere Besetzungen umgeschrieben wurde. Zumindest ist das nicht bekannt. Umso wichtiger wäre also auch in diesem Fall eine Angabe über den für die von Bayer Records unverständlicherweise „Rekonstruktion“ genannte Umarbeitung Verantwortlichen; leider aber auch in diesem Fall: Fehlanzeige!
Wie dem auch sei, die Darbietungen und Aufnahmen der Bach-Werke sind sehr gelungen. Lencsés brilliert in beiden Stücken mit seinem (wie immer) ausgesprochen lyrischen Oboenton und wird im Konzert BWV 1060 kongenial durch die Geigerin Mila Georgieva unterstützt. Die begleitende Streichersektion des Radio-Symphonieorchesters Stuttgart erweist sich aufgrund der jahrelangen Zusammenarbeit mit dem Solisten als hervorragende Wahl. Man hört, dass es sich hierbei um ein eingespieltes „Team“ handelt. Der Aufnahmeklang dieser Einspielung aus dem Jahr 2010 ist außerdem einwandfrei: Er ist schön räumlich angelegt ohne hallig zu sein, gut durchhörbar und wenn auch nicht haarfein so doch immerhin fein genug aufgelöst. Das ist wirklich ein sehr guter Aufnahmesound mit Hifi-Charakter.

Es folgt ein weiteres Kuriosum in Sachen Transkription: Diesmal ist es eine Umarbeitung der Sopranarie „Ruhe sanft, mein holdes Leben“ aus Mozarts unvollendetem Singspiel „Zaide“. Bei diesem Stück nun finde ich es völlig rätselhaft, wie und warum man das für Oboe transkribieren zu müssen meinte. Während die Bach-Werke durchaus spannend sind in ihrem neuen Gewand (auch BWV 1055), leidet die Zaide-Arie doch eher unter der Umgestaltung, was aber auch an einer routinierten, um nicht zu sagen „abgespulten“, Wiedergabe des Stücks durch das (an sich zumeist für sehr gute Einspielungen bekannte) Streichorchester „Budapest Strings“ liegen mag. Im Booklet fehlen für diesen Teil der CD leider jegliche Angaben hinsichtlich Aufnahmeort, -datum und Tonmeister. Man will es aber auch gar nicht wissen, weil man diese Transkription auch am liebsten schnell wieder vergessen möchte. Der Klang ist eh nicht zu vergleichen mit dem anderen Material. Er ist dumpf und flach – ziemlich furchtbar, um ehrlich zu sein. Dieses Ärgernis (als Solches betrachte ich persönlich diese knapp 5 Minuten) hätte man nicht mit auf die ansonsten recht gute CD stellen sollen.

Wir kommen zum letzten Teil der Einspielung: Dem Mozart-Konzert. Hier musiziert Lencsés als Solist mit dem Württembergischen Kammerorchester unter der Leitung von Jörg Faerber; und wem diese Konstellation bekannt vorkommt, hat womöglich die Mozart-CD „Music for Oboe“ des Carus-Labels aus dem Jahr 1996 im Plattenschrank. Aus dieser Veröffentlichung nämlich ist die hier wiederzufindende Aufnahme aus dem Jahr 1991 entnommen, die dank der routiniert meisterhaften Tonmeisterarbeit der Hifi-Legenden Werner Dabringhaus und Reimund Grimm nur unwesentlich gealtert klingt, jedoch mit der eingangs erwähnten Bach-Soundumgebung nicht mithalten kann. Es hat sich eben doch Einiges getan an der „Klangfront“ seit 1991…
Lencsés und seine Mitstreiter haben seinerzeit bei ihrer Mozart-Einspielung die (auch von anderen Solisten meistens genutzte) Paumgartner-Fassung des Oboenkonzerts genutzt. Auch an dieser Einspielung gibt es nicht viel Fehl und Tadel, und wie wir bereits gehört haben, geht auch der Klang in Ordnung.

Aber – und das ist ein großes „aber“ – bei dieser lieblosen Zusammenstückelung namens „Harmonia Caelestis“ muss man sich als Hörer doch fragen, ob die 18-19 Euro, die man für diese CD auf den Ladentisch legen soll, wirklich gerechtfertigt sind. Auch für die eingeschworenen Lencsés-Fans bleibt ein fader Beigeschmack, da etwa die Hälfte der CD aus schon einmal veröffentlichtem Material besteht. Bleiben als Zielgruppe also noch die „Jäger und Sammler“ in Sachen Bach, die sich BWV 1055 und 1060 statt mit Cembalo gern einmal mit Oboe anhören möchten – was musikhistorisch allerdings nur in einem Fall (BWV 1060) auch wirklich Sinn macht.
Schade, denn eigentlich ist das hier eine gut hörbare CD. Durch die o. g. Unstimmigkeiten und Defizite ist daher meines Erachtens eine Wertung oberhalb des guten Durchschnittsbereichs nicht angezeigt, zumal es bei dem größten Teil des hier zu hörenden Repertoires auch viele und zum Teil sehr gute Mitbewerber am Markt gibt. Eine herausragende Veröffentlichung – ein Rang also, der manch Anderem aus dem Katalog von Bayer Records zweifellos zukommt – ist diese CD hier also leider nicht.

((Das Hörexemplar der CD für diese Besprechung wurde uns freundlicherweise vom Vertrieb des Labels, der Firma „note 1“, zur Verfügung gestellt.))

Stöbern

Verwandte / ähnliche Artikel:

Archiv

Alle Reviews können im Archiv nachgeschlagen werden. Dort ist auch eine gezielte Suche möglich.