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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Welch ein Abend! – Welch ein Werk! – Welch ein Pianist!

Der argentinische Pianist Hugo Schuler feiert sein Deutschland-Debüt mit Bachs „Goldberg-Variationen“ im Hotel Bachmair in Weissach am Tegernsee

von Ulrich Hermann  •  21. Januar 2014

Wenn nach 80 Minuten intensivstem Musik-Erleben die Frage auftaucht: “Was, schon zu Ende?“, dann ist das ein Zeichen für einen sehr erfüllten Abend, wie ihn der 29jährige argentinische Pianist Hugo Schuler am 17. Januar bei seinem Deutschland-Debüt dem zahlreich erschienenen Publikum im großen Saal des Hotel Bachmair Weissach am Tegernsee schenkte.

Völlig uneitel, versunken, intensivst und gleichzeitig mit größter Gelassenheit entfaltete Schuler die einleitende (und abschließende) Aria mit den folgenden 30 „Veränderungen“, wie sie Bach für den Grafen Keyserlink und dessen Cembalisten Goldberg (einen Schüler Bachs und seines Sohnes Friedemann) komponierte. Nun sind das nicht Variationen im herkömmlichen Sinn, das heißt, man erkennt eben nicht unbedingt immer wieder die zu Grunde liegende Melodie, denn das Thema ist nun doch sehr umfangreich und vielgestaltig bechaffen – nein, bei Bachs Komposition entsteht nach der „Aria“ ein Kosmos, der nur von der energetisch-harmonischen Struktur des Themas ausgehend die weiteren Schritte bestimmt. In den 30 Veränderungen breitet Bach all sein polyphones und dann auch sein harmonisches Können aus, um einen riesenhaften, fast 80 Minuten dauernden, innerlich bezwingend zusammenhängenden Bogen zu schaffen, der die Zuhörer auf eine Reise in eine unermesslich erscheinende „Galaxis“ mitnimmt, die mit dem Trubel der alltäglichen Welt und ihren uns beschäftigenden Problemen eigentlich nichts zu tun hat.
Und das Publikum im großen Saal des Hotel Bachmair folgte dieser einzigartigen Entwicklung in konzentriertester Spannung vom ersten bis zum letzten Ton. Hugo Schulers Spiel erfüllte alles, was für die Entfaltung dieses Bach’schen Kosmos erforderlich ist:
Auf dem Schimmel-Flügel erklangen die kanonischen Variationen genauso faszinierend durchhörbar, wie auch die melancholischen Labyrinthe der langsamen Teile, bei denen Schulers Kunst des Entstehen-Lassens besonders deutlich „zur Sprache“ kam.
Dabei wurde immer wieder erlebbar, was für ein Tänzer Johann Sebastian Bach war, wie physisch diese Musik zugleich stets ist, dass tänzerische Rhythmen und tänzerische Energie neben allem polyphonen und harmonischen Können eine unabdingbare Grundlage seiner Musik sind. (Allerdings bei einem Kaliber wie Hugo Schuler nicht in vordergründiger Weise, sollte der eine oder andere nun etwa an Jacques Loussiers denken…). Der Reichtum der tonlichen Möglichkeiten und die artikulatorische Beweglichkeit, Präzision und Finesse sind bei Hugo Schuler ebenso begeisternd wie seine rhythmische und bewegungsmäßig zentrierte Durchdringung und Darbietung dieses Riesenwerkes.
Man meint, einer Erstaufführung zu lauschen und ist – wie ein wenig flapsig gesagt werden könnte – „hin und weg“ vom Erklingen dieser „Klavier-Übung“ – so Bachs eigener, jeglicher Prätention abholde Titel.
Dass in einer Variation (dem Adagio, der 25. Veränderung, in g-moll) die ungeheuer moderne und teilweise „freitonale“ Kunst Bachs in den Vordergrund tritt, zeigt seine absolute Zeitlosigkeit und „Modernität“, aber eben auch die ganze Faszination des Klavierspiels des argentinischen Jokers Hugo Schuler, der auf bestem Weg ist, zu einem wegweisenden Giganten der Bach-Aufführung unserer Tage zu werden. Er schenkte mit seinem Deutschland-Debüt allen Zuhörerinnen und Zuhörern einen unvergesslichen Höhepunkt in dieser noch jungen Konzert-Reihe. Das Publikum reagierte mit seinen Mitteln: spontane Standing Ovations bei der Übergabe der Blumen!

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