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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Andrzej Panufnik – Eine Hommage

24. September 1914 Warschau bis 27. Oktober 1991 Twickenham ( England)

von Ulrich Hermann  •  18. September 2014

Warum mich seine Musik so unmittelbar „anspringt“, weiß ich eigentlich nicht, aber es ist so, bei allem, was ich von seiner Musik höre. Ein sofortiges intensives Hörerlebnis, ein Klang, der – vor allem bei seinen langsamen Sätzen – mich mit hinein“zieht“. Ein Lauschen auf so noch nie Gehörtes, noch nie Vernommenes, obwohl es doch ganz „normale“ Instrumente sind, denen er Klänge und auch Strukturen „entlockt“, die mich sofort in ihren Bann schlagen.
Egal ob Symphonisches oder Programmatisches, die Unmittelbarkeit der Darstellung, die sich – vor allem bei der „stimmigen“ Wiedergabe – in betörendes, tranceähnliches Lauschen wandelt, sicherlich nicht nur beim Hörer, sondern auch beim spielerisch gelassenen Ausführenden. Und das alles mit ganz „normalen“ Noten zu Papier gebracht, es ist ein Mirakel, was aus diesen Noten dann wird.
Dabei hatte es Panufnik – Sohn eines Geigenbauers und einer Geigerin – nach seinem Studium in Warschau und in Wien (bei Felix Weingartner) in den Wirren des Zweiten Weltkrieges wahrlich nicht leicht. Sein Bruder kam beim Aufstand im Warschauer Ghetto ums Leben, alle bis dahin geschriebenen Werke waren vernichtet – eines davon rekonstruierte er sofort nach dem Krieg. Und von 1945 bis 1954 harrte er in Polen aus, geehrt und angespien, wie so viele seiner Komponisten-Kollegen in den sogenannten sozialistischen Ländern, bis ihm unter abenteuerlichen Umständen die Flucht nach England gelang – ein wahrer Krimi. Dort war er als Dirigent und auch als Komponist zunehmend respektiert und anerkannt, allerdings mehr im anglo-amerikanischen denn im kontinentalen Raum, wo seine Musik erst so langsam in den letzten Jahren an Boden gewinnt, auch dank der Initiative verschiedener CD-Firmen, des Verlags Boosey & Hawkes und polnischer Gruppierungen. Es ist seiner Musik, die sich immer abseits gängiger Idiome bewegt und auch keiner modernistischen „Strömung“ angehört, zu wünschen, dass ihre Kraft und überzeugende Energie, ihr Gefühlsreichtum und auch ihr Witz und ihre rhythmischen Finessen im Musik-„Betrieb“ eine immer größer werdende Lücke finden und immer mehr Zuhörer, die sich dieser bezwingenden Kunst anvertrauen.

Dass zu seinem hundertsten Geburtstag in England und natürlich auch in Polen eine ganze Menge von Konzerten und Aufführungen stattfinden, ist klar und auch sehr verständlich. Die soeben erschienene CD Nr. 8 mit drei seiner Konzerte für Violine, Cello und Klavier vervollständigt die Aufnahmen seiner Werke für Orchester und ist auch in einer Box erhältlich. Dass ich in München bisher keines seiner Werke – mit Ausnahme eines seiner beiden Streichsextette in der Aula der LMU vor langen Jahren –, weder Symphonisches noch eines seiner Konzerte hören und erleben konnte, ist leider Tatsache, dafür werden halt die alten Schlachtrösser zum Erbrechen wieder gedudelt und wiedergekäut, um ja das Publikum nicht mit irgendetwas Neuem zu konfrontieren oder gar zu erschrecken. Diese Aufgabe übernimmt seit geraumer Zeit die CD bzw. die entsprechenden Blogs, die interessierte Hörer und Leser eben doch mit Kunst bekannt machen, abseits des normalen und gängigen Mainstreams. Dafür gebührt den Verantwortlichen großes Lob und großer Zuspruch.

