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The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

Orangenblüten im Glitzerhaus

Die Entwicklung eines Indielabels und seiner livehaftigen Selbstbeweihräucherung

von Rainer Aschemeier  •  1. Oktober 2003

Bild vom OBS-Festival

Das OBS-Festival im Firmengarten von Glitterhouse Records. On Stage: Smokestack Lightning. Ein Foto vom Festival-Samstag.

Das OBS-Festival wird erwachsen, nicht erst seit gestern, sondern schon seit einer ganzen Weile. Ein fast schleichender Prozess, der jedes Jahr kleine Veränderungen und (manchmal nur vermeintliche) Verbesserungen mit sich bringt. Was musikalisch los war beim besten Popularmusikereignis in Ostwestfalen, könnt Ihr auf anderen Seiten (z.B. gaesteliste.de oder orangeblossomspecial.com) zur Genüge nachlesen. An dieser Stelle soll es um das OBS selbst gehen und um die Entwicklung, die das Festival und auch „sein Label“ Glitterhouse Records in den letzten Jahren genommen haben.

Es war einmal vor unendlich langer Zeit… oder nein, es ist doch erst gute zehn Jahre her, da war das Glitterhouse-Label an der Speerspitze der Grunge-Bewegung. Die ersten, mittlerweile gesuchten, E.P.’s von Monster Magnet erschienen beim Beverunger Indie, der Deutschland-Vertrieb für Sub-Pop und Amphetamine/Reptile verbarg sich in der Villa im Grünen Weg. Glitterhouse war damals eine unter Insidern wohlbekannte Adresse, wurden hier doch die ersten Scheiben von Nirvana („Bleach“), Soundgarden („Fopp“, „Screaming Life“) und Helmet („Born Annoying“, „Strap It On“) unters Volk gebracht.

Bild vom OBS-Festival

Unbestrittener Star des Labels: Chris Eckman (2. v.r.), hier mit tatkräftiger Unterstützung der „Bambi Molesters“ aus Jugoslawien.

Als der Grungeboom irgendwann lächerlich zu werden begann, musste sich auch das kleine Beverunger Label neue Jagdgründe erobern. Grunge war eine Sache von Majorlabels geworden und Glitterhouse konnte wohl weder die Kapazitäten bieten um den deutschen Markt erschöpfend zu beliefern noch hatte es daran gar Interesse. Der musikalische Wandel kam unaufhaltsam und in beeindruckender Geschwindigkeit. Wo sich bis vor kurzem noch Punk- und Grungebands die Klinke in die Hand gaben, regierte plötzlich eine merkwürdig schräg klingende Musik mit Bestandteilen aus Folk, Rock, Country und kranken Songwriterergüssen á la Tim Buckley oder Tom Waits. Die Schublade „Alternative Country“ wurde von den Printmedien geöffnet und in kürzester Zeit hatte sich Glitterhouse hier etabliert.
Der Schritt war gewagt, schließlich war (und ist) die Fangemeinde für die Musik, die immer einen CD-Durchlauf mehr braucht bevor es „Klick“ macht, nicht groß. In Deutschland dürfte die Anzahl der Alt. Country/No Depression/Americana-Hardcore-Fans wohl die Tausender-Marke nur knapp überschreiten. Glitterhouse jedoch agiert weltweit, bringt auch den Amerikanern ihre besten Songwriter zurück: Lichtgestalten wie Terry Lee Hale, The Walkabouts, Neil Casal und Hazeldine. Lichtgestalten, die in Amerika nie einen Deal hätten ergattern können, in dem Land wo die Quellen für Milch und Honig nur mit hohen Auflagen erkauft werden können. Schmerzlich bekamen das die Walkabouts zu spüren, die seinerzeit nach zwei Flopalben bei Virgin Records schneller wieder bei Glitterhouse im Firmengarten Verträge unterzeichneten als sie gucken konnten.

Bild vom OBS-Festival

Was hier wohl Samstag-Abend-gefachsimpelt wird!? V.l.n.r.: Edgar Heckmann, Chef von „Blue Rose Records“; Chris Eckman von „The Walkabouts“; Reinhard Holstein, Chef von “Glitterhouse“.

