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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Konzert für Violine... – Solo!

Ulrich Hermann berichtet von einem aufsehenerregenden Konzert

von Ulrich Hermann  •  12. Juni 2014

Ein ganzer Abend nur mit Kompositionen für Violine solo? Ganz schön riskant, was da beim Konzert in der Lounge des Hotel Bachmair auf dem Programm stand. Immerhin kamen doch eine ganze Schar von Besuchern, die den 25jährigen Geiger Lucas Brunnert hören und seine Musik erleben wollten. Und sie wurden mit einem Abend beschenkt, wie ich ihn noch nie erlebte. Vom ersten Stück des deutschen – leider immer noch fast unbekannten, einst allerdings u. a. von Wilhelm Furtwängler geförderten und aufgeführten – Komponisten Heinz Schubert (1908-1945) mit seiner Phantasie von 1941 (Praeludium und Toccata) angefangen über die viersätzige Sonate für Violine allein op. 12 von 1921 (Ruhig, Allegretto scherzando, Langsam, Lebendig) von Eduard Erdmann (1896-1958) bis zum Abschluss-Stück des ersten Programmteils, der Sonate II in a- moll (Grave, Fuga, Andante, Allegro) 1720 von Bach, spannte Lucas Brunnert einen gewaltigen Bogen, der sowohl ihn als auch die Zuhörer in eine musikalische Intensität mitnahm, wie sie äußerst bewegend und anrührend sich aufbaute und entstand. Was er da an polyphonen Strukturen, an „Klangrede“ entfaltete, vom fast unhörbaren fünffachen pianississimo bis zu kraftvollsten Ausbrüchen an Lautstärke, wie er jeder der einzelnen, sehr komplexen Kompositionen Struktur und äußerste Lebendigkeit verlieh, das war einfach sagenhaft. Und dass unser aller Johann Sebastian Bach immer noch und immer wieder der Ahnherr dieser „Entdeckungsreisen“ für das Soloinstrument Geige war und ist, wurde natürlich bei seinem eigenen Stück ganz besonders deutlich. Schon bei der Eingangsmusik von Heinz Schubert, der ja Schüler von Heinrich Kaminski (1886-1946) war, wurde sehr deutlich, dass von Bach zu Heinz Schubert eine mehr als deutliche Verbindung besteht, ebenso bei der sehr expressionistisch-modernen Komposition von Eduard Erdmann. Die immer wieder zu erlebende Polyphonie auf einem Instrument, dem man doch am besten melodiöse Einstimmigkeit zuschreiben möchte, erstreckte sich über den gesamten Tonraum der Geige, was Lucas Brunnert mit bewundernswerter Kraft und dennoch Innigkeit und Deutlichkeit entstehen ließ. Wer hätte vorher daran gedacht, dass solch ein Abend mit Musik für n u r ein Soloinstrument dermaßen spannend und erfüllend sein kann. Allein die ersten sechs – die weitere Komposition strukturierenden – Töne cis’- dis – Gis – e – c’- fis waren ein Erlebnis für sich, denn das Erleben der damit verbundenen Intervallaffekte und ihrer auf- und absteigenden Spannungen erfordert eine ganz spezielle Fähigkeit des Musizierens, die Lucas Brunnert bei allen Stücken des Programms auf erstaunliche Weise bewies, und so den ungeheuer anspruchsvollen Abend in einem weitgespannten Bogen Wirklichkeit werden ließ.
Nach einer Pause sollte es leichter und heiterer werden, was nur zum Teil in den folgenden Stücken erfüllt wurde, denn Prokofjew (1891-1953) mit seiner 1947 entstandenen Sonate für Violine Solo op. 115 (Moderato, Andante dolce, Con brio) war eher eine Steigerung als eine Entspannung. Was auf einer Geige an Klangfarben, Rhythmen und durchaus auch Witz und Elan möglich ist, zeigt diese Komposition in verzaubernder Weise. Im zweiten Satz hatte ich den Eindruck, dass Lucas Brunnert die Töne dieser Variationen gerade im Moment zum allerersten Mal und für ihn selber unwiderstehlich zum Erstaunen hervorbringt, wie eine Improvisation à la Keith Jarrett, verblüffend und bewegend in einem.
Genau so überraschend dann die Elegia II, ein frühes Juwel des 1945 geborenen norwegischen Komponisten Ragnar Söderlind von 1966, geheimnisvoll und leicht, als Zwischenspiel zum letzten Stück des Abends, der Sonate für Violine solo op. 27 Nr. 4 (Allemanda, Sarabande, Finale) des belgischen Komponisten und legendären Geigers Eugène Ysaÿe (1858-1931). Er widmete die sechs Kompositionen seines Opus 27 berühmten jüngeren Geigern seiner Zeit, so die betreffende Nummer vier dem Österreicher Fritz Kreisler. In dieser Komposition scheint er zu bedauern, dass er auf der Geige nicht so vielstimmig polyphon komponieren konnte, wie es für ein Orchester möglich ist. Die dennoch entstandene Vielstimmigkeit ist absolut berückend und lotet die melodischen, rhythmischen und harmonischen Möglichkeiten einer einzelnen Geige so virtuos aus, dass man sich als Zuhörer oft fragt, ob da wirklich nur eine Geige gespielt wird. Aber wahrhaftig, Lucas Brunnert war es wieder höchstpersönlich mit intensivstem Einsatz von Leib und Seele, der dieser utopischen Musik das Leben und den tänzerischen Elan entlockte, wie er es schon den ganzen Abend getan hatte.
Ein solches ambitioniertes Programm und Konzert hatte ich mir bis dahin nur vorstellen können als etwaigen Plan. Diese sechs Stücke an einem Abend von einem wunderbaren Solisten und Musiker gespielt und geschenkt zu bekommen, übertraf alle Erwartungen und vor allem meine heimlichen Befürchtungen. Wenn jemand im Stande ist, solch einen exklusiven Abend mit seiner eigenen Persönlichkeit und seinem völlig uneitlen Können auf solch einem hohen Niveau entstehen zu lassen, dann geht Musik in einer Art in Erfüllung, die einfach traumhaft ist – gesetzt, man kann und will sich mit allen Fasern und in aller Ruhe auf dieses Wagnis einlassen. Denn auch für die Zuhörer war das eine echte Herausforderung, aber wer dabei war, wurde reichlichst beschenkt.

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