Zu den Werken im Einzelnen (s. auch meine Rezension der CD Nr. 8 bei The-Listener.de):
Seine sechste Symphonie in sechs Teilen, je drei langsam und je drei schneller, beginnt fast unhörbar leise. Wie er anscheinend in vielen seiner Werke das langsame Tempo zu Beginn bevorzugt, um es dann aber in den anderen Sätzen an Verve und Tempo nicht fehlen zu lassen. Die Klangfarben im Orchester sind oft so ungewöhnlich und noch nie so gehört, dass ein intensives Lauschen sich auch dadurch einstellt und für eine oft überraschende und „unerhörte“ Spannung beim Zuhörer „zwangsläufig“ sorgt. Die Intensität, die sich dergestalt einstellt, ist beruhigend und befreiend zugleich und bewirkt einen Großteil der ungeteilten Aufmerksamkeit, die sich für die sogenannte „moderne“ Musik vor allen in den Jahren der seriellen und der zwölftönigen Klangsprache eher selten einstellte.

Es gibt eben doch nur zwei Arten von Musik: Gute und schlechte, und Panufniks Kunst gehört zweifelsohne zur ersteren Sorte.

Dass ein so „konstruktiv“ komponierender Musiker, wie sich Panufnik selber sah, trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieser strengen mentalen Kontrolle solch emotionale und berührende Musik schreiben konnte, ist eines der großen Geheimnisse seiner Kunst. Er selbst suchte die Balance zwischen Gefühl und Geist in allen seinen Werken, und oft gelang ihm dieser Ausgleich auf überaus faszinierende Weise. Dass er die von Schönberg so absolut verkündetete „Methode mit 12 Tönen zu komponieren“ nach kurzer „Lehrzeit“ als für sich selbst überhaupt nicht in Frage kommend ablehnte und sein Heil in gänzlich anderer Richtung suchte, ist für ihn als „Waage“ mit starker Waage-Betonung sonnenklar. (Übrigens ist er vom Chinesischen Horoskop her ein Holz-Tiger, von der Numerologie her eine 3 aus 30).

(Nebenbei habe ich zwei ältere Artikel über Panufnik im SPIEGEL von 1948 und 1991 gefunden, also auch dem war er einmal zwei Berichte wert. Steht allerdings nix Bemerkenswertes über ihn und seine Musik drin, SPIEGEL halt!)

Inzwischen habe ich sehr viel von Panufniks Musik gehört, allein oder auch mit jemandem zusammen. Den meisten Hörern sagt der Name Panufnik erst einmal gar nichts, verständlicherweise. Hören Sie aber die ersten Töne z. B. der sechsten Symphonie – der Symphonia Mistica – dann ist das Erstaunen umso größer. Und bald stellt sich auch bei einem „native listener“ die Begeisterung ein für diese bisher so unerhörten Klänge von ganz „normalen“ Instrumenten.
Es ist also wirklich an der Zeit, diese wunderbare Musik und ihren Komponisten auch hier in Deutschland bekannt oder wenigstens bekannter zu machen.

Natürlich gibt es auch Stücke, die mir persönlich nicht besonders gefallen, wie bei jedem Komponisten selbstredend. Als Beispiel nenne ich die Tragic Overture oder auch die Heroic Overture. Doch bei dem, was Panufnik in seinem 77 Jahre währenden Leben alles erlebt hat an Unglücken, Kriegsereignissen, Verfolgungen und ähnlichen Widrigkeiten, da wäre es völlig unverständlich, wenn sich das nicht auch in seiner Musik widerspiegelte. Vor allem bei seinen äußerst rhythmischen Sätzen scheint mir eine gewisse Wut und ein „Zähne-Zusammen-Beissen“ unüberhörbar. Allerdings ist dieser oft extreme Gegenpol zu seinen unerhörten langsamen und lyrischen Kompositions-Teilen genau im Sinne des Komponisten, denn sein Anliegen war es ja stets, die Balance der verschiedensten Kräfte in seiner Musik zu gestalten, Herz und Hirn zusammenzuführen. Und das ist ihm wie kaum einem anderen Komponisten des 20. Jahrhunderts gelungen.