Gut, bei dem Beverunger Label kann von Milch und Honig sicher nicht die Rede sein, doch Rheder Bier und Vollkornbrot sind im Endeffekt ja auch gesünder. Sicher einer der Gründe warum die meisten Künstler die auf Glitterhouse veröffentlichen, ein konstant hohes Niveaulevel halten. Ganz im Gegensatz zur Majorlabel-Konkurrenz, wo einst vielversprechende Acts wie Alice In Chains oder Warrior Soul dermaßen unter Erfolgsdruck standen, dass das (oft traurige) Ende nahezu programmiert war.
Das erste „Orange Blossom Special“-Festival (benannt nach einem legendären Song aus dem notorisch überschätzten Fundus des Country-Uropas Johnny Cash) wurde unter (scheinbar) katastrophalen Umständen im Jahr 1997 auf die Menschheit losgelassen. Kalte Würstchen, Stromausfälle und weinende Eisverkäuferinnen (s. Bericht auf orangeblossomspecial.de) waren nicht unbedingt das, was man sich unter „Deutschlands bestem Roots-Rock-Festival“ (Rolling Stones Magazine) vorstellt. Im nächsten Jahr (diesmal war der Schreiber der Zeilen selbst mit von der Partie) wurde es besser, 1999 war schon ziemlich Routine drin, es flutschte schon so richtig gut. 2000 verbannte man erstmals die gemütlich aussehende Wohnzimmergarnitur von der Bühne, ein großer Verlust für die Menschheit, aber ein vermutlich nicht minder großer Gewinn für die allgemeine Vereinfachung des Bühnenumbaus nach dem Auftritt jeder Band.

Bild vom OBS-Festival

Psychedelische Bands verlangen nach psychedelischen Fotos: „The White Birch“ aus Norwegen sorgten für allgemeinen Ruhezustand.

Mit der Zeit ist das OBS richtig professionell geworden. Man fährt nicht mehr unter dem Deckmantel eines „Tags der offenen Tür“, so wie es noch in den 90-ern praktiziert werden musste um die Genehmigung der Stadt Beverungen zu erhalten. Selbst die notorisch Standortpotenzial-ignorierenden Politverantwortlichen konnten sich dann aber dazu durchringen, das OBS als Rockfestival offiziell zu erlauben. Beschwerden einiger Unverbesserlicher kann man nur die rote Karte entgegenhalten. Es sind wohl immer die Leute, die sich am lautesten über die marode Situation des Einzelhandels und des Tourismusgewerbes in der Region beschweren, die dann als Erstes die Polizei rufen, wenn langhaarige Biertrinker friedlich ihre lauten „Zottelbands“ bejubeln.
Dabei ist es in den letzten Jahren musikalisch eigentlich immer leiser geworden. Schien der Zeitlupenauftritt von Savoy Grand kaum noch zu toppen, wurden in diesem Jahr die Norweger The White Birch auf die Carportbühne gestellt. Schöner kann einpennen eigentlich nicht sein…

Bild vom OBS-Festival

Des Autors persönliches Festivalhighlight am frühen Sonntagnachmittag: Terry Lee Hale!

Highlight des diesjährigen OBS war für mich zweifellos der Auftritt von Songwriterlegende Terry Lee Hale (man besuche unverzüglich seine glänzend informierende Homepage terryleehale.com), der in Zukunft wohl nicht mehr in Diensten des Glitterhouse-Labels stehen wird. Ein Verlust, der mich sehr traurig stimmt. Es sollte verstärkt darauf geachtet werden, die wirklich starken Acts des Labels (Walkabouts, Terry Lee Hale, Neil Casal, Nikki Sudden, Midnight Choir, Johnny Dowd) durch gleichwertige Jünglinge zu ergänzen.
In letzter Zeit sieht es für mich so aus, als ob die Wahl der Bands im Glitterhouse etwas weniger kritisch erfolgt als in den Anfangsjahren, oder vielleicht waren da auch nur bessere Demos im Briefkasten (!?). Knife In The Water, The White Birch, Pere Ubu, Savoy Grand und Nadine (um nur einige Beispiele zu nennen) können jedenfalls in keinster Weise die Geschichte des Labels in gleicher Wertigkeit fortsetzen (Was freue ich mich jetzt schon über die verärgerten Zuschriften von deren Fans…).

Regnen MUSS es mindestens einmal auf dem OBS, sonst wär ja kein Spaßfaktor dabei. Diesmal gabs auch noch Blitz, Donner und Mini-Tornados! Es wurden keine Kosten und Mühen gescheut!

Ein qualitativer Abstieg scheint sowieso schon jetzt unvermeidbar. Vielleicht sollte man einmal wieder eine neue Musikrichtung für die deutschen Fans importieren. Bestimmt liegt irgendwo noch eine rum… vielleicht mongolische Folklore oder so. Das könnte man dann ja Alternative Jurten-Folk nennen… oder so…

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