Go to content Go to navigation Go to search

The Listener

Blog für klassische Musik und mehr! ...seit 2003

The Return of the Sugarman!

von Rainer Aschemeier  •  19. Mai 2008

Nachdem man in letzter Zeit schon ein wenig den Eindruck bekommen konnte, wir hätten unsere Homepage doch lieber „The Watcher“ statt „The Listener“ genannt, gibt mir ein Re-Release der wunderbaren „Rudy Van Gelder-Edition“ bei „Blue Note“ die glückliche Gelegenheit, wieder etwas Musikalisches in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken.

Stanley Turrentine ist acht Jahre nach seinem Tod mehr denn je eine der unsterblichen Legenden des Jazz und gehört ebenso wie Lou Donaldson, John Coltrane, Stan Getz, „Cannonball“ Adderley oder Von Freeman zu den bekanntesten Jazz-Saxophonisten aller Zeiten. Er war einer der wenigen Saxophonisten, die man schon nach den ersten paar Tönen zielsicher identifizieren konnte, die einen ureigenen Stil besaßen. Auf den 40-50 Alben (niemand im www scheint die ganz korrekte Zahl zu wissen), die Turrentine bei unzähligen Labels veröffentlichte, begegnet einem die ganze Welt des Jazz: angefangen von Bebop über Soul-Jazz, Bossa, Funk-Jazz, ja selbst Ausflügen in die Disco-Music der 1970er war einfach alles dabei.

Turrentine spielte auf seinen Alben zusammen mit Herbie Hancock, Ron Carter, Horace Parlan, Shirley Scott (die später seine Ehefrau wurde), Eric Gale, Kenny Burrell, Otis Finch, McCoy Tyner, Blue Mitchell, Hank Jones, George Benson, Freddie Hubbard, Billy Kaye, Lonnie Liston Smith, Hubert Laws, Airto Moreira, Billy Cobham und Idris Muhammad (um nur einmal die Namhaftesten zu nennen). Für seine Alben mit größerer Besetzung fand sich die Créme de la Créme der Arrangeure mit Duke Pearson, Eumir Deodato, Claus Ogerman und Oliver Nelson.

Der Mann mit den zahlreichen Spitznamen („Man with the Sad Face“, „Stan the Man“, „Sugarman“, „The Pride of Pittsburgh“ – um auch hier nur die gängigen Vokabeln zu nennen) hat in den 1950ern begonnen, in den 1960ern zu seiner Reife gefunden, in den 1970ern die letzten (aber – wie viele meinen – besten) Klassiker fabriziert, in den 1980ern seinen guten Ruf fast verspielt, in den 1990ern noch einmal ein paar traditionell geprägte Scheiben nachgelegt und pünktlich zum Jahr 2000 nach einem Schlaganfall in seiner langjährigen Wahlheimat New York das Zeitliche gesegnet (R.I.P.!).

Im Rahmen der „RVG Edition“ bei „Blue Note“ sind nun wieder fast alle frühen Alben Turrentines problemlos und günstig erhältlich. Eine Luxussituation, die man bei seinen späteren Scheiben, die unter anderem bei den Labels CTI, Wounded Bird/Elektra und Fantasy erschienen, leider nicht finden wird. Wer demnach zunächst nicht unbedingt einen „Beinahe-Fuffi“ für die (höchst empfehlenswerten) CTI-Scheiben zücken möchte, kann für weit weniger Geld die Frühphase Turrentines bei „Blue Note“ erkunden. Diese Phase ist Jazz-Puristen offenbar ohnehin am liebsten. Von den bisher wiederveröffentlichten Alben sind vor allem „The Spoiler“ und „Hustlin‘“ zu empfehlen. Sie beinhalten alle wesentlichen Turrentine-Trademarks und weisen optimale Session-Besetzungen auf – ein Punkt, der sehr oft eine gute von einer weniger guten Turrentine-Platte unterscheidet, denn der „Sugarman“ war ein echter Teamplayer.

Und so merkt man auf dem 2008 wiederveröffentlichten „Look Out!“, einem der ersten Turrentine-Alben überhaupt aus dem Jahr 1960, dass der „Sugarman“ erst dabei war seinen eigenen Stil zu finden. Das soll freilich nicht heißen, dass Turrentine hier schlecht spielen würde – um das mal klar zu stellen: Es gibt kein Album, auf dem Turrentine schlecht spielt! -, aber es heißt, dass man sehr wohl hört, dass der Hard Bop der frühen Tage, der auf „Look Out!“ hart swingend und maskulin durch die Boxen knallt, noch nicht das ist, wo Turrentine hin wollte. Es ist vielmehr der Startpunkt einer Reise, die den Saxophonisten durch das Exeperimentieren mit unterschiedlichen Besetzungsgrößen durch die unterschiedlichsten Stile und nach seiner Zeit bei CTI zu z. T. frappierend obskuren Labels führen sollte.

Eine Reise, an deren Beginn das Wort „Bebop“ felsenfest im Raum zu stehen schien und bei der der Reisende zum Schluss beim Wörtchen „Disco“ ankam – und feststellen musste, dass leider der wichtigste Teil der Reisegruppe (nämlich die Fans und Plattenkäufer) nach, sagen wir, „unkonventionellen“ Platten wie „Betcha“ und „West End Highway“, in großer Zahl den Bus verlassen hatte. Späte Releases wie „T Time“ und „Do you have any Sugar?“ (sollte wohl selbstironisch gemeint sein…) waren zwar noch ein versöhnlicher Abschluss der Karriere, doch da hingen die Coltrane-Poster schon an den Studentenbuden-Wänden während der Name Turrentine für kurze Zeit (vor allem in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends) gefährlich nahe am Rand des Vergessenwerdens gesichtet wurde.

Kaum ein Album der langen Turrentine-Liste war Anfang des Jahres 2000 regulär in Deutschland erhältlich. Dies änderte sich erst durch die (leider viel zu kurzlebige) Wiederveröffentlichungskampagne des Epic-Labels, die einige (leider viel zu wenige!) der gloriosen CTI-Aufnahmen wieder auf den deutschen Markt brachte. Als dann „Blue Note“ den greisen Toningenieur Rudy Van Gelder wieder aus der Versenkung hervorzauberte, um mit ihm einige seiner einflussreichen Klassiker digital zu überarbeiten, erinnerte sich der legendäre Van Gelder glücklicherweise daran, dass er in den 1960ern mit Stanley Turrentine ein paar äußerst hörenswerte Scheiben aufgenommen hatte. Und so scheint die schlimmste Zeit vorüber. Zwar sind mit „Sugar“, „Cherry“ und „Salt Song“ die drei unbestreitbar besten Alben von Stanley Turrentine wieder nur als Importware erhältlich, aber immerhin können wir uns ohne Probleme beim nächsten Zweitausendeins-Laden unseres Vertrauens kostengünstig in „The Spoiler“, „That’s where it’s at“, „Joyride“, „Hustlin‘“ und nicht zuletzt auch „Look Out“ suhlen – was jedem Menschen mit eingehendem Musikinteresse hiermit empfohlen sei.

Stöbern

Verwandtes / Ähnliches:

Archiv

Alle Artikel können im Archiv nachgeschlagen werden. Dort ist auch eine gezielte Suche möglich.