„ Indem ich glaube, dass es keinen guten Grund gibt, warum zeitgenössische Musik aus Missklängen bestehen sollte, intendierte ich eine wechselseitige Balance zwischen Konsonanz und Dissonanz.“ Schreibt der Komponist über sein „Concerto Festivo“ von 1979. Das könnte als Leitsatz über aller Musik des nunmehr postum 100sten Geburtstag feiernden Komponisten Sir Andrzej Panufnik stehen.

Gerade höre ich zum ersten Mal die Symphonia rustica, und wieder ist diese merkwürdig erhebende Aufmerksamkeit da, dieses überraschende Moment des Vertrauten und doch Neuen, Niegehörten, diese anderen als die gewohnten Klänge der Orchesterinstrumente. Auch die durchaus zutreffenden Erklärungen des Komponisten zu seiner eigenen Symphonie und zu anderen Werken auf dieser CD – und überall in der achtteiligen CD-Box von CPO – vermitteln nicht nur Information, sondern auch einige emotionale Hintergründe. Dennoch, das Hörerlebnis der Musik des Andrzej Panufnik löst bei jedem neuen Werk ein vertrautes Mitschwingen und Mit-Leben aus, was auf diese Weise bisher in meinem doch an Musik so reichen Leben selten oder fast nie der Fall war. Ich weiß, das klingt alles sehr merkwürdig für die Musik eines Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts, aber es ist so. Sie berührt etwas in mir, das eine Saite anspricht, die so bisher nicht erklingen konnte. Und das empfinde ich als besonders großes Glück, und dafür ist die CD – natürlich neben den bei Boosey & Hawkes verlegten Kompositionen selber – ein sehr geeignetes Mittel, um solch einen musikalischen Kosmos neu kennen und auch – wie in diesem speziellen Fall – lieben zu lernen.

Natürlich werde ich die Gelegenheit beim Schopf packen und die „Old Polish Suite“ von Panufnik für mein kleines Senioren-Ensemble „Die Alten Römer“ bearbeiten und spielen, das dürfte der richtige Einstieg sein für meine immerhin schon meist über 70-Jährigen MitmusikerInnen und Mitmusiker. Genau wie wir in diesem Herbst auch das erste Stück des britischen Komponisten John Herbert Foulds „Keltic Lament“ ins Repertoire aufnehmen werden, das von ganz alt – Heinrich Finck – bis ganz neu – Arvo Pärt – reicht. Und da wird sich die Musik von Sir Andrzej Panufnik ebenfalls ganz besonders gut ausmachen.

Inzwischen erklingt die Symphonia concertante für Flöte, Harfe und Streicher, seine vierte Symphonie von 1973. Allein der magische Beginn der Harfe solo, die „einfach“ ein paar Töne vorstellt, quasi das „Material“ aller weiteren Musik. Zum wiederholten Mal fühle ich mich von dieser Musik, von diesen Klängen, von diesem Musizieren mitgenommen und getragen, und was kann man von Musik besseres und anderes erwarten, wenn überhaupt. Allerdings erstaunt mich immer wieder bei dieser gespielten – doch in ganz normaler Notenschrift aufgezeichneten – Musik die Intensität und das Erleben der Töne und Klänge, das die Ausführenden da an den Tag legen, da habe ich schon ganz andere – besonders bei „moderner“ Musik – gelangweilte und weit weniger engagierte Musiker erlebt. Natürlich wünscht man sich als Hörer dieses Engagement jedes Mal, aber es scheint auch an Panufniks Musik selber zu liegen, dass sich diese Vermittlung scheinbar „von selbst“ einstellt. Wie ich schon in meiner Rezension der CD Nr.8 – drei Konzerte für Violine, Cello und Klavier – geschrieben habe, ist vieles so gespielt, als entstünde die Musik erst in dem „gespielten“ Augenblick – das Höchste, was ich von einer Aufführung sagen kann. (Musik „in statu nascendi“, wie sie auch Sergiu Celibidache mit seinen „Kollegen“ (nein, nicht die Dirigenten, die Musiker, die vor ihm saßen) anstrebte und oft erreichte. „Wir haben Bruckners Siebte schon 300 Mal gespielt, aber heute ist es das allererste Mal“, sagte er einmal.

Dass Panufnik auch „anders kann“, zeigt sich in seiner „Polonia Suite“. Dort ertönen sehr vertraut-scheinende Klänge, allerdings durchaus humoristisch-grotesk gebrochen. Und als „Gegenpart“ zu Elgar’s symphonischem Vorspiel „Polonia“ sehr geeignet und anregend.
Zum Ende dieser CD sein Stück „Lullaby“, bei dem einem später im Schlaf die schönsten Träume erscheinen können. Welch ein Abschluss!

Meine Lektüre seiner Autobiographie „Composing Myself“ hinterlässt, ähnlich wie seine Musik, eine sehr angerührte und angeregte Stimmung, Sowohl die Beschreibung seiner Jugend und Kindheit, seines Elternhauses und seiner ersten musikalischen Erlebnisse, als auch deren Abbruch und Verschwinden bis zu einem erneuten Aufschwung, die vielen Schulwechsel mit dem Portrait mancher tüchtigen und vieler bescheuerten Lehrerinnen und Lehrer, wie sie wohl in jedem Leben vorkommen, die teilweise katastrophale finanzielle häusliche Situation trotz des Vaters überragenden Geigenbaukünsten und trotz der Mutter selten guten Geigenspiels, all das ist so warmherzig und nachvollziehbar geschrieben, als ob der Ton seiner späteren Musik sich schon leise ankündigte. Schließlich war er ja ein sehr erfolgreicher Komponist, wenigstens im anglo-amerikanischen Raum, als er diese Autobiographie schrieb.
Kein Wunder also, dass sich darin der Autor Andrzej Panufnik mit Herz und Hirn wiederfindet wie in seiner Musik.

Merkwürdig genug, wie sich der in Polen so verbreitete Antisemitismus schon – der immer noch verstärkt durch deutsche „Vorbilder“ in Panufniks Zeit am Konservatorium in Warschau durchzieht, wie sich da schon die später bis zur absoluten Zerstörung des Warschauer Ghettos reichende Unmenschlichkeit zeigt und ankündigt.
Dasselbe gilt für das Kapitel über sein Studium bei Felix Weingartner in Wien. Wie auf einmal der Nazi-Terror über diese Stadt und die meisten ihrer Menschen hereinbricht – was sie bis heute zu einem nicht geringen Teil immer noch nicht wahrhaben wollen, dass sie zu
einem Großteil mit wahrer Begeisterung darauf abfuhren – Panufniks Bericht lässt die Schrecken jener Tage, obwohl doch von einem entfernten Betroffenen beschrieben, in aller grausamen Wirklichkeit sehr eindrucksvoll und gespenstisch auferstehen. Sehr beeindruckend auch seine mentale und musikalische Begegnung mit den Herren Webern – den er am meisten schätzt – Berg und Schönberg. Es bringt ihn zu der Erkenntnis, sich als Komponist nie wieder mit den Theorien oder „Maschen“ anderer befassen zu sollen, denn sein eigener Weg kann eben nur sein eigener sein, den er alleine suchen und gehen muss. Und das zeigt eben all seine Musik, dass ihm eben dies gelang. Er ist weder den Zwölftönern noch den Seriellen noch den Postmodernen noch irgendwelchen anderen Pseudos auf den Leim gegangen. Natürlich hatte das für ihn bis heute den Preis, dass seine Musik eben nicht bei den Donaueschinger Musik-Tagen en vogue war oder weder sein Name, noch geschweige denn seine Musik, den Herren Stuckenschmidt oder Adorno irgendetwas sagten.

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